Schlagwort: Coming-out

AktivistA 2021 – die Konferenz-Rückschau, Teil 1

Nachdem ich mich nun vom Wochenende gut erholt habe, hier ein Rückblick auf die Konferenz mit überregionalem Treffen in Stuttgart.

Mit knapp 20 Menschen waren wir etwas schlechter besucht als vor der Pandemie, was aber angesichts der Umstände keineswegs überraschte. Trotzdem empfing uns das Zentrum Weissenburg wie immer herzlich. Die Besetzung kümmerte sich mehr als rührend um uns. Danke!

Die Autorin hat gleich eine Weissenburg-Tasse gekauft.

Auch die Orga mit dem teilweise neuen Team klappte gut.

Das Unkonferenz-Experiment – mit Ergebnissen!

Die kleine Anzahl von Menschen war direkt praktisch für ein Experiment, das ichvorhatte. Bisher hatte ich von „Unkonferenzen“ nämlich nur gelesen. Dabei geht es darum, gemeinsame Themen auszumachen, diese zu besprechen und am Ende eventuell ein paar Ergebnisse vortragen zu können.

Zur Themenfindung nutzten wir die Vorstellungsrunde. Neben ein paar Einzelthemen kristallisierten sich schnell zwei größere Komplexe heraus.

Es gab viel zu reden, sodass für die Pizzarunde am Mittag die mitgebrachte Pausenglocke nötig war. Die Anwesenden fühlten sich gleich wohl, obwohl sich nur wenige bereits persönlich kannten.

Thema 1: Coming-out?

Zum Thema Coming-out wurde natürlich vor allem Privates geredet, das hier nichts verloren hat.

Ein paar grundsätzliche Erwägungen beim Coming-out gibt es aber schon zu entdecken.

Grundsätzlich spannt sich das Feld zwischen den Polen „Sichtbarkeit“ und „Wen geht das eigentlich was an?“ Bei dieser Frage gibt es als Störfaktor den normativen Druck. Was macht der mit mir? Hindert der mich an der Selbstfindung? Befeuert er Selbstzweifel?

Weniger Sichtbarkeit bedeutet, dass sich die Frage „bin ich allein oder nicht?“ schlechter beantworten lässt. Asexualität hat kaum äußerliche Codes. Wie sollen andere ahnen, dass ich ace bin? Wie finde ich eine Beziehung, die zu mir passt, wenn ich mich nicht oute? Vor allem, wenn ich nach einer Alternative zum klassischen romantisch-sexuellen Paar suche. Und werde ich eher pathologisiert (für krank gehalten), wenn ich auf ein Coming-out verzichte?

Derartige Fragen müssen natürlich alle Menschen für sich selbst beantworten. Je nach Lebenssituation wird das Ergebnis anders ausfallen.

Thema 2: Menschen erreichen?

Die altgedienteren Aktivist*innen und Menschen in der Sozialen Arbeit fragten sich, wie sie Menschen erreichen können. Noch immer finden Personen mit niedrigerem Bildungsgrad und schlechter Internetanbindung seltener zu uns. Zudem fällt auf, dass wir wenig Schwarze, Indigene und Menschen of Color (BIPoC) bei Veranstaltungen wie Stammtischen treffen.

Für die „Basis“-Aufklärung fehlen einmal immer noch Serien- und Filmfiguren aus dem asexuellen Spektrum. Zum anderen wird die (queere) Schulaufklärung auch außerhalb Baden-Württembergs oft sträflich vernachlässigt. Trotzdem: Es gibt dazu Netzwerke im Ländle. Ich werde die Leute dort einmal direkt anschreiben und ihnen Material anbieten. Ähnlich auch die Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg. Eine Person warf noch den Namen eines Journalisten in den Raum, den wir eventuell direkt angesprechen können.

Für die Breitenwirkung wären auch mehr Infostände bei CSDs schön. Wir erinnern daran, dass AktivistA gern Material verschickt für Menschen, die da was machen wollen. Der Verein selbst hat nicht allzu viele Mitglieder. Und nicht alle davon können an beliebigen Wochenenden quer durch die Republik fahren. (Wie die Faust aufs Auge passt da der neue InSpektren-Podcast über Ace- und Aro-Repäsentation auf CSDs.)

Insofern: Wie streuen wir auch die Information, dass wir Infomaterial verschicken? Online kommt doch nicht immer dort an, wo es Leute lesen, die so etwas entscheiden. An klassischer Ansprache (Menschen anschreiben, Zentren aufsuchen) führt also kein Weg vorbei.

