Zum Ende der Ace Week habe ich hier wie versprochen die erste Zusammenfassung der übrigen Beiträge von der AktivistA 2019.

Balthazar Bender

„A_sexualität und queere Communities. Solidarität, Ausschlüsse, Konflikte“

Begriffe: Allonormativität, queer

Zunächst einmal wichtig war, den Begriff „Allonormativität“ zu klären.

Allonormativität heißt, dass die Gesellschaft davon ausgeht, dass alle Menschen sexuelles Verlangen kennen und dieses ausleben möchten.

Damit wird ein Mensch ohne dieses Verlangen automatisch „unnormal“. Das heißt, man ignoriert, dass es solche Menschen geben könnte.

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Plakat: Wenn ich nicht existiere, muss ich trotzdem Steuern zahlen?

Wenn diese doch darauf aufmerksam machen, dass sie existieren, wird nach Gründen für ihr Anderssein oder ihre „Seltsamkeit“ gesucht und/oder dies als „krank“ bewertet.

Dies schadet einerseits asexuellen Menschen. Andererseits übt Allonormativität auch auf allosexuelle Menschen durchaus Druck aus, was unter Umständen dazu führen kann, dass diese Dinge tun, die ihnen schaden oder die sie unter anderen Bedingungen abgelehnt hätten.

„Queer“ sei in diesem Falle ein Schirmbegriff, der Menschen meint, die nicht heterosexuell sind und/oder nicht cis-gender sind, die also ein anderes Geschlecht bzw. Gender als das haben, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

Aces in der (queeren) Geschichte

Danach verfolgte Balthazar Spuren a_sexueller Menschen in der Geschichte. Generell ist es aber schwierig, dort Aces zu finden, denn meist reichen die Quellen dazu nicht aus. Jede solche Überlegung muss somit Spekulation und eine Zuschreibung bleiben.

Wir erinnern uns, dass derlei Zuschreibungen einer sexuellen Orientierung oder Identität aus guten Gründen in a_sexuellen Communities nicht gern gesehen sind.

Der älteste Zusammenfall von „kein Sex“ und „queer“ ist war „Spinster Movement“ („Alte-Jungfern-Bewegung“), grob eine Art Heiratsverweigerung und Kommunenbildung, die aus den Sufragetten hervorging. (Wir erinnern uns, dass das Wahlrecht für Frauen oft hart erkämpft werden musste.) Diese Frauen wurden von außen mit dem Begriff „queer“ benannt, also als „schräg, seltsam“ wahrgenommen.

Etwas später stellte der Sexualforscher Alfred Kinsey fest, dass es Leute gab, die kein oder nur sehr geringes Interesse an Sex hatten und demnach auch kein sexuelles Verhalten zeigten: Die berühmte „Gruppe X“. Da er aber hauptsächlich beweisen wollte, dass es zwischen „homosexuell“ und „heterosexuell“ keine eindeutige Grenze gibt, forschte er nicht weiter dazu.

In den lesbischen Communities waren „Stone Butches“ bekannt: Maskulin auftretende Frauen, die selbst keine sexuelle Aufmerksamkeit wünschten, sich aber gern um eine Partnerin kümmerten. „Bambi Lesbians“ hingegen sind frauenliebende Frauen, die weniger an Sex als an anderen Formen von Intimität interessiert sind.

Es gibt auch ein Foto von einer feministischen Konferenz aus den 1970ern, wo „asexuell“ auf einem Plakat mit anderen sexuellen Orientierungen versammelt ist.

