CNs: Ace- und Queerfeindlichkeit

Warte

Noir

Warten … warten auf den Bus, die Bahn, dass mensch irgendwo drankommt, das irgendwas passiert. Was aber, wenn ich selbst das Gefühl habe, ich brauche nicht zu warten, weil sich nichts signifikant ändern wird? Weil ich die Antworten eigentlich schon in mir trage? Und weil die anderen auch nicht warten, sondern einfach fortfahren dürfen, wenn sie so sind wie gewünscht.

Ich bleibe nicht gerne stehen, wenn’s nicht sein muss. Warum auch? Wem nützt es? Mir am allerwenigsten. Dennoch wurde ich oft zum Warten angehalten, besonders immer dann, wenn ich die ausgetretenen Pfade verlassen wollte. Das hat mit meinem mir gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlecht zu tun, aber eben auch mit meiner Sexualität. Beides dient der Gesellschaft quasi als Platzanweiser, um Komplexitäten zu reduzieren und etablierte Strukturen und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. Schubladen sind einfach, sie bieten Sicherheit und unterstützen Bequemlichkeit. Damit kann mensch andere Personen quasi to go einordnen. Einmal zum Mitnehmen bitte.

Aber dann komme ich und stelle meine Asexualität in den Raum. How dare you!, kann ich aus den Blicken anderer Menschen lesen und oft auch akustisch wahrnehmen. Ich störe ihre behagliche Weltsicht. Ihre kuscheligen, angewärmten Kategorien. Lange hat es gedauert einzusehen, dass es Menschen gibt, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen, und oft wird es immer noch angezweifelt. Wenigstens konnte sich mensch aber darauf einigen, dass alle sexuelle Anziehung in irgendeine Richtung empfinden. Wie kann ich es also wagen, das mit meiner puren Existenz anzuzweifeln? Und noch schlimmer, ich bin nicht allein damit.

Ich werde also aufs Abstellgleis geschoben. Verdammt zum Warten. Ich soll doch bitte geduldig sein, mich nicht so aufspielen und innehalten. Das kommt bestimmt noch. Vielleicht bin ich einfach ein Spätzünder? Hatte noch nicht die richtige Sorte Sex? War es vielleicht noch nicht der oder die richtige Partnerperson? Vielleicht sollte ich mal meine Hormone testen lassen? Oder vielleicht bin ich einfach tatsächlich asexuell?

Es kann schwer sein das zu akzeptieren, ich weiß. Wollte es ja auch nicht wahrhaben, aber es ist eben so. Niemals hab ich anders gefühlt. Ich schaute und schaue immer noch verwundert in Hochglanzmagazine, mit normschönen, schlanken, blitzend lächelnden Menschen und empfinde: nichts. Nichts an den Bildern was mich reizt, da es für mich und mein Ästhetikempfinden nichts gibt, was meinen Blick länger als zwei Sekunden an den aalglatten Fassaden halten könnte. „Heiß“ war und ist nie eine Kategorie gewesen, die ich verstand. Ich lernte nur irgendwann Muster zu erkennen und abzurufen, wie gewünscht.

Ich bin auch nie auf der Suche gewesen. Kein Verlangen, kein Druck, den ich nicht selbst befriedigen könnte. Suche ich trotzdem Nähe? Manchmal schon, nie aber brauche ich Sex. Die Nähe, die ich brauche, genieße ich hauptsächlich über Gespräche. Nicht viel berührt mich intensiver, zieht in meinen tiefen Wassern größere Kreise, als dass mir jemensch wohlwollend zuhört und auf Augenhöhe mit mir spricht. Mit mir streitet, mir auch mal Dinge verzeiht und nachsieht, mich eben nimmt, wie ich bin. Mich und mein A*spec-Sein, meine Ecken, Kanten, Schrullen und Co. hinnimmt und einfach mal sein lässt.

Asexualität ist damit meine Antwort. Also, ich warte nicht mehr. Nicht mehr, dass sich irgendwas ändert. Ich gehe einfach meine eigenen, gewundenen, teilweise holprigen Weg und wer will, der kommt einfach mit.

© 2023 bei Noir

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3 Comments on 1. Dezember: Warte

  1. Dein Text spricht mir so unendlich aus der Seele und berührt mich ganz tief in meinem Herzen als hätte ich es selbst geschrieben. Danke für diesen Text den ich mir rauskopiert habe und den ich so gerne in meine Umwelt hinaus schreien würde.
    Ralf

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