Kategorie: Lesefutter

Bücher mit asexuellen Figuren

10. Dezember: Schwer begreiflich

CN: Essen, Erwähnung allonormativer Haltungen

Schwer Begreiflich

Chris

Du greifst danach, kriegst nichts zu fassen,

Die Leute können es nicht lassen.

Jeder sagt, dass da was ist.

Ist es ne Lüge, oder ne List?

„Da muss was sein, siehst du das nicht?“

– Du starrst nur ins Gegenlicht.

Vielleicht sehen alle das da drüben?

Vielleicht muss man das alles üben?

So richtig kannst du’s doch nicht greifen …

Bestimmt musst du halt einfach reifen!

Die ganze Welt dreht sich darum,

und du schaust dich verzweifelt um.

Na, das ist hier mal interessant!

Du hältst ne Sache in der Hand.

Freudig wird dir gratuliert,

anscheinend hast du’s jetzt kapiert.

Jedoch, die Sache, wie’s so geht,

war doch nicht DAS. Das ist jetzt blöd.

Du warst dir sicher, hast mit Elan,

das, was man tun soll, so getan.

Man sagt dir, das wär’ gar nicht toll,

und dass hier noch was fehlen soll.

Du sitzt da und frisst nen Besen,

was ist denn da jetzt nicht gewesen?

Denkst du mal, jetzt hast du’s richtig,

wird alsbald es wieder nichtig.

Was ist bloß los mit dieser Welt,

dass sie dich so eingestellt?

Mikroskope, Lesen, Forschen,

Seiten scrollen, Podcast horchen,

hast recherchierend dich gequält,

um rauszufinden, was da fehlt.

Und du findest auf dem Weg,

eine Person, der’s auch so geht.

Wilder noch, ein ganzer Haufen

tut sich da zusammen raufen.

Ihr fangt an zu diskutieren,

wie die Sachen so passieren.

Und so nimmt es seinen Lauf,

irgendwann, da kommt ihr drauf.

Du lernst dich endlich selber kennen,

kannst die Sache nun benennen.

Und schaust du jetzt auf diese Sachen,

kannst du nur noch schallend lachen.

Die Welt, die hat’s echt übertrieben,

mit dem ganzen sich-verlieben.

Endlich weißt du, wer du bist,

und dass der Kram für dich nicht ist.

Du bist schließlich so viel mehr,

das Leben gibt das alles her.

Und nervt dich wer, und siehst du rot,

es rettet dich stets Knoblauchbrot.

Den ganzen Stress mit Liebes-Sachen,

das lässt du schön die andern machen …

Dann ist das alles gar nicht schlimm

und du hast deine Ruh. Win-Win!

 

© 2023 bei Chris

6. Dezember: Dazwischen

CN: Allonormativität (allonormative Aussagen), Gray-Exklusionismus, Sexualität und Sex, kurze Erwähnung von Genderklischees und Masturbation

Dazwischen — Alles nicht so einfach

Finn

Mein Name ist Finn und was das Spektrum der Sexualität angeht, bin ich irgendwo dazwischen.
Zwischen Sexualität und Asexualität, an einem Ort auf dem Spektrum, wo die Nebelschwaden so dicht sind, dass eins kaum die Hand vor den Augen sehen und doch den Nebel nie greifen kann, weil er zwar da ist, aber nie wirklich fassbar wird, durch die Finger sickert, sodass kaum gesagt werden kann, wo ich eigentlich stehe.
So fühlt sich meine sexuelle Anziehung an.
Mal ruhig, mal wirbelnd,
Mal da, mal weg,
Mal wild, mal sanft,
Unbeständig, schwach …
Aber immer ungreifbar.

Ich bin nicht Zuhause an einem der unzähligen Enden des Spektrums menschlicher Sexualität, die ich mit Interesse betrachte, erkunde, mal hier mal da etwas in meinem Nebel wiedererkenne, aber immer nur schemenhaft, sodass ich es nie wirklich sagen kann: „Das ist meine Sexualität, meine sexuelle Anziehung, …“
Ich kann nur viele Worte ein bisschen verwenden, weil ich nirgendwo so richtig zuhause bin so scheint es.

