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Lesefutter: „Ein unvollständiger Mann“ – Exploitation statt Repräsentation

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Eines vorweg: Jedes Mal, wenn ich irgendwo LGTBQIA+ statt LGBTQI lese oder im Rahmen einer Veranstaltung explizit Asexualität und Aromantik erwähnt werden, mache ich innerlich jauchzend einen (ebenso innerlichen) Hopser. Manchmal geschieht beides auch sicht- und hörbar. Ich bin dermaßen ausgehungert nach Repräsentation und dankbar für Krumen, dass ich mich zuweilen dafür schäme. Zwar gibt es hin und wieder Artikel über Aspec-Erfahrungen, doch meist berichten sie über beide Identitäten im Format: „Wir haben hier ein interessantes Einzelschicksal, schaut, die Person ist trotzdem ein Mensch, sie erklärt uns nun ihre sonderbare Existenz“. Das ist oft ehrlich um Aufklärung bemüht und lieb gemeint, aber nicht das, was bitter nötig ist: Stories und Erzählungen, in denen Personen einfach aspec sind und ihr Erleben dadurch beeinflusst, aber nicht komplett definiert wird. Ich möchte asexuelle Raumschiffpilot*innen, Vampirjäger*innen, Bäcker*innen und Präsident*innen, Figuren, die selbstverständlich als sie selbst Geschichten erleben, ihre Welt prägen statt zu reagieren und mehr sind als ein kurioser Einzelfall. Und die auch allosexuellen Personen zeigen, dass unser aller Leben besser wird, wenn wir normative Vorstellungen von Sexualität und Beziehungen (nicht nur romantischer Art) hinterfragen.

Hintergrundinformationen zum Roman

Dementsprechend gespannt bin ich, worum es sich beim Roman „Ein unvollständiger Mann“ von Ralf Gerhardt handelt. Vorweg gab’s von der Promoagentur ein Interview, in dem zu lesen ist:

„Herr Gerhardt, Ihr erster Roman ‚Ein unvollständiger Mann‘ dreht sich um Asexualität, ein bisher wenig diskutiertes Thema. Was hat Sie dazu inspiriert?

Gerhardt: Ein Artikel in der ZEIT (…) hat mich darauf gebracht (…). Ich (…) war (…) beeindruckt, mit welcher Wucht diese Orientierung in den Alltag der Betroffenen grätscht.“

Das tut weh. Meine Orientierung grätscht nicht in meinen Alltag als aspec Person, der Alltag mit seiner Allo- und Heteronormativität selbst ist das Problem. Er lässt sich ändern, meine Orientierung nicht. Und statt unter ihr zu leiden, strebe ich die Änderung des Alltags an. Doch, so lässt uns die Agentur im Anschreiben wissen: „Wie gründlich der Autor recherchiert hat, ist seiner Coming-of-Age-Geschichte anzumerken.“

Erste Eindrücke

Es ist ungerecht, ein Buch dafür zu kritisieren, was es nicht ist. Angesichts der erwähnten, gründlichen Recherche muss ich allerdings annehmen, dass die meisten ihrer Ergebnisse keine Spuren im Buch hinterließen. Vielleicht beschränkten sich die Quellen auch nur auf die erwähnten Standard-Interviews mit asexuellen Personen, deren Autor*innen individuelles Leid betonen. Das allerdings würde keiner gründlichen Recherche entsprechen Vielleicht war es aber auch eine bewusste Entscheidung, die dem Autor selbstverständlich zusteht.

Mir ist nicht bekannt, ob Ralf Gerhardt, der „Ein unvollständiger Mann“ schrieb, selbst asexuell ist, auf meine Nachfrage erhielt ich keine Antwort. Falls nicht, ist die Entscheidung, die Geschichte aus Sicht des asexuellen Kolja Wolf in Ichform zu erzählen, mindestens gewagt, meiner Meinung nach aber geradezu dreist. Dass auch allo Person über Asexualität und asexuelle Figuren schreiben, ist notwendig und willkommen. Als ace Person zu schreiben ist jedoch, wie bei allen anderen Identitäten, die nicht der eigenen entsprechen, zum Scheitern verurteilt, solange es keine explizite asexuelle Beteiligung, kein Feedback und kein Lektorat durch Aspecs gibt. Und falls Ralf Gerhardt doch ace sein sollte, hoffe ich, dass er bald Anschluss an die Community findet und neue Perspektiven kennenlernt.

Der asexuelle Erzähler Wolf ist eine wenig komplexe, passive Figur, die zu Beginn der Handlung bewusst emotionalen und körperlichen Abstand zu anderen hält. Seine Attitüde ähnelt eher einem gloomy Teenager als einem Mittdreißiger. Da ihm eine aggressive, „männliche“ Sexualität fehlt, sieht er sich als den titelgebenden, unvollständigen Mann. Dieser empfundene Makel bestimmt jegliche Interaktion mit anderen Figuren. Ihnen gegenüber verhält er sich egoistisch, launisch, rüde und, zumindest in der Vergangenheit, teils gewalttätig. Erst durch Zufälle, amatonormative Liebe und Aufklärung durch seine allo Bezugspersonen gelangt er zu einem apologetischen Umgang mit seiner Sexualität und ist am Ende sozusagen „trotz allem“ ein Mann. Die allo-Figuren sind wie er unsympathisch und dazu übertrieben sexualisiert. Sie sind Karikaturen, die immerzu flirten müssen, wenn sie eine Person attraktiv finden und sich geistig auf einem permanenten Junggesell*innenabschied befinden.

Paralleluniversum?