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Quelle: Pollner, F. (1973). Lesbian dynamics. Off Our Backs, 3(6), 7-7. Retrieved from http://www.jstor.org/stable/25783532 — „Ja, es ist schwierig, aber! Dies ist eine Chance, eure eigene Beschreibung zu wählen, anstatt das jemand anderem zu überlassen. Hetero / asexuell / lesbisch / bisexuell / gegen Labels / […]“
Ein „asexuelles Manifest“, erstellt von Lisa Orlando 1972, enthält einerseits eine Beschreibung von A_sexualität, die wir ähnlich heute noch verwenden:

Wir wählten als Selbstbeschreibung den Begriff Asexualität
‘, weil sowohl enthaltsam‘ also auch anti-sexuell‘ Konnotationen haben, die wir vermeiden wollten: Ersteres impliziert, dass man Sexualität für einen höheren Zweck geopfert hat, zweiteres, dass Sexualität erniedrigend oder irgendwie von Natur aus schlecht ist. ‚Asexuell‘, wie wir es benutzen, heißt nicht ‚ohne Sex‘, sondern ‚sich sexuell auf niemanden beziehend‘. Dies schließt natürlich Selbstbefriedigung nicht aus, sondern meint, dass, wenn man sexuelle Gefühle hat, man nicht unbedingt eine andere Person benötigt, um diese auszudrücken.

Andererseits geht es im „Asexual Manifesto“ weniger um ein „Eben-so-Sein“, sondern um eine gewählte Daseinsform. Ziel dieser Asexualität war grob, die sexuelle Ausbeutung des eigenen und fremder Körper zu vermeiden.

Siggy hat das Manifest transktibiert und (auf Englisch) analysiert: Klick. Es bietet einen beeindruckenden Einblick in die feministischen Diskussionen der frühen Siebziger.

Ihr habt hier nichts zu suchen?

Obwohl also schon früher Asexualität in queeren Kontexten erwähnt wurde, haben einige Teile queerer Communities erhebliche Schwierigkeiten damit, a_sexuelle Menschen als queer zu akzeptieren. Laut der Datenerhebung des Ace Community Census begreifen sich nämlich etwa 90% aller befragten Aces als „queer“ oder als Teil der „LGBT“-Bewegung. (LGBT: englisch für lebisch, schwul, bi, trans.)

Vor allem auf tumblr sind diejenigen, die Aces von queeren Räumen fernhalten wollen, sehr laut, sodass die dortige Debatte-plus-Shitstorms den Namen „The Discourse“ erhielt. (Also „DIE Debatte“. Als würde außerhalb von tumblr niemand mitteinander reden.)

Es handelt sich bei den Gegener*innen um eine eher kleine Gruppe, die aber überall Streit sucht und diesen daher auch nach Twitter etc. trägt.

Gängige Vorwürfe sind

  • dass a_sexuelle Menschen nicht diskriminiert würden. Gegenteilige Beweise werden ins Lächerliche gezogen und als „nicht so wichtig“ dargestellt.
  • dass a_sexuelle Menschen, vor allem die hetero- und a_romantischen, als „Heten“ durchgehen würden (sogenanntes „straight passing“) und daher kein Recht hätten, sich in LGBT-Räumen aufzuhalten.
  • dass A_sexualität ein Internethype sei und Aces nur auffallen wollten,
  • dass a_sexuelle Menschen Angebote in Anspruch nehmen würden, die dann „echt queeren“ Menschen nicht mehr zur Verfügung stünden.

Entgegnungen auf angebliche Ausschlusskriterien und weitere Überlegungen

Einige dieser Vorwürfe sind logisch nicht besonders haltbar.

„LGBT“ war nicht „schon immer“ ein Oberbegriff. Tatsächlich mussten sowohl bisexuelle als auch vor allem trans Menschen einige Kämpfe ausfechten, um explizit mitgenannt zu werden.

Zum Vorwurf des Ressourcenverbrauchs: Angeblich haben a_sexuelle keine Probleme. Warum sollten sie dann anderen Hilfsangebote wegnehmen? Ein Widerspruch. Für einen Vorwurf von zweien müsste man sich dann schon entscheiden.

Es wurde in der folgenden Diskussion die Vermutung laut, dass derart auschließendes Verhalten aus Unsicherheit entstehen könnte. Wer nicht im Frieden mit der eigenen Selbstbeschreibung/Identität ist, muss sie unter Umständen gröber verteidigen als andere.