Naheliegend wäre natürlich die weitgehend allosexuelle Welt. Immer wieder meldet sich in meinem Leben dann ja doch sexuelle Anziehung. Meist sehr schwach, aber ab und zu kann die auch mal so richtig kicken. Das kommt vielleicht nicht so oft vor, aber wenn ich dann doch mal so eine Art Spike erlebe, verstehen meine allosexuellen Freund*innen meistens nicht, warum das jetzt noch nicht bedeutet, dass ich einen One-Night-Stand anstrebe.
Da fallen auch mal Sätze wie:
„Warum sprichst du sie nicht einfach mal an?“
Oder:
„Fangt doch einfach mal unverbindlich was an. Vielleicht will er ja auch. Man weiß doch nie, was passiert!“
Und dann bin ich an der Reihe, zu erklären, dass meine sensuelle Anziehung diesen Spike gerade nicht mitgemacht hat, während die sexuelle mit 100 km/h auf der Autobahn fährt. Da ist es fast einfacher zu sagen, dass ich die Person nicht gut genug kenne, um zu wissen, ob sie dann vielleicht eine romantische Beziehung mit mir möchte – und das ist dann ja wirklich nicht so mein Ding.
Das Ergebnis bleibt dasselbe: Ich beobachte lieber erst einmal, begnüge mich mit Fantasien und Selbstbefriedigung. Wenn es eine Person ist, die sich länger in meinem Umkreis bewegt, warte ich vielleicht ab, wie sich die Sache entwickelt.
Dass die sexuelle Anziehung sich bei einer Person mit sensueller und den Umständen so gut trifft, dass es für einen sexuellen Kontakt reicht, ist vergleichsweise selten.

Es gibt auch noch diese tollen Gespräche, die ich mit Menschen immer wieder über meine eigene Identität führe. Das ist nicht immer einfach. Viele lernen ja in diesem Moment erst, was Asexualität eigentlich ist.
Und wenn gerade nicht irgendwelche Genderklischees aus der Mottenkiste geholt werden, fallen auch mal Aussagen wie: „Also, das versteh ich halt nicht. Sex ist doch toll! Mir ist guter Sex in einer Beziehung schon sehr wichtig.“
Ich verdrehe dann erst einmal innerlich die Augen und antworte: „Ich habe gerne Sex. Aber das war’s dann auch.“
Bevor ich mich freundlich darum bemühe, zu erklären, warum ich Sex mögen und trotzdem auf dem asexuellen Spektrum sein kann, womit eine Stelle im Gespräch erreicht ist, wo mein Gegenüber dann meist nicht mehr richtig mitkommt. Die Trennung von sexuellen Handlungen und Anziehung ist wohl hauptsächlich in Ace-Communitys und in einer verquerten Form in fundamentalistisch religiösen Gruppen verbreitet.
Und ich frage mich in diesem Moment, ob ich jetzt eine lange Erklärung beginnen soll, dass manche asexuelle Menschen (wenn auch bei weitem nicht alle) Sex haben und mögen, oder ich erst daran erinnern soll, dass sich unser aller Sexualität in Spektren bewegt und ich immer noch Grayace und nicht zu 100 % asexuell bin.

Ich habe gerne Sex. Aber das war’s dann auch.“
Sage ich.
Sehr zum Unverständnis mancher Menschen.
Und ob ich schon einmal einen Orgasmus hatte, ist dann mit einem Mal plötzlich von großem Interesse.
Wenn ich wahrheitsgemäß antworte, sorgt das meist für mehr Verwirrung und ich möchte auch kein Geheimnis daraus machen müssen. Aber gleichzeitig, sollte ich darauf keine Antwort schuldig sein, um zu beweisen, dass ich „rechtmäßig“ auf dem Ace*spec bin.
Es gibt überhaupt viele Dinge, die ich in solchen Gesprächen gerne sagen möchte, wie einige Dinge über diese Frage nach dem Orgasmus.
Und ungefähr zehntausendmal das Wort „Spektrum“.
Das würde ich manchen Leuten am liebsten direkt in den Kopf hämmern.
Die Nachricht, dass Asexualität ein Spektrum ist, wo ich mich nicht zu 100 % am Ende in einer Ecke wiederfinde, damit sie mich klar einordnen können, scheint für viele nicht so leicht verdaulich zu sein.

Aber wenigstens bin ich mir nach solchen Gesprächen immer sehr sicher:
Allosexuell bin ich nicht.