Die im Text vorherrschenden Gespräche sind auch durch die Erzählstruktur des Romans ermüdend. Sie beschränkt sich auf Unterhaltungen an wechselnden Orten und ist als das Gegenteil von „show, don’t tell“ durchweg selbstreferenziell, ja hermeneutisch. Unklar bleibt, weshalb Wolf zwar den Begriff „asexuell“ kennt, ihn aber trotz eigener Besessenheit von mangelndem Interesse an Sex und allen daraus entstehenden Problemen nie recherchierte. Das Internet existiert, es werden Mails geschrieben und am Ende tauchen Prideflaggen in asexuellen Farben auf, über deren Design in unserer Realität 2010 online abgestimmt wurde.

Wenn Wolf sich im Internet umgesehen hätte, wäre ihm aufgefallen, wie wenig besessen von Nabelschau und Leid das Leben von Aces ist. Dass sie nicht die ganze Zeit darüber brüten, wie seltsam sie sind, sondern stattdessen eigene Ideen von erfüllten Beziehungen haben. Dass sie sich und ihre Umwelt reflektieren können, ohne sich selbst abzuwerten und andere zu meiden. Dass Queerness, anders, als die schwulen Charaktere im Buch nahelegen, nichts ist, was jemand tut, nämlich immerzu queeren Sex haben (wollen), sondern eine Art der Abweichung von gesellschaftlichen heteronormativen, sexistischen, patriarchalen Normen, die auch uns Aspecs mit anderen Identitäten verbindet. Und vielleicht auch, dass die Sexualisierung von Queerness an sich Teil eines Weltbilds ist, dass Heterosexualität im Gegensatz zu ihr als „gesund“ und „normal“ betrachtet und allen schadet.

Auch davon ist in „Ein unvollständiger Mann“ nichts zu lesen. Asexualität ist nur ein Auslöser von Konflikten, deren Lösung einer asexuelle Person selbst nicht möglich ist. Der übergriffige Freund, der Wolf einst nicht konsensuellen Sex unter Drogeneinfluss aufzwang, weiß am Ende mehr über Asexualität als der asexuelle Wolf selbst. Ahnungslos wird die einzige asexuelle Figur durch eine Handlung geredet, die nicht genügend Camp und Humor besitzt, um das übergroße Drama einer Telenovela zu bieten, aber ähnliche dramaturgische Kniffe bemüht. Sie ist zu szenisch abgefasst, um als Roman zu gefallen oder durch Beschreibungen von Personen, Orten und Gefühlen zu unterhalten. Dazu fehlt jede gesellschaftliche Dimension, die Figuren haben Berufe, aber keine Identität und befinden sich abseits zeitgenössischer queerer Diskurse fest in konservativen Ideen von Männlichkeit und Heteronormativität verhaftet, die sie durch oberflächliche Exzesse nur verstärken.

Fazit

Ich weiß nicht, für welches Publikum das Buch geschrieben wurde. Falls für Aspecs, sollten wir uns auch angesichts fehlender Repräsentation nicht mit dem hier Gebotenen zufrieden geben. Wurde es für Allosexuelle verfasst, setzt es das übliche othering im Protagonisten Wolf selbst fort und lässt die Möglichkeit, auf über 350 Seiten nicht nur über Asexualität, sondern Sexualität an sich aufzuklären, ungenutzt verstreichen. Nicht einmal der Unterschied zwischen Libido und sexueller, romantischer und anderen Arten von Anziehung wird, und sei es in Form eines Glossars am Ende des Bandes, dargelegt.

Als aspec Person stachelt mich das mehr an, als dass es mich aufbringt, ich weiß ja, wie vieles noch klargestellt werden muss. Zum Beispiel, dass ein Leben als asexuelle Person zwar durch Allo- und Heteronormativität erschwert wird, Asepcs aber mehr zur Gesellschaft beizutragen haben als die Rolle des seltsam Anderen, die andere in ihrer vermeintlichen Normalität bestärkt, indem sie „trotzdem“ wie Allos leben wollen und das freundlicherweise manchmal unter Mithilfe viel entspannterer, offenerer Allos dürfen. Wir haben nicht einfach nur einen geringeren Anteil an gesellschaftlichen Normen entsprechenden Beziehungen oder lehnen sie ab, wir queeren sie. Und diese transformative Kraft der Queerness ist erstaunlicherweise das, was mir in diesem Buch, einer Exploitation Fiction über Asexualität, mehr als andere fehlt. Eine Geschichte, die darauf nicht eingeht, ist nicht automatisch misslungen, nur weil sie diese, und in diesem Fall explizit meine, Erwartungen nicht erfüllt. Doch was hier stattdessen erzählt wird, reicht nicht aus, um zu überraschen und vergessen zu lassen, was fehlt.

Ralf Gerhardt: Ein unvollständiger Mann. Erschienen 2023 im Selbstverlag, 356 Seiten. Hardcover-ISBN 3347907035 (24,90 €), Softcover-ISBN 3347907027 (16,90 €)

Bestellbar unter anderem bei tredition.

Diese Rezension wurde verfasst von: Lennart. Wir haben dafür eine elektronische Kopie gratis erhalten.

Noch mehr Lesefutter: „Ace“ von Angela Chen

Vor einem guten Monat erschien auf Englisch ein Buch von Angela Chen namens „Ace – What Asexuality Reveals About Desire, Society and the Meaning of Sex“ (Beacon Press Boston, ISBN 978-0-8070-1379-3).

Da ich mir ja zur Aufgabe gemacht habe, beim Thema Asexualität wenigstens halbwegs auf de aktuellen Stand zu sein, habe ich es gekauft, und als Abschluss der Ace Week für euch eine Meinung dazu verfasst.

Wobei ich sagen muss, dass mich sonst das Cover mit diesen Flecken (Buntpapierfetzen wie früher im Kunstunterricht?) ein wenig abgeschreckt hätte. Mit dem Inhalt hat es jedenfalls erst nach einer Pause zum Nachdenken zu tun.

Kurze Inhaltsübersicht

Der Text liest sich sehr flüssig. Ausgehend von eigenen Erfahrungen hat Angela Chen einige Dutzend andere Aces interviewt und deren Geschichten in Fragestellungen an die US-Gesellschaft verwandelt:

Schadet die allgemeine Erwartung, dass Männer immer super versessen auf Sex seien, genau dieser Personengruppe?