Mit anderen Worten: We want you for ace networking.

Bestellt euch ein paar Flyer, geht raus und lasst sie bei eurer lokalen Aids-Hilfe, Pro Familia, queeren Zentren oder Selbsthilfe-Anlaufstellen. (Wir nehmen auch gern neue Mitglieder.)

Queere Netzwerke und Zentren haben auch Newsletter, die Veranstaltungen verteilen. Hierbei sollten aber Versandzeiten erfragt werden, um keine Termine zu verpassen. Dabei sinnvoll: Darauf achten, dass das Wort „Asexualität“ oder „asexuelles Spektrum“ explizit erwähnt werden.

Ein lokaler Mailverteiler (über Stammtische beispielsweise) erreicht noch einmal andere Menschen als jene, die sich in Messengergruppen, bei Insta oder Facebook tummeln.

Diesbezüglich werden wir versuchen, eine bessere Anbindung an die Ameisenbären-Facebookgruppe zu erreichen und auch dort unsere Interviewanfragen zu posten.

Etwas abgelegen davon: Derzeit sind Suchmaschinen-taugliche Infos über Gray-Asexualitäten auf Deutsch echt Mangelware. Und auch schöne Sprüche, die sich auf Tassen oder Ähnliches drucken lassen.

(Bild: Uncle Sam von James Montgomery Flagg, von Wikimedia Commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/Uncle_Sam?uselang=de#/media/File:Uncle_Sam_(pointing_finger).jpg . Bearbeitet von Carmilla DeWinter, bitte gern und viel teilen. Ich verzichte auf alle Rechte.)

Grenzen – Ergebnis des Diskussionsrunde

Private, Sign, Prohibit, Block, Prevent, Warning

Mit etwas Verspätung der Zusammenschrieb der Gesprächsrunde „Grenzen“ bei der AktivistA 2019.

Obwohl „Grenzen“ so einfach klingt, kann man dieses Wort sehr weit auslegen. In der Runde haben wir uns daher auf Grenzen beschränkt, die in Gesprächen auftauchen: Wie reagiere ich auf verfängliche oder unangenehme Themen, auf persönliche Angriffe? Wie reagiere ich am besten, wenn jemand meine Selbstbeschreibung, meine Lebensentscheidungen infrage stellt oder mir abspricht, mein Lebens selbst bewältigen zu können?

Am Echo ließ sich ablesen, dass die meisten von uns schon einmal „asexuelles Bingo“ gespielt haben, also schon irgendwann die typischen Reaktionen auf A_sexualität erleben mussten.

Wenig überraschen dürfte es, dass das anwesende Publikum keine Grundsatzdiskussion über Coming-out, ja oder nein, anfing – diese Entscheidung müssen alle für sich selbst treffen.

Dass es ein Unterschied ist, ob wir privat oder im Rahmen eines Vortrags/Infostands/Interviews über A_sexualität sprechen, ist ebenfalls kaum überraschend. Menschen, die eine a_sexuelle Person bereits länger kennen, meinen es zumeist gut und/oder machen sich Sorgen. Außerdem müssen sie in manchen Fällen ihr komplettes geistiges Bild von ihrem Gegenüber ändern. Diese Unsicherheit macht manche Leute wütend und damit auch gegebenenfalls aggressiv.

Gleichzeitig nehmen wir uns Kritik aus dem engen Umfeld üblicherweise auch mehr zu Herzen, da die Meinung der Betreffenden uns wichtig ist.

Demgegenüber haben Fremde kein besonders genaues Bild, das es zu überschreiben gilt.

Somit ist es manchmal einfacher, völlig Fremden private Details zu verraten, vor allem mit einem pädagogischen Ansatz bzw. mit dem Ziel der Aufklärung. Wir sehen diese Menschen nicht wieder. Die Gefahr, dass sie echte und vermeintlich echte Fakten über uns in unserem näheren Umfeld verbreiten, ist gering.

Damit zu den Strategien für erfolgreiche Gespräche über A_sexualität.

Als a_sexueller Mensch hat man selten die Möglichkeit, einfach sagen zu können: „Du, übrigens, ich bin asexuell/demi/gray-A.“ Das liegt daran, dass diese Wörter noch nicht sehr bekannt sind. Die ersten Reaktionen auf bekanntere Sexualitäten sind sicher auch nicht immer nett. Aber in der Regel brauchen sie keine ausführliche Erklärung für die Vokabeln, bevor es mit dem unangenehmen Teil losgeht.