In Ace-Communitys sieht das alles schon ein wenig anders aus.
Asexualität ist hier logischerweise bekannt. Es wird differenzierter über Sexualität und Sex gesprochen.
Aber auch hier gibt es seltsame Situationen:
Da gibt’s zum einen die selbsternannten Gatekeeper*innen, die meinen, der Graubereich gehöre nicht zur Community oder wäre generell ein Missverständnis, weil wir einfach überzeichnete Bilder allosexueller Personen im Kopf hätten und uns deswegen nicht mit Allosexualität identifizieren könnten.
Da kann ich nur den Kopf schütteln und auf meine Gespräche mit Allos verweisen.
Siehe oben!
Ich erinnere mich aber auch an ein Gespräch, wo hinter Sex mit dem Partnermenschen, ohne genauer nachzufragen, eine Überschreitung der eigenen Grenzen vermutet wurde.
Oder auch Diskussionen wie die immer wieder mal aufkommende über Reizwäsche, wo ich mich dann frage, wo ich hier eigentlich gelandet bin, bei Aussagen wie:
„Löst Reizwäsche bei Allos wirklich sexuelle Anziehung aus?“
„Können die dadurch erregt werden?“
Oder auch:
„Sowas gibt mir gaaar nichts.“

Ein wenig fühle ich mich dann, als wäre mir eben wieder gesagt worden: „Aber Sex ist doch toll.“
Und denke mir:
„Es muss dir doch gar nichts bringen. Manchen Allos ‚gibt‘ das auch nichts.“
Ich möchte dann sagen, dass auch die Sexualität von allosexuellen Menschen ein Spektrum ist. Erklären, dass es bei Reizwäsche sicher auch um ästhetische Aspekte geht.
Darauf hinweisen, dass Reizwäsche auch von Personen verwendet wird, die schon in einer sexuellen Beziehung sind und/oder vorher schon sexuelle Anziehung füreinander empfinden und diese nicht erst durch Kleidung oder nackte Haut erzeugt werden muss. Da geht es um Beziehung, Erregung, sich herantasten an den Partnermenschen, nicht direkt nackt zu beginnen und die eigene Sexualität zu gestalten. Es geht mitunter darum, Erleben und Empfinden mit einem Kleidungsstück zu verbinden, damit zu spielen, die eigene Fantasie anzuregen und dann gegebenenfalls in die Realität weiterzugehen.
Reizwäsche hat viele Einsatzmöglichkeiten.
Ich will sagen, dass ich mich frage, warum wir so schnell den Begriff des Spektrums wieder vergessen, wenn es um (scheinbare) Allosexualität geht. Fragen wie es dazu kommt, dass wir offen von Kink sprechen, uns aber plötzlich alle Vorstellungskraft verlässt, sobald es um den möglichen Nutzen von Reizwäsche geht.
Das alles würde ich gerne sagen und so gut erklären wie möglich.
Aber ich weiß auch, dass das Gespräch beim nächsten Mal oder mit der nächsten Person wieder von vorne losgeht.
Immer wieder von vorne.

Viel davon ist wohl Unverständnis und Unwissenheit.
Dafür habe ich ein gewisses Maß an Verständnis.
So wie wenn ich versuche einer allosexuellen Person das asexuelle Spektrum begreiflich zu machen.
Aber bei all den manchmal ermüdenden Gesprächen, bleibt mir auch immer eine Gewissheit:
100 % asexuell bin ich nicht.

Und spätestens dann weiß ich, dass ich irgendwo dazwischen bin.
In Allo- und in Ace-Räumen mache ich Distanzerfahrungen.
Manchmal tut das weh.
Aber es ist auch okay.
Ich lerne daraus, dass die Gatekeeper*innen sich ihre Argumente sparen können.
Ich gehöre hierhin.
Zwischen den Bergen.
In meinem kleinen Tal voll Nebel.

 

 

© 2023 bei Finn

3. Dezember: Prokrastination

CN: Erwähnung von Pornographie und Pandemie

Prokrastination

Carmilla DeWinter

Ich muss selten mit dem Seniorchef reden. Doch Anfang des Jahres war es dann mal wieder so weit.

