Schlagwort: Intersektionalität

AktivistA-Konferenz 2022 – Kultursensible Beratungsprojekte und Denkanstöße gegen Rassismus

LGBT Gay Trans Pride BLM Fist Flag
Solidarität zwischen allen sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten und Black Lives Matter? Bis dahin haben wir noch einiges zu tun …

In ace Kreisen kochen immer wieder Diskussionen um Rassismus hoch. Queerer Aktivismus weist allgemein wenig BIPoCs (Schwarze, Indigene und Personen of Color) auf. Um da ein bisschen über den Tellerrand zu schielen, hatten wir für die Konferenz zwei Personen von der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg eingeladen. Dabei handelt es sich um einen weltanschaulich und religiös unabhängigen Verband, der das friedliche und solidarische Miteinander in Baden-Württemberg fördert.

Wichtig im queeren Kontext sind zwei Projekte, nämlich Elvan Âlem und die Fachberatung geschlechtliche und kulturelle Vielfalt Stuttgart.

Empowerment und Beratung

Das Projekt Elvan Âlem wendet sich an jüngere queere Menschen bis 27, die Rassismus erfahren und/oder migrantisiert werden (das heißt, es sind Personen, die von der Mehrheitsgesellschaft als „nicht von hier“ wahrgenommen werden). Elvan Âlem zielt vor allem auf Empowerment und Partizipation, daher hatten die Mitarbeitenden 2019 z. B. eine Gruppe beim CSD Stuttgart organisiert. Die Publikumsansprache erfolgt in drei Sprachen auf YouTube, mit InstaStories, einem Spiel und Broschüren zum Bestellen bzw. Herunterladen.

Bei Anfragen erfolgt eine individuelle Beratung oder auch das Aufsuchen einer Schule, wenn es dort Schwierigkeiten gibt. Neben den jungen Leuten stehen auch deren Familien im Fokus. Themen sind unter anderem die Familiensituation und Hilfe bei der Identitätsfindung, besonders bei trans und nicht-binären Menschen. Geflüchtete erhalten ebenfalls Unterstützung, beispielsweise bei der Anhörungsvorbereitung.

Zudem gibt es Angebote für Fachkräfte, die mit dem angesprochenen Personenkreis zu tun haben. Beispielsweise können sich Schulsozialarbeitende Input bei bestimmten Fragestellungen holen oder Supervision erbitten. Außerdem bietet Elvan Âlem Workshops für Peers und aktivistisch Aktive an, um deren Engagement zu stärken und einem Burnout vorzubeugen.

Das Team besteht aus vier Menschen, die versuchen, ein möglichst breites Spektrum abzubilden, was die „Buchstaben“ in der baden-württembergischen „LSBTTIQ“-Suppe angeht, außerdem Migrationserfahrung, Sprache und Herkunftsregion. Das Team versucht, für Intersektionen sensibel zu sein und positioniert sich gegen Trans-Exklusionismus.

Die Fachberatung geschlechtliche und kulturelle Vielfalt Stuttgart hingegen ist eine reine Beratungsstelle, die für alle Altersgruppen offen ist.

Nach dem Vortrag schauten wir noch den Film „Hear our Voices! – Queere Geflüchtete erzählen“.

Gretchenfrage

Wie ist das nun mit der Religion? Die Projekte suchen selbstverständlich den Kontakt zu muslimischen Gemeinden. Vor allem die Zusammenarbeit mit dem Liberal-Islamischen Bund läuft wohl sehr gut.

Allerdings: Nicht umsonst fand in Stuttgart die „Demo für alle“ den größten Anklang innerhalb Deutschlands. Kritische Stimmen nennen die Ansammlung von pietistischen und evangelikalen Gemeinden im Schwäbischen gern „Pietcong“. Daher gab es beim Projekt auch schon Beratungsfälle in Bezug auf christliche Einrichtungen.

Und was hat das nun mit dem asexuellen und aromantischen Spektrum zu tun?

Die Vortragenden konnten sich an eine ace Personen erinnern, die Hilfe suchte, da ging es vor allem um Zukunftsängste und Community-Anschluss.

