Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erschien von Maria Popov das Buch „Kein Bock Club. Warum wir auch mal keine Lust auf Sex haben“.
Maria Popov ist bekannt von der Aufklärungsreihe „Auf Klo“ bei YouTube und arbeitet als Moderatorin und Journalistin, zum Beispiel bei 3sat.
Wer rezensiert hier? Eine weiße aroace cis Frau mit zwei Sachtexten über das asexuelle Spektrum bei Kleinverlagen.

Worum geht’s?
Ein bisschen irritierte mich zunächst, dass auf dem Klappentext eine andere Beschreibung steht als online. Während „Asexualität“ auf dem hinteren Buchdeckel ziemlich prominent den ersten von zwei Absätzen beendet, ist das online anders:
Sexuelle Lust gilt als Maßstab für Intimität, Beziehungsqualität und persönliche Erfüllung. Doch was passiert, wenn sie ausbleibt? Wenn wir keinen Bock auf Sex haben, obwohl »eigentlich alles stimmt«? Wenn »Ich bin müde« nur eine Umschreibung für etwas ist, das wir selbst kaum benennen können?
Schon in ihrer Jugend hatte Maria Popov nie richtig Bock auf Sex mit Männern und stößt auf ein Wort, das ihr Gefühl zum ersten Mal beschreibt: Asexualität. Aber was heißt das eigentlich genau? …
(Beguckbar unter: https://www.kiwi-verlag.de/buch/maria-popov-kein-bock-club-9783462010145, Hervorhebungen vom Verlag.)
Der Online-Text ist ehrlicher, aber immer noch etwas irreführend, denn um Asexualität als Orientierung geht es kaum. Zwar wird ein wenig ace Literatur zitiert, aber insgesamt ist „Kein Bock Club“ eher als Gesellschaftskritik angelegt. Also: Was hat Sexualität mit Macht zu tun? Und was Sex-Positivität mit Kapitalismus? Welche Erwartungen werden an (cis) Frauen und Männer herangetragen? Was hat Pornographie damit zu tun? Muss ich in Beziehungen dauernd Bock auf Sex haben? Wieso sorgen sich manchmal Medien darüber, dass die Jugend weniger Sex hat als noch vor zehn Jahren? Was können wir von Aces und Aros lernen?
Unter anderem plädiert Maria Popov dafür, sich die Friendzone zurückzuholen, unser Männerbild aufzuweiten (was durchaus auch Männern helfen könnte, sich in der Postmoderne besser zurechtzufinden) und für den Mut, Sex aus dem Mittelpunkt zu rücken.
Der Text streift einige wichtige Themen, ohne sie zu sehr theoretisch zu vertiefen und zu viele Fremdwörter zu verwenden. Der Text sollte sich auch für Uneingeweihte flüssig lesen und kommt ohne laute Schuldzuweisungen aus. Danach kann ihn eins entweder abhaken oder mit den angegebenen Stichworten vertiefen. Dass hinterher wer auf die Barrikaden geht, wage ich zu bezweifeln.
Für wen ist das eigentlich?
Kurz: Eher nicht für Menschen, die regelmäßig a*spec Podcasts hören oder eins von den erhältlichen englischsprachigen oder deutschsprachigen Sachbüchern gelesen haben, es sei denn, sie interessieren sich für die sexuelle Rezession.
Außerdem ist das Buch ungeeignet für Menschen, die etwas über die ace und aro Community lernen wollen oder ace oder aro questioning sind.
Super geeignet scheint es mir für vom Feminismus und Heterobeziehungen enttäuschte allosexuelle Personen. Sowie für alle, die sich um die Frage sorgen, warum industrialisierte Gesellschaften einem kollektiven, aber teils unbewussten Sexstreik (und damit Gebärstreik) immer näher rücken zu scheinen.
Erstes Manko: Quellen
Ich finde die Quellenangaben teils etwas spärlich. Zum Beispiel werden verschiedene Anziehungsformen vorgestellt. Ein Hinweis, wo sich mehr zum Split Attraction Model nachlesen lässt, fehlt aber, ebenso wie der Name dieses Konzepts. Butch-Femme-Dynamiken werden angerissen und gefühlt tendenziell verurteilt, was ich für die Butches, die ich kennenlernen durfte, nicht so toll finde. Auch da vermisse ich Belege – oder halt den Hinweis, dass es sich um Erfahrungswissen handelt.
Sexualnormen im Islam werden recht differenziert behandelt, aber so etwas bei einem derart aufgeheizten Thema ohne Quelle stehen zu lassen, erscheint mir nachlässig.
Zweites Manko: Willkommen im Club?
Trotz einiger wertvoller Quellen und Ideen bleibt ein Geschmäckle, wie eins im Süddeutschen sagt. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob die ace und aro Community, so wie ich sie kenne, zum Club gehört, der im Buch beschrieben ist.
Auf Seite 135: „Seit einigen Jahren gibt es zum Glück neue Studien und Bücher zum Thema Asexualität, wenn auch meistens im englischen Sprachraum …“
Was ist unsere Bücherliste? Leberwurst? Selbst wenn eins die nicht findet oder zu veraltet findet, reicht es aus, bei einem Online-Buchhandel der Wahl „Asexualität“ zu suchen und einige Sachtexte und Belletristik ausgeworfen zu bekommen. Genauso fehlt ein Hinweis auf die mit viel Liebe und Zeit ehrenamtlich erstellten a*spec Podcasts. Ist ja nicht so, als hätte das Buch am Ende nicht 9 (!) freie Seiten, auf denen „Zum Weiterlesen und -hören“ stehen könnte.
Desgleichen Seite 207 über alternative Beziehungsformen: „Die aromantische Community hat viele Konzepte entwickelt, die nicht nur für sie selbst, sondern für alle Menschen bereichernd sein können.“
Ist die aro Community damit dem „Kein Bock Club“ zuzurechnen? Ich bin mir nicht sicher. Einerseits schön, dass die aro Community separat genannt wird, andererseits erscheint es mir ein wenig wie die Reproduktion von Ausschlüssen. Statt Aros zu vereinnahmen, wie oft an der ace Community bemängelt, dürfen sie gar nicht mitspielen oder sind nur als Stichwortgebende erwünscht.
Es erschien wohl auch nicht opportun, beispielsweise auf die Liste von Kroschel und Baumgart in „(Un)Sichtbar gemacht“ zu verweisen, die neben queerplatonischen Beziehungen noch andere Optionen wie Soft Romo nennt.
Fazit
Insgesamt fühlt es sich beim Lesen nicht so an, als hätte da wer großen Bock auf die a*spec Community. Dazu sind wir eventuell nicht cool genug – wir sind insgesamt eher nerdig drauf und haben Mastodon statt Tiktok! Außerdem posaunen wir manchmal Informationen über loveless und aplatonische Personen raus, die nicht zum Plädoyer für die kuschelige Friendzone passen.
Konzepte abgreifen geht also, aber die Quellen und damit die jahrelange Wissensproduktion in der Community zu würdigen, scheint nicht nötig. Was es dann erschwert, sich mit allen anderen im „Kein Bock Club“ zu verbünden, die nicht ace sind, sondern aus anderen Gründen dauerhaft oder zeitweilig keine oder wenig oder selten Lust auf Sex haben. Obwohl es dringend nötig wäre.
Zurück bleibt ein ambivalentes Gefühl: Ein informatives Buch, das ein wenig Solidarität vermissen lässt. Gefühlt irgendwie typisch für die Zeit seit 2020.