„Arbeiten Sie gerade an etwas Neuem?“, fragte er. Er und die Juniorchefin wissen, dass ich gelegentlich Texte veröffentliche, beide haben aber verständlicherweise Besseres zu tun, als jede Woche mein Pseudonym zu stalken. Zudem ist die Aufsicht über meine Tätigkeit zumeist an eine Filialleitung delegiert, sodass ich nicht oft in die Verlegenheit gerate, Fragen zu meinem Nebenberuf zu beantworten.

An jenem Tag setzte auf diese Frage mein Verstand kurzfristig aus. Aufmerksame Zeitgenossinnen bemerkten wahrscheinlich, dass mein Blick hilfesuchend durchs Backoffice irrlichterte.

Sodann antwortete ich: „Also, ich schiebe gerade die Überarbeitung eines Gesellschaftsromans vor mir her.“

Wir plauschten zwei Minuten lang darüber, dass es sinnvoll ist, hunderttausend Wörter Roman mit einem besseren Plan vom Plot zu beginnen, als ich es 2020 getan habe. Dann klingelte vorn im Laden die Glocke und nichtsahnende Kundschaft erlöste mich.

Meine Antwort war nicht ganz ehrlich, wie das geschätzte Publikum gewiss bereits erraten hat. Korrekterweise hätte ich berichten müssen, dass ich mich seit August 2022 vor dem Allgemeinzustand der Welt in eine Fanfiction geflüchtet habe, die mehr durch Zufall keinen schwulen Robotersex enthält. Falls Sie die Regel 34 noch nicht kennen, finden Sie also hiermit bestätigt, dass die Menschheit zu allem, was es gibt oder erdenkbar ist, Pornographie produziert.

Jedenfalls enthält die Story nur deswegen keinen als schwul lesbaren Robotersex, weil meine Roboter sich erstens nicht wie Menschen fortpflanzen und zweitens beide auf dem asexuellen Spektrum sind.

Nebenbei jonglierte ich die Vorhut für den zweiten Band von Beweisstück A und habe weiterhin eine nicht beendete wissenschaftliche Übersicht über die vorhandenen LGBTIQA-Populationsschätzungen an der Backe.

Nichts, was ich meinem notorisch heterosexuellen Chef zwischen Tür und Angel während der Ladenöffnungszeiten erklären müssen will. Zumal mensch von einer Apothekerin erwarten sollte, dass sie auch abseits des weißen Kittels die nötige Seriosität walten lässt. Also, zumindest, wenn sie das Klischee bedienen wollte.

Klischees kann ich leider ganz schlecht.

Außer dem Klischee, dass alles, was Autor*innen erleben, in einem Text Platz findet. Wie die berichtete Episode.

Und na ja … was gibt es Besseres, als schreibend die Überarbeitung eines Gesellschaftsromans vor sich her zu schieben?

 

© 2023 bei Carmilla DeWinter

1. Dezember: Warte

CNs: Ace- und Queerfeindlichkeit

Warte

Noir

Warten … warten auf den Bus, die Bahn, dass mensch irgendwo drankommt, das irgendwas passiert. Was aber, wenn ich selbst das Gefühl habe, ich brauche nicht zu warten, weil sich nichts signifikant ändern wird? Weil ich die Antworten eigentlich schon in mir trage? Und weil die anderen auch nicht warten, sondern einfach fortfahren dürfen, wenn sie so sind wie gewünscht.

Ich bleibe nicht gerne stehen, wenn’s nicht sein muss. Warum auch? Wem nützt es? Mir am allerwenigsten. Dennoch wurde ich oft zum Warten angehalten, besonders immer dann, wenn ich die ausgetretenen Pfade verlassen wollte. Das hat mit meinem mir gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlecht zu tun, aber eben auch mit meiner Sexualität. Beides dient der Gesellschaft quasi als Platzanweiser, um Komplexitäten zu reduzieren und etablierte Strukturen und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. Schubladen sind einfach, sie bieten Sicherheit und unterstützen Bequemlichkeit. Damit kann mensch andere Personen quasi to go einordnen. Einmal zum Mitnehmen bitte.