Aufgefallen ist ihnen, dass die Stuttgarter Jugendgruppen einen wachsenden Anteil Aces haben, sodass sie den Anspruch haben, das A in ihre Buchstabenkollektion aufzunehmen. Von einem Menschen im Publikum kam daher der Tipp, auf das Wort „Liebe“ zu achten. Es wird in aktivistischen Kontexten gern verwendet, um Gleichstellung für sexuelle Minderheiten einzufordern, befremdet manche ace und aro Menschen aber, vor allem, wenn sie keine klassische Paarbeziehung suchen.

Im Gegenzug muss die a*spec Community sich selbst sensibilisieren. Rassismus fängt eben nicht erst an, wenn einschlägige Beleidigungen fallen.

Wichtig ist außerdem Powersharing, also beispielsweise Menschen die Gelegenheit geben, sich zu äußern. Nicht nur Macht, auch Geld abgeben. Menschen Räume gestalten lassen und nicht Räume ohne Input gestalten, die dann nicht die Zielgruppe ansprechen. Wir müssen uns daher fragen, ob die Angebote/Formate, die es gibt, migrantisierte Personen ansprechen. Brauchen/wollen die Betreffenden das spezielle Angebot überhaupt?

Wenn BIPoCs in einer Gruppe sind, sollten wir sie nicht als Token/Aushängeschild für die eigene Weltoffenheit/fehlenden Rassismus oder was auch immer betrachten/benutzen.

Und na ja: Ohne Vernetzung und Recherche geht nix.

Wir arbeiten dran. Ich weise daher noch mal auf unser Formular für Förderungen hin: Wenn ihr eine geniale Idee habt, wie wir Antirassismus und das A*Spec zusammenbringen können, euch aber Geld fehlt, pingt uns an.

AktivistA 2021 – die Konferenz-Rückschau, Teil 2

Literatur-Vorgeschmack

Nach der Essenspause gab es einen kleinen literarischen Teil. Ich stellte kurz ein Projekt von DasTenna und mir vor. Für die Ace Week Ende Oktober ist eine Sammlung Kurzgeschichten als E-Buch und Print geplant. „Beweisstück A. Eine a_sexuelle Anthologie“ soll das Buch heißen. Die Erlöse gehen an 100 % Mensch. Warum ausgerechnet die? Holger Edmaier und sein Team hatten Asexualität schon auf dem Schirm, als wir noch gar nicht wussten, dass es diese Organisation gibt.

Danach wurde es intersektional: Aus Göttingen war Jessica von Bi+ Göttingen angereist.

Von Bi+enchen und Eulchen/Asexu-Owls im Queeren Beet: A- & Bisexuelle Spektren im Visier

Zunächst fand eine Begriffsklärung statt. Was bedeutet Bisexualität?

Hier zitierte Jessica Robyn Ochs: „I call myself bisexual because I acknowledge that I have in myself the potential to be attracted – romantically and/or sexually – to people of more than one gender, not necessarily at the same time, not necessarily in the same way, and not necessarily to the same degree.“ – Ich beschreibe mich als bisexuell, weil ich anerkenne, dass ich in mir das Potential habe, romantisch und/oder sexuell zu Menschen mehr als eines Geschlechts hingezogen zu sein. Dies muss nicht notwendigerweise zur gleichen Zeit, nicht notwendigerweise auf die gleiche Art und nicht notwendigerweise zum gleichen Grad stattfinden.“ (Übersetzung von Carmilla.)

Und was macht dann das Pluszeichen hinter dem Bi?

Neben „Bisexualität“ sind einige andere Begriffe im Umlauf, die von der Gender-Binarität wegführen, die das Wort „Bisexuell“ seit seiner Erfindung mit herumschleppt.

Pansexuell meint Anziehung unabhängig vom Geschlecht.

Omnisexuell meint Anziehung zu allen Geschlechtern.

Polysexuell meint Anziehung zu mehreren, aber nicht allen Geschlechtern.

Das AIB-Modell

Manchmal benutzen Menschen eine Selbstbeschreibung, die nicht vollständig zu ihrem gerade sichtbaren Verhalten passt. So ist eine bisexuelle Frau, die mit einem Mann in einer monogamen Beziehung lebt, immer noch bisexuell. Oder es gibt Menschen, die gelegentlich mit Menschen Sex haben, die nicht zu ihrer Selbstbeschreibung als homo- oder heterosexuell passen, die sich aber nicht als bisexuell beschreiben würden. Oder Aroaces, die in einer von außen als romantisch gelesenen Partnerschaft leben. Und so weiter.