Hat uns die sexuelle Befreiung uns wirklich freier gemacht?

Inwieweit haben wir Überschneidungen mit Vorurteilen gegenüber rassifizierten Menschen, Menschen mit BeHinderung, und religiösen Stereotypen?

Was bedeutet eigentlich „romantisch“? Wo ist die Grenze zwischen Romanzen und Frenudschaft? Und wieso ist Sex ein Maßstab bei der Bewertung, wie wichtig eine Beziehung sein darf?

Was ist „compulsory sexuality“ (Sexnormativität) und was ist hermeneutische Ungerechtigkeit? Wie verhindern unsere Vorstellungen von Sex und dem, was Menschen wollen, dass Menschen eben nicht das tun (oder lassen), was sie möchten?

Das alles bereitet Chen informativ und verständlich auf.

Sehr tröstlich ist auch die Einflechtung der verschiedenen Lebensgeschichten. Obwohl ich genug Aces kenne, tut es immens gut, ein paar Fragen und Probleme gespiegelt zu sehen, die ich auch schon hatte.

Mehr Kompendium als Erleuchtung

Der Witz ist, dass ich dieses Buch nicht unbedingt gebraucht hätte, und da werden manche ähnlich empfinden. Was Angela Chen zusammengetragen hat, wissen halbwegs aufmerksame Beobachtende der asexy Blogosphäre schon.

Ich selbst fand also in dem Buch sehr wenig neue Anstöße, sondern eher eine Zusammenfassung von klugen Gedanken, die ich bei oder dank der Asexual Agenda schon gelesen habe. Damit will ich Angela Chens Fähigkeit, pointierte Fragen zu stellen und Dinge zu beobachten, gar nicht in Abrede stellen. Es wird Menschen im asexuellen Spektrum geben, die diese Diskussionen nicht so genau mitverfolgt haben oder viel später dazugestoßen sind, und die dieses Buch dann umso mehr schätzen werden. Außerdem hat eine gedruckte, zitierfähige Zusammenfassung von Online-Diskussionen immensen Wert.

Was ist eigentlich die Zielgruppe?

Einerseits steht das erklärte Ziel des Buchs schon auf dem Cover: Wie können die Lebensgeschichten asexueller Menschen helfen, besser zu verstehen, wie die westlichen Gesellschaften in Bezug auf Sex ticken? Was können wir alle gewinnen, wenn wir Dinge aus einer asexuellen Perspektive betrachten?

Das heißt, die Zielgruppe sind vornehmlich Menschen, die sich nicht als ace begreifen.

Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob es gelungen ist, diese Zielgruppe anzusprechen.

Was es aber zu tun scheint, und da sind Sara von the notes which do not fit und ich einer Meinung mit diversen Menschen, die bei Amazon Rezensionen hinterlassen haben: Es ist hilfreich für unentschlossene Menschen und solche, die ein nagendes Unbehagen mit den Erwartungen spüren, die uns die Sexnormativität aufbürdet.

Brauche ich das?

Kommt drauf an.

Wer sowieso schon alles zum Thema gelesen hat und sich mit der eigenen Selbstbeschreibung als ace wohlfühlt, braucht es nicht unbedingt und folge weiterhin den relevanten Blogs.

Wer einen kurzen und knackigen Einstieg in die aktuellen Debatten sucht, ist hier genau richtig.

Ebenfalls sehr sinnvoll erscheint es für jene, die überlegen, ob sie sich ins asexuelle Spektrum verorten sollen oder wollen. Wir finden hier all die Selbstzweifel und Einwände, die in dieser Findungsphase am drängendsten sind.

Insofern hat Angela Chen auf jeden Fall etwas getan, das mich das Hütchen lüpfen lässt: Ein Ratgeberbuch verfasst, ohne einen einzigen Ratschlag zu verteilen.

 

Eine etwas andere Meinung zum Thema hat Ace Admiral.

 

Crosspost bei carmilladewinter.com, aktivista.net und Amazon.

Lesefutter Reloaded

Anlässlich der Ace Week wollen wir unsere Rubrik „Lesefutter“ reaktivieren. Passend auch zu dunklen Abenden, an denen es schön ist sich gemütlich mit einer Tasse Tee und einem Buch auf dem Sofa einzumummeln. Die heutige Buchvorstellung ist ein Gastbeitrag von Dorace vom Aspec*German Discord, die so freundlich war ein paar Eindrücke zu „Loveless“ von Alice Oseman mit uns zu teilen. Viel Spaß dabei!

Heute möchte ich mit Euch meine Gedanken zum Buch „Loveless” von Alice Oseman teilen. Bevor ich es selber in die Hand nehmen konnte, habe ich schon zahllose Erzählungen von anderen gehört und gelesen die davon berichteten, sich zum ersten Mal durch ein Buch zutreffend repräsentiert zu fühlen. Ich war absolut gespannt, das Buch zu lesen, und was soll ich sagen: ich wurde nicht enttäuscht!

Bei Loveless handelt es sich um einen YA Roman, die Charaktere sind junge Studierende, und die Protagonistin, Giorgia ist aromantisch asexuell. Es ist nicht das erste Buch von Oseman mit Aspec Charakteren, wobei es in Radio Silence (worüber ihr unten auch eine kurze Vorstellung lesen könnt), eher nur eine Nebensache war. In Loveless aber, wie der Titel auch schon andeutet, geht es explizit um Giorgia’s Suche nach ihrer romantischen und sexuellen Identität. Es ist dabei auch interessant zu wissen, dass Oseman selber aroace ist. Giorgia ist sogar nicht mal die einzige Aspec Person in der Geschichte – es gibt eine weitere, die aromantisch bisexuell ist. Aber auch die anderen Hauptcharaktere weisen eine große sexuelle und ethnische Diversität auf, wie das eigentlich typisch für Oseman ist.