Aber dann komme ich und stelle meine Asexualität in den Raum. How dare you!, kann ich aus den Blicken anderer Menschen lesen und oft auch akustisch wahrnehmen. Ich störe ihre behagliche Weltsicht. Ihre kuscheligen, angewärmten Kategorien. Lange hat es gedauert einzusehen, dass es Menschen gibt, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen, und oft wird es immer noch angezweifelt. Wenigstens konnte sich mensch aber darauf einigen, dass alle sexuelle Anziehung in irgendeine Richtung empfinden. Wie kann ich es also wagen, das mit meiner puren Existenz anzuzweifeln? Und noch schlimmer, ich bin nicht allein damit.

Ich werde also aufs Abstellgleis geschoben. Verdammt zum Warten. Ich soll doch bitte geduldig sein, mich nicht so aufspielen und innehalten. Das kommt bestimmt noch. Vielleicht bin ich einfach ein Spätzünder? Hatte noch nicht die richtige Sorte Sex? War es vielleicht noch nicht der oder die richtige Partnerperson? Vielleicht sollte ich mal meine Hormone testen lassen? Oder vielleicht bin ich einfach tatsächlich asexuell?

Es kann schwer sein das zu akzeptieren, ich weiß. Wollte es ja auch nicht wahrhaben, aber es ist eben so. Niemals hab ich anders gefühlt. Ich schaute und schaue immer noch verwundert in Hochglanzmagazine, mit normschönen, schlanken, blitzend lächelnden Menschen und empfinde: nichts. Nichts an den Bildern was mich reizt, da es für mich und mein Ästhetikempfinden nichts gibt, was meinen Blick länger als zwei Sekunden an den aalglatten Fassaden halten könnte. „Heiß“ war und ist nie eine Kategorie gewesen, die ich verstand. Ich lernte nur irgendwann Muster zu erkennen und abzurufen, wie gewünscht.

Ich bin auch nie auf der Suche gewesen. Kein Verlangen, kein Druck, den ich nicht selbst befriedigen könnte. Suche ich trotzdem Nähe? Manchmal schon, nie aber brauche ich Sex. Die Nähe, die ich brauche, genieße ich hauptsächlich über Gespräche. Nicht viel berührt mich intensiver, zieht in meinen tiefen Wassern größere Kreise, als dass mir jemensch wohlwollend zuhört und auf Augenhöhe mit mir spricht. Mit mir streitet, mir auch mal Dinge verzeiht und nachsieht, mich eben nimmt, wie ich bin. Mich und mein A*spec-Sein, meine Ecken, Kanten, Schrullen und Co. hinnimmt und einfach mal sein lässt.

Asexualität ist damit meine Antwort. Also, ich warte nicht mehr. Nicht mehr, dass sich irgendwas ändert. Ich gehe einfach meine eigenen, gewundenen, teilweise holprigen Weg und wer will, der kommt einfach mit.

© 2023 bei Noir

Ein kleiner Adventskalender voller Geschichten

Aus Anlass der diesjährigen Ace Week veranstaltete InSpektren in Kooperation mit AktivistA n.e.V. einen Poetry Slam zum Thema „Sexualität_Asexualität“. Einige der Teilnehmenden haben uns freundlicherweise ihre Texte zur Veröffentlichung überlassen. Anstatt diese einfach so zu veröffentlichen, planen wir einen kleinen Adventskalender für euch, als Countdown zu den Feiertagen und/oder geistige Ausflüge aus der Jahresendhetzerei, egal was ihr glaubt.

Mit 24 Törchen können wir nicht dienen, es sind derer nur acht, die es jedoch in sich haben.

Offene Türchen:

1. Dezember: Warte

3. Dezember: Prokrastination

6. Dezember: Dazwischen

10. Dezember: Schwer begreiflich

So der Himmel Carmilla nicht auf den Kopf stürzt, bekommt ihr auch am 13., 17., 22. und 24. was zu lesen.