Nach dem AIB-Modell werden drei Aspekte betrachtet: A (Attraction, Anziehung) – I (Identity, Identität) – B (Behavior, Verhalten).

Somit lässt eine Selbstbeschreibung (Identität) niemals Rückschlüsse auf exakte Anziehungen oder auf das Verhalten zu. Natürlich verpflichtet auch eine Selbstbeschreibung nicht zu einem gewissen Verhalten. Und ein bestimmtes Verhalten lässt weder Rückschlüsse auf eine Selbstbeschreibung zu, noch verpflichtet es zu einer vorgeblich besser passenden Selbstbeschreibung.

Vorurteile und Ursachen?

Es folgte ein kleines Quiz. Wir bekamen ein Blatt mit acht Vorurteilen und sollten raten, ob die eher zum bi+ oder zum asexuellen Spektrum gehörten. Das Ganze war natürlich eine Falle, denn alle genannten Einwände waren sowohl in bi+ als auch in ace Bullshit-Bingos zu finden.

Woran liegt es, dass uns als vermeintliche „sexuelle Gegenteile“ so viel gleiche Sprüche treffen?

Zum einen ist weder das bi+ noch das ace Spektrum eindeutig mit einem Bild zu symbolisieren. Wir können nicht einfach zwei dieser typischen Toilettenschild-Schattenrisse mit oder ohne Rock nebeneinander montieren, um auf unser Paarbildungsverhalten hinzuweisen.

Jessica vermutet, dass „Spektren“ auch insgesamt mit „schlecht entscheidungsfähig“ gleichgesetzt werden. Der deutsche Drang zu eindeutigen Kategorien scheint uns außerdem noch zusätzliche Steine in den Weg zu legen, die beispielsweise in den USA seltener wahrgenommen werden.

Eine „Weigerung, sich (für eine Schublade) zu entscheiden“ lässt sich zu „labil, schlechter Charakter, unfertig“ steigern. Eine solche Person gilt dann auch als beziehungsunfähig.

Gerade auch Menschen im bi+ Spektrum werden zudem als unersättlich oder übersexualisiert wahrgenommen. (Ich verweise auf Mc Innis und Hodson, 2012. Nach dieser Studie werden bi- und asexuelle Menschen tendenziell eher dehumanisiert als hetero- und homosexuelle Menschen.)

„Unfertigkeit“ ist natürlich ein Vorurteil, das auch Betroffene verinnerlichen, sodass sich sowohl ace als auch bi+ Menschen sehr häufig selbst hinterfragen.

Zuletzt werden beide Spektren innerhalb der lesbischen und schwulen Communities oft als „nicht queer (genug)“ wahrgenommen. Bi+ Menschen und Aces könnten als „straight“/hetero durchgehen und hätten deshalb weniger Schwierigkeiten.

Somit haben das B und das A sowohl von innerhalb als auch von außerhalb der queeren Buchstabensuppe ähnliche Vorurteile auszuhalten. Permanent werden Zweifel an sie herangetragen.

Einige nicht kamerascheue Teilnehmende und unsere Referentin Jessica ganz links.

Verbündete suchen

Gegen diese Wucht von Schwierigkeiten hilft nur, sich zusammenzuschließen. Zum einen natürlich innerhalb der eigenen „Buchstaben“. Der Austausch untereinander fördert das Selbstbewusstsein und die Gewissheit, dass die Zweifel System haben. „Ihr seid nicht allein“ ist hier die wichtigste Botschaft.

Zum anderen können sich Gruppen unterschiedlicher Buchstaben miteinander vernetzen. Wir können uns gegenseitig als Allys unterstützen. Wie mit diesem Vortrag geschehen und in Stuttgart dank einer Anfrage von StuBi 2017 schon länger praktiziert.

Bi+ Göttingen bietet übrigens auch einen Vortrag zum Thema „Allyship“ (Verbündetenschaft) an. Ihr findet die Gruppe unter anderem auf Facebook und bei Instagram.

Ausklang …

Am Samstag haben es einige Menschen bis 23 Uhr ausgehalten, und auch am Sonntag wurde der Raum zum Gespräch rege genutzt.

AktivistA und das Spendenschweinderl bedanken sich herzlich bei allen Beteiligten.