Mit etwas Verspätung der Zusammenschrieb der Gesprächsrunde „Grenzen“ bei der AktivistA 2019.
Obwohl „Grenzen“ so einfach klingt, kann man dieses Wort sehr weit auslegen. In der Runde haben wir uns daher auf Grenzen beschränkt, die in Gesprächen auftauchen: Wie reagiere ich auf verfängliche oder unangenehme Themen, auf persönliche Angriffe? Wie reagiere ich am besten, wenn jemand meine Selbstbeschreibung, meine Lebensentscheidungen infrage stellt oder mir abspricht, mein Lebens selbst bewältigen zu können?
Am Echo ließ sich ablesen, dass die meisten von uns schon einmal „asexuelles Bingo“ gespielt haben, also schon irgendwann die typischen Reaktionen auf A_sexualität erleben mussten.
Wenig überraschen dürfte es, dass das anwesende Publikum keine Grundsatzdiskussion über Coming-out, ja oder nein, anfing – diese Entscheidung müssen alle für sich selbst treffen.
Dass es ein Unterschied ist, ob wir privat oder im Rahmen eines Vortrags/Infostands/Interviews über A_sexualität sprechen, ist ebenfalls kaum überraschend. Menschen, die eine a_sexuelle Person bereits länger kennen, meinen es zumeist gut und/oder machen sich Sorgen. Außerdem müssen sie in manchen Fällen ihr komplettes geistiges Bild von ihrem Gegenüber ändern. Diese Unsicherheit macht manche Leute wütend und damit auch gegebenenfalls aggressiv.
Gleichzeitig nehmen wir uns Kritik aus dem engen Umfeld üblicherweise auch mehr zu Herzen, da die Meinung der Betreffenden uns wichtig ist.
Demgegenüber haben Fremde kein besonders genaues Bild, das es zu überschreiben gilt.
Somit ist es manchmal einfacher, völlig Fremden private Details zu verraten, vor allem mit einem pädagogischen Ansatz bzw. mit dem Ziel der Aufklärung. Wir sehen diese Menschen nicht wieder. Die Gefahr, dass sie echte und vermeintlich echte Fakten über uns in unserem näheren Umfeld verbreiten, ist gering.
Damit zu den Strategien für erfolgreiche Gespräche über A_sexualität.
Als a_sexueller Mensch hat man selten die Möglichkeit, einfach sagen zu können: „Du, übrigens, ich bin asexuell/demi/gray-A.“ Das liegt daran, dass diese Wörter noch nicht sehr bekannt sind. Die ersten Reaktionen auf bekanntere Sexualitäten sind sicher auch nicht immer nett. Aber in der Regel brauchen sie keine ausführliche Erklärung für die Vokabeln, bevor es mit dem unangenehmen Teil losgeht.
Insofern ist es sinnvoll, wann immer möglich die Reihenfolge zu ändern: „Du übrigens, du hast vielleicht schon gemerkt, dass ich … Und weißt du was, das geht noch mehr Leuten so! Das Wort dafür ist …“
Wer sich vorbereiten kann, sollte das tun. Wer die Gelegenheit hat, bewaffnet sich mit Flyern oder Broschüren, die dem Gegenüber dann in die Hand gedrückt werden können.
Wer kann, suche sich Unterstützung. Bei Infoständen schauen wir beim Verein, dass wir möglichst selten allein am Stand sind. Nach besonders seltsamen Gesprächen oder unhöflichem Besuch ist also jemand da, bei dem wir uns darüber in Ruhe beklagen können. Bei Coming-outs in der Verwandtschaft oder in Partnerschaften kann man sich vorher Freund*innen oder nette Menschen im Internet suchen, die nach einem Gespräch zuhören.
Alles das geht am besten, wenn man die eigenen Grenzen auch kennt. (Worüber bin ich bereit, mit dieser oder jener Person zu sprechen? Ist es sinnvoll, mit dieser oder jener Person ein direktes Gespräch zu führen oder schreibe ich lieber, wenn ich weiß, dass sie die Angewohnheit hat, Grenzen zu missachten? Und so weiter.)
Unter losen Bekannten oder im Beruf, wo man dem Thema einfach nur ausweichen will, gibt es dazu auch Optionen, die mit Vorbereitung besser klappen. Beispielsweise sagt man: „Hat sich nicht ergeben“, und schaut traurig (auch wenn man vielleicht nicht traurig ist). Desgleichen kann man an einer Vorgeschichte drehen, sofern eine vorhanden ist. Das Wort dazu heißt „Framing“. Wer beispielsweise nur schlecht von der*dem Ex redet, kann in anderen ein Bild von vermeintlich schlechten Erfahrungen wecken, die sie vom Fragen abhält.
Wenn es um Kinder geht und ein Streit gewünscht ist: Der Klimawandel ist immer eine Diskussion wert, und wer erinnert sich hinterher noch, mit wessen nicht vorhandenen Kindern es losging? Und das völlig davon unabhängig, warum genau wer keine Kinder hat.
Egal, ob vorbereitet oder nicht, es gibt außerdem einige Wege, Menschen über die Art ihrer Fragen und Kommentare nachdenken zu lassen.
Tatsächlich sind manche einfach nur neugierig und haben einen echten Informationsbedarf, während andere lieber A_sexualität wegerklären möchten, als ihr Weltbild zu erweitern. Der Tonfall macht viel aus, ob jemand Fragen beantworten möchte oder nicht.
Werden Fragen zu persönlich, kann man für die Allgemeinheit antworten. (Klassiker: „Masturbierst du?“ – „Eine Studie und Umfragen haben ergeben, dass Menschen aus dem asexuellen Spektrum im Schnitt etwas seltener masturbieren als Menschen, die sich nicht als asexuell beschreiben.“)
Je nach Gesprächspartner und der eigenen Vergangenheit lohnt es sich, Fragen vorwegzunehmen. Wie sich immer wieder zeigt, sind die Vorbehalte, kulturell bedingt, selten besonders originell. („Ach ja, und bevor du fragst, meinen Hormonspiegel habe ich schon prüfen lassen …“)
Andere kann man mit der Nase darauf stoßen, dass sie Grenzen überschreiten. („Wenn ich dich jetzt frage, ob du … erlebt hast/krank bist, würdest du mir antworten wollen?“)
Unter manchen Umständen könnte man sogar einen Pakt aushandeln: Alle Anwesenden müssen alle indiskreten Fragen ehrlich beantworten.
Desgleichen kann man manche Fragen oder Themen von vornherein auszuschließen versuchen. (Ich selbst verweigere beispielsweise jegliche Aussage darüber, ob und wie oft ich welchen Sex hatte, weil eine solche Auskunft in meinem Fall völlig unerheblich ist.)
Und damit hoffe ich, dass die gesammelten Tipps sich für mindestens einen Menschen als nützlich erweisen.
Foto: aitoff, Pixabay.
Super! Danke!