CN: Erwähnung von Pornographie und Pandemie

Prokrastination

Carmilla DeWinter

Ich muss selten mit dem Seniorchef reden. Doch Anfang des Jahres war es dann mal wieder so weit.

„Arbeiten Sie gerade an etwas Neuem?“, fragte er. Er und die Juniorchefin wissen, dass ich gelegentlich Texte veröffentliche, beide haben aber verständlicherweise Besseres zu tun, als jede Woche mein Pseudonym zu stalken. Zudem ist die Aufsicht über meine Tätigkeit zumeist an eine Filialleitung delegiert, sodass ich nicht oft in die Verlegenheit gerate, Fragen zu meinem Nebenberuf zu beantworten.

An jenem Tag setzte auf diese Frage mein Verstand kurzfristig aus. Aufmerksame Zeitgenossinnen bemerkten wahrscheinlich, dass mein Blick hilfesuchend durchs Backoffice irrlichterte.

Sodann antwortete ich: „Also, ich schiebe gerade die Überarbeitung eines Gesellschaftsromans vor mir her.“

Wir plauschten zwei Minuten lang darüber, dass es sinnvoll ist, hunderttausend Wörter Roman mit einem besseren Plan vom Plot zu beginnen, als ich es 2020 getan habe. Dann klingelte vorn im Laden die Glocke und nichtsahnende Kundschaft erlöste mich.

Meine Antwort war nicht ganz ehrlich, wie das geschätzte Publikum gewiss bereits erraten hat. Korrekterweise hätte ich berichten müssen, dass ich mich seit August 2022 vor dem Allgemeinzustand der Welt in eine Fanfiction geflüchtet habe, die mehr durch Zufall keinen schwulen Robotersex enthält. Falls Sie die Regel 34 noch nicht kennen, finden Sie also hiermit bestätigt, dass die Menschheit zu allem, was es gibt oder erdenkbar ist, Pornographie produziert.

Jedenfalls enthält die Story nur deswegen keinen als schwul lesbaren Robotersex, weil meine Roboter sich erstens nicht wie Menschen fortpflanzen und zweitens beide auf dem asexuellen Spektrum sind.

Nebenbei jonglierte ich die Vorhut für den zweiten Band von Beweisstück A und habe weiterhin eine nicht beendete wissenschaftliche Übersicht über die vorhandenen LGBTIQA-Populationsschätzungen an der Backe.

Nichts, was ich meinem notorisch heterosexuellen Chef zwischen Tür und Angel während der Ladenöffnungszeiten erklären müssen will. Zumal mensch von einer Apothekerin erwarten sollte, dass sie auch abseits des weißen Kittels die nötige Seriosität walten lässt. Also, zumindest, wenn sie das Klischee bedienen wollte.

Klischees kann ich leider ganz schlecht.

Außer dem Klischee, dass alles, was Autor*innen erleben, in einem Text Platz findet. Wie die berichtete Episode.

Und na ja … was gibt es Besseres, als schreibend die Überarbeitung eines Gesellschaftsromans vor sich her zu schieben?

 

© 2023 bei Carmilla DeWinter

Diese Seite steht unter CC BY-SA 4.0.
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