Auf dem Weg zum Herausfinden ihrer Identität begeht Giorgia viele Fehler, und fühlt sich mit ihren Ängsten alleine. Ängste davor komisch, anders, „broken” zu sein, und vor allem vor der Einsamkeit, was die meisten Aspec Leser:innen wahrscheinlich sehr gut nachvollziehen können. Freundschaft spielt in dem Buch auch eine sehr große Rolle, es wird sogar nach meinem Empfinden als etwas viel Stärkeres und Wertvolleres (oder zumindest auf der gleichen Ebene) als eine romantische Beziehung dargestellt. Obwohl es sich hauptsächlich um Jugendliche zwischen 18 und 20 handelt, spiegelte es auch viele meiner Gefühle mit Mitte Zwanzig wider. Was mich an dem Buch am Meisten begeistert, ist der Gedanke, dass viele Teenager und Jugendliche vielleicht zum ersten Mal ein Buch in der Hand halten, in dem sie detailliert über A_sexualität und A_romantik lesen können. Hoffentlich kann das Buch einigen Menschen helfen zu verhindern, in die gleichen Fallen zu tappen wie Giorgia.

Ich kann das Buch allen Jugendlichen stark empfehlen, die auf der Suche nach ihrer Identität sind, die sich auf dem asexuellen und/oder aromantischen Spektrum befinden und sich in den mainstream YA Romanen nie wiederfinden können. Das Buch loht sich aber auch für allen anderen Altersgruppen und Menschen, die einfach A_sexualität und A_romantik und die darum existierende Struggles und Schwierigkeiten verstehen wollen.

Lesefutter die Dritte

Da passend zur Asexual Awareness Week eine Rezension auf einem Buchblog erschien, die einen deutschsprachigen Roman mit asexuellen Figuren betraf, und ich krank war, habe ich mir das Teil in elektronischer Form gekauft.

Es handelt sich um „Perfect Rhythm – Herzen im Einklang“ von Jae, das beim Ylva-Verlag erschienen ist.

Worum geht’s?

Wir folgen dem ausgebrannten Popstar Leontyne Blake in ihn Heimatdorf in Mississippi, wo ihr Vater nach einem Schlaganfall stark pflegebedürftig ist. Weil Leo lesbisch ist und lieber die Popmusik als Klassische Musik als Karriere verfolgen wollte, haben die beiden seit vierzehn Jahren nicht mehr miteinander gesprochen.

Das ist der Hintergrund für eine Romanze, die sich zwischen Leo und der Krankenschwester ihres Vaters entspinnt: Holly fasziniert Leo vom ersten Tag an. Holly taut sehr viel langsamer auf. Erst hält sie Leo für eine arrogante, verwöhnte Schnepfe, dann steht ihr die Tatsache im Weg, dass sie asexuell ist. Dass Leo auf ihre Eröffnung entspannt reagiert und es trotzdem mit ihr versuchen möchte, kann sie nach ein paar gescheiterten Beziehungen kaum glauben.  Leo hingegen ist nebenbei damit beschäfigt, ihr komplettes Leben auf den Prüfstand zu stellen: Sie hat Unmengen Geld, die Fans lieben sie, aber ist sie glücklich?

Vom erzählerischen Standpunkt aus:

Bis auf die Tatsache, dass die Autorin sich das mit dem Songtexten nochmal überlegen sollte, erinnert sich meine innere Lektorin an exakt ein überflüssiges Komma. Jae beherrscht ihr Handwerk des Liebesromanschreibens und der Verlag hat in ein sorgfältiges Korrektorat investiert.

Und ja, es ist ein Liebesroman, daher kann es sein, dass manche die Entwicklungen etwas überstürzt finden und dass alles ein bisschen zu perfekt passt. Der an Liebesromane gewöhnte Rest lehne sich entspannt zurück und seufze romantisch: Sie werden nicht enttäuscht.

Vom asexy Standpunkt aus:

Der Roman spielt in einer Kleinstadt, wo neben Holly als geouteter „Lesbe“ offenbar nur noch eine andere queere Person rumstolpert, nämlich ihre ungeoutete Exfreundin. Wir haben also kein Ensemble aus dem asexuellen Spektrum, das persönlich anwesend sein kann. Holly und damit die Autorin verlassen sich, wie so ziemlich alle asexuellen Menschen jenseits der Stammtisch-Epizentren, daher auf Internetkontakte. Es wird ein anderes Ace näher vorgestellt: Meg mit ihrer queerplatonischen, allosexuellen Partnerin Jo.

Die unterschiedlichen Reaktionen von Menschen auf Holly wirken sehr real, es kann also sein, dass manche sich da wiederfinden.

Die Darstellung von Holly als sex-favorable, romantisch veranlagtes Ace wirkt stimmig — wobei hier Hinweis: Es gibt eine Sexszene, vor der die Autorin aber auch noch mal gesondert warnt. Auch diese Szene wirkt stimmig zu dem, was ich so mitgekriegt habe. Nichts wird überstürzt und Holly ist hinterher nicht irgendwie „geheilt“.

Fazit:

Es ist ein Liebesroman, soll also eine Feel-Good-Atmosphäre verbreiten, was ihm auch mühelos gelingt. Wer auf gut gemachte Unterhaltung mit ein bisschen US-Flair steht, wird hier fündig.

 

 

Lesefutter die Zweite

Es hat etwas länger gedauert als ursprünglich mal angedacht, aber hier ist nun mal wieder eine Buchbesprechung. Diesmal handelt es sich um „All the Wrong Places“ von Ann Gallagher. Ich habe das Buch zu Weihnachten bekommen und bin jetzt über Ostern endlich dazu gekommen es zu lesen – der Jahresauftakt war etwas turbulent…Für einen ersten Eindruck kann ich sagen, ich hab das Ding in einem Tag weggelesen!