Insofern ist es sinnvoll, wann immer möglich die Reihenfolge zu ändern: „Du übrigens, du hast vielleicht schon gemerkt, dass ich … Und weißt du was, das geht noch mehr Leuten so! Das Wort dafür ist …“

Wer sich vorbereiten kann, sollte das tun. Wer die Gelegenheit hat, bewaffnet sich mit Flyern oder Broschüren, die dem Gegenüber dann in die Hand gedrückt werden können.

Wer kann, suche sich Unterstützung. Bei Infoständen schauen wir beim Verein, dass wir möglichst selten allein am Stand sind. Nach besonders seltsamen Gesprächen oder unhöflichem Besuch ist also jemand da, bei dem wir uns darüber in Ruhe beklagen können. Bei Coming-outs in der Verwandtschaft oder in Partnerschaften kann man sich vorher Freund*innen oder nette Menschen im Internet suchen, die nach einem Gespräch zuhören.

Alles das geht am besten, wenn man die eigenen Grenzen auch kennt. (Worüber bin ich bereit, mit dieser oder jener Person zu sprechen? Ist es sinnvoll, mit dieser oder jener Person ein direktes Gespräch zu führen oder schreibe ich lieber, wenn ich weiß, dass sie die Angewohnheit hat, Grenzen zu missachten? Und so weiter.)

Unter losen Bekannten oder im Beruf, wo man dem Thema einfach nur ausweichen will, gibt es dazu auch Optionen, die mit Vorbereitung besser klappen. Beispielsweise sagt man: „Hat sich nicht ergeben“, und schaut traurig (auch wenn man vielleicht nicht traurig ist). Desgleichen kann man an einer Vorgeschichte drehen, sofern eine vorhanden ist. Das Wort dazu heißt „Framing“. Wer beispielsweise nur schlecht von der*dem Ex redet, kann in anderen ein Bild von vermeintlich schlechten Erfahrungen wecken, die sie vom Fragen abhält.

Wenn es um Kinder geht und ein Streit gewünscht ist: Der Klimawandel ist immer eine Diskussion wert, und wer erinnert sich hinterher noch, mit wessen nicht vorhandenen Kindern es losging? Und das völlig davon unabhängig, warum genau wer keine Kinder hat.

Egal, ob vorbereitet oder nicht, es gibt außerdem einige Wege, Menschen über die Art ihrer Fragen und Kommentare nachdenken zu lassen.

Tatsächlich sind manche einfach nur neugierig und haben einen echten Informationsbedarf, während andere lieber A_sexualität wegerklären möchten, als ihr Weltbild zu erweitern. Der Tonfall macht viel aus, ob jemand Fragen beantworten möchte oder nicht.

Werden Fragen zu persönlich, kann man für die Allgemeinheit antworten. (Klassiker: „Masturbierst du?“ – „Eine Studie und Umfragen haben ergeben, dass Menschen aus dem asexuellen Spektrum im Schnitt etwas seltener masturbieren als Menschen, die sich nicht als asexuell beschreiben.“)

Je nach Gesprächspartner und der eigenen Vergangenheit lohnt es sich, Fragen vorwegzunehmen. Wie sich immer wieder zeigt, sind die Vorbehalte, kulturell bedingt, selten besonders originell. („Ach ja, und bevor du fragst, meinen Hormonspiegel habe ich schon prüfen lassen …“)

Andere kann man mit der Nase darauf stoßen, dass sie Grenzen überschreiten. („Wenn ich dich jetzt frage, ob du … erlebt hast/krank bist, würdest du mir antworten wollen?“)

Unter manchen Umständen könnte man sogar einen Pakt aushandeln: Alle Anwesenden müssen alle indiskreten Fragen ehrlich beantworten.

Desgleichen kann man manche Fragen oder Themen von vornherein auszuschließen versuchen. (Ich selbst verweigere beispielsweise jegliche Aussage darüber, ob und wie oft ich welchen Sex hatte, weil eine solche Auskunft in meinem Fall völlig unerheblich ist.)

Und damit hoffe ich, dass die gesammelten Tipps sich für mindestens einen Menschen als nützlich erweisen.

 

 


Foto: aitoff, Pixabay.