 

Lesefutter: „Ein unvollständiger Mann“ – Exploitation statt Repräsentation

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Eines vorweg: Jedes Mal, wenn ich irgendwo LGTBQIA+ statt LGBTQI lese oder im Rahmen einer Veranstaltung explizit Asexualität und Aromantik erwähnt werden, mache ich innerlich jauchzend einen (ebenso innerlichen) Hopser. Manchmal geschieht beides auch sicht- und hörbar. Ich bin dermaßen ausgehungert nach Repräsentation und dankbar für Krumen, dass ich mich zuweilen dafür schäme. Zwar gibt es hin und wieder Artikel über Aspec-Erfahrungen, doch meist berichten sie über beide Identitäten im Format: „Wir haben hier ein interessantes Einzelschicksal, schaut, die Person ist trotzdem ein Mensch, sie erklärt uns nun ihre sonderbare Existenz“. Das ist oft ehrlich um Aufklärung bemüht und lieb gemeint, aber nicht das, was bitter nötig ist: Stories und Erzählungen, in denen Personen einfach aspec sind und ihr Erleben dadurch beeinflusst, aber nicht komplett definiert wird. Ich möchte asexuelle Raumschiffpilot*innen, Vampirjäger*innen, Bäcker*innen und Präsident*innen, Figuren, die selbstverständlich als sie selbst Geschichten erleben, ihre Welt prägen statt zu reagieren und mehr sind als ein kurioser Einzelfall. Und die auch allosexuellen Personen zeigen, dass unser aller Leben besser wird, wenn wir normative Vorstellungen von Sexualität und Beziehungen (nicht nur romantischer Art) hinterfragen.

Hintergrundinformationen zum Roman

Dementsprechend gespannt bin ich, worum es sich beim Roman „Ein unvollständiger Mann“ von Ralf Gerhardt handelt. Vorweg gab’s von der Promoagentur ein Interview, in dem zu lesen ist:

„Herr Gerhardt, Ihr erster Roman ‚Ein unvollständiger Mann‘ dreht sich um Asexualität, ein bisher wenig diskutiertes Thema. Was hat Sie dazu inspiriert?

Gerhardt: Ein Artikel in der ZEIT (…) hat mich darauf gebracht (…). Ich (…) war (…) beeindruckt, mit welcher Wucht diese Orientierung in den Alltag der Betroffenen grätscht.“

Das tut weh. Meine Orientierung grätscht nicht in meinen Alltag als aspec Person, der Alltag mit seiner Allo- und Heteronormativität selbst ist das Problem. Er lässt sich ändern, meine Orientierung nicht. Und statt unter ihr zu leiden, strebe ich die Änderung des Alltags an. Doch, so lässt uns die Agentur im Anschreiben wissen: „Wie gründlich der Autor recherchiert hat, ist seiner Coming-of-Age-Geschichte anzumerken.“

Erste Eindrücke

Es ist ungerecht, ein Buch dafür zu kritisieren, was es nicht ist. Angesichts der erwähnten, gründlichen Recherche muss ich allerdings annehmen, dass die meisten ihrer Ergebnisse keine Spuren im Buch hinterließen. Vielleicht beschränkten sich die Quellen auch nur auf die erwähnten Standard-Interviews mit asexuellen Personen, deren Autor*innen individuelles Leid betonen. Das allerdings würde keiner gründlichen Recherche entsprechen Vielleicht war es aber auch eine bewusste Entscheidung, die dem Autor selbstverständlich zusteht.

Mir ist nicht bekannt, ob Ralf Gerhardt, der „Ein unvollständiger Mann“ schrieb, selbst asexuell ist, auf meine Nachfrage erhielt ich keine Antwort. Falls nicht, ist die Entscheidung, die Geschichte aus Sicht des asexuellen Kolja Wolf in Ichform zu erzählen, mindestens gewagt, meiner Meinung nach aber geradezu dreist. Dass auch allo Person über Asexualität und asexuelle Figuren schreiben, ist notwendig und willkommen. Als ace Person zu schreiben ist jedoch, wie bei allen anderen Identitäten, die nicht der eigenen entsprechen, zum Scheitern verurteilt, solange es keine explizite asexuelle Beteiligung, kein Feedback und kein Lektorat durch Aspecs gibt. Und falls Ralf Gerhardt doch ace sein sollte, hoffe ich, dass er bald Anschluss an die Community findet und neue Perspektiven kennenlernt.