Die Geschichte hat zwei Hauptcharaktere und die Kapitel sind immer abwechselnd aus ihren unterschiedlichen Perspektiven geschrieben. (Tatsächlich ist das einer meiner wenigen Kritikpunkte, durch den ständigen POV Wechsel war ich manchmal kurzzeitig verwirrt in wessen Kopf ich mich jetzt gerade befinde.) Zum einen gibt es Brennan, der zu Beginn der Geschichte gerade die Trennung von seiner (Ex) Freundin hinter sich hat. Er erwischt sie mit einem anderen im Bett (off screen) und sie gibt ihm als Grund für ihren Seitensprung, dass „eine Frau Bedürfnisse hat“ und er die offensichtlich nicht befriedigen konnte. Weil seine beiden vorangegangenen Beziehungen bereits mit sehr ähnlichen Sätzen in die Brüche gegangen sind, will Bren nun versuchen heraus zu finden was er beim Sex falsch macht. Eine Therapie erscheint ihm übertrieben und Pornos wählt er als Weiterbildungsmaterial auch ab, stattdessen beschließt er sich bei den fachkundigen Menschen im lokalen Sex Shop Rat zu suchen.

Rat findet er auch, und zwar bei Zafir, dem zweiten Hauptcharakter. Nach einigem hin und her wirft Zafir die Option in den Raum, dass Bren vielleicht asexuell sein könnte – genau wie er selbst. Bren ist erst mal ein bisschen überfordert mit der Aussicht, ist er doch immer einfach davon ausgegangen das er hetero ist, und zieht ein bisschen ruppig ab. Nach ein wenig Zeit zum Nachdenken und weiterer Internetrecherche geht er jedoch zurück in den Sex Shop um Zafir weitere Fragen zu stellen. Sie kommen ins Gespräch und über mehrere Treffen, die sich nicht ausschließlich um Asexualität drehen, sondern mit der Zeit auch um ganz alltägliche Sachen, werden die beiden Freunde.

Ein paar Worte noch zu Zafir. Er ist alleinerziehender Vater eines 9 jährigen Sohns, der auch immer wieder vorkommt. Um ihm möglichst alles bieten zu können was ein Kind braucht arbeitet er zwei Jobs. Er weiß seit einiger Zeit das er asexuell und biromantisch ist und ist auch in seiner Identität angekommen, man erfährt aber, dass das durchaus ein Stückchen Arbeit war. Außerdem ist er Muslim und im Libanon geboren, was immer mal wieder Thema ist.

Die Handlung an und für sich ist eigentlich eher unspektakulär, die beiden lernen sich kennen, freunden sich an, man hat Szenen aus ihrem Alltag, Gespräche über Asexualität, den Mangel an Zeit und Geld als alleinerziehender Vater mit schlechter Ausbildung, Skateboarden (Bren ist semi-professioneller Skateboarder und fängt später auch an Zafirs Sohn zu unterrichten), vergangene Beziehungen, Familie… Gerade das hat es aber für mich authentisch gemacht, keine Übermenschen, die für jedes Problem eine Lösung aus dem Ärmel schütteln. Natürlich gibt es auch den einen oder anderen Aufreger, aber auch das sind irgendwie reale Konflikte, die nach meinem Empfinden auf gute Weise gelöst werden.

Eigentlich soll es hier ja aber um einen Kommentar zur Darstellung der Asexualität gehen, und ich muss sagen, ich war schlicht weg begeistert! Dadurch das Bren seine Sexualität im Laufe der Geschichte entdeckt, hat man recht ausführliche Szenen darüber, wie es denn sein kann, dass man sich trotzdem verliebt oder Sex mit anderen Menschen hat, auch wenn man asexuell ist. Man hat außerdem aus Zafirs Perspektive die Freude darüber einen anderen Menschen zu treffen der asexuell ist, und nicht eine stundenlange Autofahrt entfernt lebt (Zafir geht manchmal zu einer Ace Gruppe in Seattle, was aber eine mehrstündige Anfahrt für ihn bedeutet). Einem Interview zufolge das ich gefunden habe ist die Autorin selbst nicht a_sexuell, aber sie hat auf jeden Fall ihre Hausaufgaben gemacht und sich wohl auch von eigenen Erfahrungen beim Erleben ihrer Bisexualität inspirieren lassen. Alles in Allem kann ich das Buch also was das betrifft nur wärmstens empfehlen!

Auch diesmal wieder die Frage nach konstruktiver Kritik, gibt es Menschen die das Buch schon gelesen haben und etwas ergänzen wollen oder eine andere Meinung dazu haben? Gibt es Vorschläge für andere Bücher? Kommentare werden immer gerne entgegen genommen.

Lesefutter

Heute mal eine Neuheit hier, nämlich eine Buchbesprechung. Bücher mit a_sexuellen Charakteren sind eine ziemliche Nische und oft ist es schwierig ab zu schätzen, ob man sich mit der Darstellung von A_sexualität darin wohl fühlt. Daher entstand die Idee immer mal Bücher vorzustellen, die wir selbst gelesen haben, und einen kleinen Einblick zu geben, wie darin mit A_sexualität umgegangen wird. Und los geht es heute mit dem Buch, in dem ich zum ersten Mal einem a_sexuellen Charakter begegnet bin – Radio Silence von Alice Oseman.  Das habe ich mir vor ca. 1 ½ Jahren zugelegt, leider ist es auch bisher noch nicht auf Deutsch erschienen. Aber die Sprache ist nicht übermäßig anspruchsvoll, man sollte sich also nicht zu schnell davon abschrecken lassen, dass es auf Englisch ist.