Die Postion, dass man nur dazugehören dürfe, wenn es einem*einer dreckig geht, schließt auch LGBT Menschen aus, denen es gerade nicht dreckig geht. Das ist ein ziemlich widersinniges Verhalten, denn solche Menschen sind oftmals diejenigen, die Unterstützung bereitstellen können und Angebote aufbauen.

„Gatekeeping“ — also diese Art Türsteherverhalten — ist sicher manchmal auch der Versuch, eine Machtposition zu erreichen oder auszubauen.

Nebenbei spielt sicher auch die sogenannten „Respektabilitätspolitik“ eine Rolle. Kleine, neue Minderheiten werden von den „Normalos“ besonders schräg angeschaut, sind nicht „respektabel“ und könnten dem eigenen Ansehen oder dem Ansehen der Begewung schaden.

Eine gewisse Portion Aufmerksamkeitsneid könnte ebenfalls eine Rolle spielen. Die Aufmerksamkeit jeder Person ist notwendigerweise beschränkt, und solange sich Medien lieber um Heidi Klums Hochzeit (oder sonstige Promi-Geschichten) kümmern, als sexuellen Minderheiten Aufmerksamkeit zu widmen, ist diese Ressource tatsächlich beschränkter, als sie sein könnte.

Da A_sexualität angeblich sehr kompliziert sei, fragte jemand, warum sich selbige Menschen, die diesen Vorwurf äußern, üblicherweise Dutzende Pokémons, Klingonisch oder Eigenschaften von World-of-Warcraft-Figuren merken können. Grund ist natürlich, dass ich erst mal ein gewisses Interesse aufbringen muss, um mir Dinge zu merken. Ich muss das lernen wollen. Am einfachsten ist es wohl, die Begriffe als eine Werkzeugkiste zu betrachten. Man muss sich nicht alles merken, und man kann höflich nach einer Erklärung fragen, wenn ein Begriff fehlt.

Andere Beobachtungen waren folgende:

Gab es früher weniger allonormative Geschichten? Würde eine alte Dame wie Miss Marple heute noch unhinterfragt allein leben dürfen?

Da bisexuelle Menschen oft sehr ähnliche Vorwürfe zu hören bekommen, liegt ein Schulterschluss nahe. Tatsächlich funktioniert die Zusammenarbeit im Raum Stuttgart/Karlsruhe sehr gut, und in Netzwerken engagierte bi Menschen sind eher breit, A_sexualität mitzudenken.

Oft ist es also sinnig, mit Menschen zu reden, die Interesse beweisen und Aces einladen. Dort, wo man einen Fuß in der Tür hat, kann man weiterarbeiten.

Offline gibt es insgesamt mehr Zwischentöne, manchmal helfen aber nur Humor und Geduld weiter.

Nichtsexuelle Räume helfen nicht nur Aces, sondern auch Neulingen im Bereich LGBT, die sich mit dem Thema erst einmal anfreunden müssen und/oder jung sind.

Es gibt auch einige a_sexuelle Menschen, die sich nicht als queer betrachten und es nicht einsehen, sich mit diesen Communities auseinanderzusetzen. Gewiss muss sich kein Ace als „queer“ beschreiben. Es handelt sich gewissermaßen um einen unbesetzten Platz, den man einnehmen kann oder auch nicht. Ein völliger Rückzug aus den Communities allerdings behindert den Informationsfluss. Infostände zum Thema A_sexualität sind beispielsweise viel sinnvoller, angenehmer und nachhaltiger bei einem CSD-Straßenfest zu verwirklichen, als wenn man sich einfach mal einen Nachmittag völlig zusammenhanglos in eine Fußgängerzone stellt.

 

Unten folgt noch ein Link zu den Folien. Die PDF ist urheberrechtlich geschützt und kann für den Hausgebrauch verwendet werden. Sie für eigene Vorträge oder andere öffentliche Zwecke zu übernehmen, ist nicht gestattet.

PPP Asexuelle Diskriminierung Stuttgart AktivistA