Was mich damals auf das Buch aufmerksam gemacht hat, war der erste Satz eine Rezension der lautete: „Es ist ein Buch über einen Jungen und ein Mädchen die beste Freunde sind und nicht zusammen kommen.“ Das hat mich direkt neugierig gemacht. Ich bin mittlerweile an einem Punkt in meinem Leben wo ich bei Büchern mit Protagonist_innen im Teenager Alter immer ein bisschen vorsichtig bin, zu häufig gab es irgendwelche Dreiecks-Beziehungen zwischen Freunden auf die ich hätte verzichten können. Außerdem habe ich, was die queere Repräsentation betrifft, keine Lust mehr immer ähnliche Coming-Out Stories zu lesen/zu sehen. So wichtig solche Geschichte sind, gerade für Teenager in ihrer Findungsphase – das stelle ich nicht in Abrede! – aber wenn man der 30 näher als der 20 ist, findet man sich da dann nicht mehr unbedingt wieder. Doch ein YA Buch in dem ein Mädchen und ein Junge tatsächlich einfach „nur“ befreundet sind?! Das war quasi neu für mich, also musste ich es direkt lesen.

Was ich besonders an dem Buch mochte war die sexuelle und ethnische Diversität. Drei der fünf Hauptcharaktere sind nicht weiß, und bei vier der fünf wird ausdrücklich gesagt das sie in den LGBT+ Bereich fallen. Und bei der fünften bekommt man stark den Eindruck das sie ebenfalls irgendwo in den bi/lesbisch Bereich fällt. Trotzdem sind weder Sexualität noch Herkunft die Dreh- und Angelpunkte der Handlung. Sie tragen natürlich zum Charakter der Personen bei, sind aber nicht ihr einziges Merkmal. Wichtige Themen sind Selbstfindung und – verwirklichung, das Leben als Außenseiter_in, Freundschaft und Kommunikation in Beziehungen aller Art, die Frage danach wie man Erwartungen gerecht wird und wo man eine Grenze ziehen muss um sich selbst treu zu bleiben. Außerdem gibt es eine Eltern-Kind Beziehung die sehr von emotionaler Erpressung und mentalem Missbrauch geprägt ist, wenn man auf solche Sachen empfindlich reagiert, sollte man das Buch vielleicht doch besser meiden.

Warum ich dieses Buch hier heute vorstelle ist aber natürlich letztlich schon die Darstellung von Sexualität, einer der Charaktere ist dezidiert demisexuell und die Szene in der er das erklärt hat mir sehr sehr gut gefallen. Darin wird auch A_sexualität generell erwähnt und demisexuell dann eben als Teil des Spektrums. Es kommen auch Ängste im Zusammenhang mit einem Coming-Out zur Sprache, vor allem die Sorge nicht ernst genommen zu werden und der Vorwurf als „special snowflake“ gelten zu wollen. Ich glaube das ist etwas, was viele a_sexuelle Menschen nachvollziehen können, unabhängig vom Alter. Die Erzählerin, Frances, fällt für mich nicht nur in den a_sexuellen, sondern auch den a_romantischen Bereich, auch wenn das – leider – nicht so ausdrücklich gesagt wird. Aber sie äußert mehrfach ihr Desinteresse und Unverständnis für Sex, Küsse und Beziehungen im Allgemeinen und beschreibt ihre Schwärmerei für eine Freundin wie folgt: „I think the main reason I had a crush on her was because she was pretty, and I think the secondary reason I had a crush on her was because she was the only queer girl I knew. Which is a bit silly, the more I think about it.“ („Ich glaube der Hauptgrund warum ich für sie geschwärmt habe war, dass sie hübsch war. Und ich denke der zweite Grund war, dass sie das einzige queere Mädchen war das ich kannte. Was, je mehr ich darüber nachdenke, eigentlich ein bisschen lächerlich ist.“)

Alles in allem richtet sich das Buch zwar schon eher an ein Publikum zwischen sagen wir mal 16 und 22, aber ich finde es kann auch für Leser_innen anderer Altersgruppen interessant sein. Besonders wenn man Freude an diversen Protagonist_innen und auch noch einen gewisse Affinität zu Social Media hat. Denn es wird viel über Twitter und Tumblr kommuniziert, und ein Podcast spielt auch eine sehr wichtige Rolle (darin geht es übrigens um einen agender Charakter) – es ist also wirklich eine Geschichte aus den 2010ern.

Da dies die erste Buchbesprechung hier ist, wird konstruktive Kritik immer gerne entgegen genommen, war es zu unpräzise oder zu viele Spoiler? Was erwartet ihr von einer Besprechung unter dem Gesichtspunkt der Darstellung von A_sexualität was hier vielleicht noch gefehlt hat? Habt ihr Radio Silence auch schon gelesen und wollt etwas ergänzen oder meine Wahrnehmung diskutieren/korrigieren? Habt ihr Vorschläge was für Bücher wir hier anschauen könnten? Reaktionen am besten als Kommentar oder über unsere Facebook-Seite.

Endlich auf Deutsch: Loveless von Alice Oseman

Nachdem wir 2020 die englische Version von Alice Osemans Loveless besprochen hatten, erreichte uns 2021 vom Loewe-Verlag eine erfreuliche Nachricht. Das Buch sollte auf Deutsch erscheinen. Ob AktivistA ins Verzeichnis nützlicher Adressen dürfte?

Natürlich haben wir zugestimmt. Und sogar ein Belegexemplar bekommen! Dies ist also das erste Mal in meinem Leben, dass ich (Carmilla) ein Belegexemplar rezensiere. (Eine weitere Vergütung dieser Rezension ist nicht erfolgt. Wir wurden außerdem nicht um Werbung gebeten.)

Ganz kurz noch mal: Worum geht es bei Loveless?

Die achtzehnjährige Georgia ist zum Schulabschluss noch ungeküsst. Im ersten Semester an der Uni will sie dringend etwas daran ändern. Schließlich möchte sie nicht Loveless sein — ohne Liebe. Dazu bittet sie ihre Mitbewohnerin Rooney um Rat. Alles gerät außer Kontrolle, als Rooney auffällt, dass Georgias bester Kumpel in sie verliebt ist. Rooney ermuntert Georgia, da etwas draus zu machen, obwohl Georgia (noch?) gar nicht zurückverliebt ist.

Kleine Kritteleien

Es gilt zu beachten, dass die Rezensentin häufiger dafür bezahlt wird, anderer Menschen Texte zu lektorieren oder korrigieren. Persönlich hätte ich als Lektorin um weniger Kursive und Großbuchstaben gebeten. Zudem lässt der Buchsatz im Print an Sorgfalt zu wünschen übrig.

Was erwartet die Lesenden?

Ihr bekommt eine asexuell-aromantische Selbstfindung:

Ich hatte mein ganzes Leben damit verbracht zu glauben, dass romantische Liebe auf mich wartete. Dass ich sie eines Tages finden würde und dass ich dann endlich glücklich sein würde.

So was habe ich auch mal geglaubt. Insofern ist das nicht nur ein Buch für Aces, sondern auch für solche, die vielleicht einen Stups in die Richtung aro und/oder ace brauchen. Und zuletzt für alle, die Romane mögen, in denen Freundschaften gefeiert werden.

Dazu serviert Oseman Irrungen fast Shakespear’schem Ausmaßes, viel Humor, kluge Gedanken über die Natur der Liebe und ein völlig unromantisches Happy End.

Der Stil ist locker-flockig. Oseman beherrscht ihre Spannungsbögen und zeichnet außerdem liebevoll runde Figuren, die ich einfach umarmen will.

Auch an der Qualität der Übersetzung ist nicht zu kritteln. Die lässt nicht ahnen, dass ein englisches Original dahintersteckt.

Formalia

Alice Oseman: Loveless: Wann endlich beginnt meine Story? Erhältlich überall im Buchhandel unter der ISBN 978-3-7432-1219-0 (Taschenbuch) oder ISBN 978-3-7320-1751-5 (ePUB).

Für mehr: Vorstellungsseite des Verlags.

 

Video/Vortrag: Asexualität und Sprache

Im Rahmen der AktivistA 2020 hat Jonas Trochemowitz seine Forschungsarbeit zum Thema Sprache vorgestellt. Der Vortrag heißt: „Nein, Niemals, Nicht, Kein. Die Rolle der Negation in der Versprachlichung von Asexualität.“ Wie oft kommen Verneinungen in Texten über Asexualität vor? Was sind die Stärken und Schwächen der Verneinung?

„Nein“ hat Vor- und Nachteile

Über die Ambivalenz von Verneinungen haben wir auch in der Diskussion hinterher gesprochen.

„Nein“ ist einmal eine Stärke, denn es gibt uns die Möglichkeit, Erwartungen zu widersprechen.Wir können damit unsere Grenzen schützen — sofern andere unser „Nein“ nicht bewusst oder unbewusst ignorieren.

Zum anderen bezieht sich „Nein“ immer auf etwas, das ich verneinen kann. Es existiert also nur wegen der Sache, die es verneint. Bestätigt es gerade dadurch die herrschenden Annahmen?

Wir fragten uns, wozu Definitionen da sind. Gibt es in der Community eine andere Wahrnehmung von Verneinungen als von außen? Und kann es sein, dass „ace“ so beliebt ist, weil es eben sprachlich positiv ist?

Beziehungen führen ohne Nein?

Von da aus kamen wir auf das, was eine teilnehmende Person „Beziehungsbox-Modell“ nannte. Dafür werden sehr viele Unterkategorien (Boxen) aufgemacht. Alles, was den Menschen in einer Beziehung wichtig ist, bekommt ein eigenes Fach. Sex? (Welcher?) Zusammen kochen? Eine Interesse an …? (Ich könnte beispielsweise wohl kaum mit Menschen leben, die meine Büchersammlung nicht respektieren, dafür aber jede Nacht im gleichen Bett schlafen wollen.)

Dadurch werden Verneinungen vermieden. Die Beteiligten können ihre eigenen Gewichtungen der verschiedenen Boxen gegeneinander abwägen.

Weiterführende Links und Literatur

DasTenna empfahl „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay. Außerdem neu erschienen ist Angela Chens „Ace: What Asexuality Reveals about Desire, Society, and the Meaning of Sex“. (Vor einiger Zeit haben wir eine kurze Besprechung gepostet.)

Von da aus streiften wir außereuropäische Überschneidungen. Alle Links auf Englisch.

Eine Betrachtung von Ehen unter Frauen in China vor 1940.

Das Aze Journal kümmert sich gelegentlich auch um Konzepte aus älteren Kulturen.

Diverse Menschen aus Kanada, USA, Großbritannien, Deutschland und Israel beim International Panel der World Pride Asexuality Conference 2012.

Und ganz neu: Rassifizierte Menschen über Asexualität bei der UK Acesexuality Conference 2020. Die Person aus Indien hat Indian Aces mitgegründet.

Von der Community für die Community

Bei unserer diesjährigen Konferenz hatten wir eine kleine Diskussionsrunde zum Thema „Was braucht die Community?“

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Zunächst mussten wir uns darüber einigen, was „die Community“ eigentlich ist. Abseits jeglicher Abkürzungen einigten wir uns darauf, dass es sich dabei um sämtliche Menschen handelt, die sich im asexuellen Spektrum verorten oder verorten könnten, wenn sie davon wüssten.

Erster Schluss: Die Community ist nicht so groß, wie sie sein könnte.

Zweiter Schluss: Für die Aufklärungsarbeit ist ein Anschluss an die LSBTTIQ-Community (oder andere Buchstabenkombinationen) strategisch sinnvoll. Daraus ergibt sich aber keine Vorschrift für Einzelne, sich im queeren Bereich zu verorten.

Dritter Schluss: Bei diesem Thema ist Toleranz bzw. Akzeptanz von allen Seiten gefragt. Elitäre Meinungen wie „wir sind nicht so von Hormonen getrieben“ von a_sexueller Seite sind genauso wenig angebracht wie ein „du bist nicht queer/diskriminiert genug“ von anderen Buchstabengruppen.

Es folgte ein Haufen Ideen Vorschläge, was AktivistA so machen könnte. Ein paar davon wollen wir umsetzen. Andere sind nette Wunschträume für in zehn Jahren.

Weil:

AktivistA besteht aus, Trommelwirbel, sechzehn Personen. Von denen alle ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Manchmal auch am Wochenende, weil sie in Läden, Krankenhäusern oder bei Selbst&Ständig arbeiten. Manche haben Familie und/oder sind nicht so mobil.

Vierter Schluss: AktivistA als Verein kann nicht beliebig Vorträge halten, Infostände auf jeden CSD und noch weniger in x-beliebige Fußgängerzonen stellen, selbst wenn genug Geld vorhanden ist. (Für den Infostand in Freiburg waren das mit Fahrt etc. 30 Arbeitsstunden vom Verein plus die einiger Freiwilliger vom dem lokalen Stammtisch. Und das war einer von fünf Infoständen. Bitteschön.)

AktivistA würde gern mehr machen, aber unsere Kräfte sind begrenzt.

Insofern möchte ich John F. Kennedy paraphrasieren:

„Frage nicht, was deine Community für dich tun kann, sondern was du für deine Community tun kannst.“

Was könnt ihr tun?

Geheimtipp: Es braucht keine riesige, teure Aktion, wenn alle mithelfen, so gut sie können, und bereit sind, sich fünf Minuten pro Woche außerhalb ihrer gewohnten Blase zu betätigen.

Es gibt einige niedrigschwellige Möglichkeiten.

Und das beste ist: Die funktionieren auch für andere Minderheiten!

Wer in den sozialen Netzwerken unterwegs ist:

Ihr könnt unsere Facebook-Seite liken und uns folgen. Ihr könnt alte Artikel über Asexualität verteilen, oder die neuen, die wir verlinken — mit der richtigen Notiz dazu outet ihr euch nicht mal. Ihr könnt auch unsere Veranstaltungen verteilen. Gern auch in Gruppen und Netzwerken, wo ihr sie noch nicht gesehen habt.

Wir sind auf tumblr, wenn auch wenig aktiv. Ihr könnt uns folgen und unsere Links, Blogbeiträge und Veranstaltungen verteilen. (Menschen von tumblr sind immer am meisten überrascht, wenn sie uns im echten Leben treffen. Der Grund ist, dass jedes Soziale Netzwerk davon lebt, so lange wie möglich die Aufmerksamkeit der Benutzenden zu binden. Tumblr kann das sehr gut.)

Wenn ihr bei uns auf der Webseite runterscrollt, findet ihr ein Feld „Blog via E-Mail abonnieren“, falls ihr kein RSS-Feed mögt. Sämtliche neuen Blogeinträge flattern euch dann wie ein Newsletter in den elektronischen Postkasten. Solche Blogeinträge könnt ihr dann auch auf anderen Netzwerken verteilen, in denen wir nicht oder wenig aktiv sind. (twitter, google+ …)

Wer bei einer Bibliothek ein Online-Konto hat, kann auf elektronischem Weg Anschaffungsvorschläge machen. Ansonsten liegen in Büchereien auch Karten dafür aus, oder es gibt einen Link im elektronischen Katalog. Wenn die Bibliothek englischsprachige Bücher führt, könnt ihr als Sachbuch „The Invisible Orientation“ vorschlagen oder einen englischsprachigen Roman mit asexuellen Figuren. Bei uns gibt’s auch ein paar Buchbesprechungen. Die verfügbaren Texte auf Deutsch sind etwas rarer gesät, aber auch die könnt ihr vorschlagen. DasTenna hat eine kleine Liste zusammengestellt.  Oder ihr schaut beim AVEN-Forum, da gibt es einen Thread zum Thema.

Falls ihr ein bisschen mehr Fußarbeit leisten könnt:

Schreibt uns an, bestellt Flyer und Broschüren. Dafür haben wir die Dinger.

Diese könnt ihr an der Uni und in Kneipen auslegen. Oder bei der örtlichen AIDS-Hilfe oder Pro Familia vorbeibringen.

Erfahrungsgemäß sind Menschen bei der AIDS-Hilfe aufgeschlossener für das Thema als die von Pro Familia, auch wenn Pro Familia mehr Paarberatung macht und daher eigentlich mehr mit a_sexuellen Menschen zu tun haben sollte.

Wenn ihr noch ein bisschen mehr tun wollt:

Gebt Interviews. Gerade über „klassische“ Medien wie Radio, Zeitung und Fernsehen erreichen wir Menschen, die nicht so im Internet zuhause sind. Wir verteilen Anfragen üblicherweise auf unserer Facebook-Seite und im entsprechenden Thread beim AVEN-Forum, wenn’s noch niemand anders getan hat.

Wer bei den Infoständen reinschnuppern möchte, wir freuen uns über ein paar Stunden Unterstützung an den entsprechenden Terminen.

Organisiert einen Stammtisch in eurer Stadt. Erfahrungsgemäß braucht es immer eine Person, die den endgültigen Termin festlegt und zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort ist, obwohl vielleicht beim ersten Mal nur zwei Leute zugesagt haben. Menschen, die sich für Stammtische interessieren, findet ihr im geschlossenen Bereich bei AVEN. Organisatorinnen können auch beim asex-web um eine Unterseite bitten, um Umfragen und Termine suchmaschinentauglich zu machen. Oder ihr habt sowieso eine Facebook-Veranstaltung. Die teilen wir auch gern, wenn wir davon wissen.

Und zu guter Letzt:

Werdet bei uns Mitglied und sorgt dafür, dass diese Republik einen von den Tritten in den Hintern bekommt, die sie braucht.