Der asexuelle Erzähler Wolf ist eine wenig komplexe, passive Figur, die zu Beginn der Handlung bewusst emotionalen und körperlichen Abstand zu anderen hält. Seine Attitüde ähnelt eher einem gloomy Teenager als einem Mittdreißiger. Da ihm eine aggressive, „männliche“ Sexualität fehlt, sieht er sich als den titelgebenden, unvollständigen Mann. Dieser empfundene Makel bestimmt jegliche Interaktion mit anderen Figuren. Ihnen gegenüber verhält er sich egoistisch, launisch, rüde und, zumindest in der Vergangenheit, teils gewalttätig. Erst durch Zufälle, amatonormative Liebe und Aufklärung durch seine allo Bezugspersonen gelangt er zu einem apologetischen Umgang mit seiner Sexualität und ist am Ende sozusagen „trotz allem“ ein Mann. Die allo-Figuren sind wie er unsympathisch und dazu übertrieben sexualisiert. Sie sind Karikaturen, die immerzu flirten müssen, wenn sie eine Person attraktiv finden und sich geistig auf einem permanenten Junggesell*innenabschied befinden.

Paralleluniversum?

Die im Text vorherrschenden Gespräche sind auch durch die Erzählstruktur des Romans ermüdend. Sie beschränkt sich auf Unterhaltungen an wechselnden Orten und ist als das Gegenteil von „show, don’t tell“ durchweg selbstreferenziell, ja hermeneutisch. Unklar bleibt, weshalb Wolf zwar den Begriff „asexuell“ kennt, ihn aber trotz eigener Besessenheit von mangelndem Interesse an Sex und allen daraus entstehenden Problemen nie recherchierte. Das Internet existiert, es werden Mails geschrieben und am Ende tauchen Prideflaggen in asexuellen Farben auf, über deren Design in unserer Realität 2010 online abgestimmt wurde.

Wenn Wolf sich im Internet umgesehen hätte, wäre ihm aufgefallen, wie wenig besessen von Nabelschau und Leid das Leben von Aces ist. Dass sie nicht die ganze Zeit darüber brüten, wie seltsam sie sind, sondern stattdessen eigene Ideen von erfüllten Beziehungen haben. Dass sie sich und ihre Umwelt reflektieren können, ohne sich selbst abzuwerten und andere zu meiden. Dass Queerness, anders, als die schwulen Charaktere im Buch nahelegen, nichts ist, was jemand tut, nämlich immerzu queeren Sex haben (wollen), sondern eine Art der Abweichung von gesellschaftlichen heteronormativen, sexistischen, patriarchalen Normen, die auch uns Aspecs mit anderen Identitäten verbindet. Und vielleicht auch, dass die Sexualisierung von Queerness an sich Teil eines Weltbilds ist, dass Heterosexualität im Gegensatz zu ihr als „gesund“ und „normal“ betrachtet und allen schadet.

Auch davon ist in „Ein unvollständiger Mann“ nichts zu lesen. Asexualität ist nur ein Auslöser von Konflikten, deren Lösung einer asexuelle Person selbst nicht möglich ist. Der übergriffige Freund, der Wolf einst nicht konsensuellen Sex unter Drogeneinfluss aufzwang, weiß am Ende mehr über Asexualität als der asexuelle Wolf selbst. Ahnungslos wird die einzige asexuelle Figur durch eine Handlung geredet, die nicht genügend Camp und Humor besitzt, um das übergroße Drama einer Telenovela zu bieten, aber ähnliche dramaturgische Kniffe bemüht. Sie ist zu szenisch abgefasst, um als Roman zu gefallen oder durch Beschreibungen von Personen, Orten und Gefühlen zu unterhalten. Dazu fehlt jede gesellschaftliche Dimension, die Figuren haben Berufe, aber keine Identität und befinden sich abseits zeitgenössischer queerer Diskurse fest in konservativen Ideen von Männlichkeit und Heteronormativität verhaftet, die sie durch oberflächliche Exzesse nur verstärken.

Fazit

Ich weiß nicht, für welches Publikum das Buch geschrieben wurde. Falls für Aspecs, sollten wir uns auch angesichts fehlender Repräsentation nicht mit dem hier Gebotenen zufrieden geben. Wurde es für Allosexuelle verfasst, setzt es das übliche othering im Protagonisten Wolf selbst fort und lässt die Möglichkeit, auf über 350 Seiten nicht nur über Asexualität, sondern Sexualität an sich aufzuklären, ungenutzt verstreichen. Nicht einmal der Unterschied zwischen Libido und sexueller, romantischer und anderen Arten von Anziehung wird, und sei es in Form eines Glossars am Ende des Bandes, dargelegt.

Als aspec Person stachelt mich das mehr an, als dass es mich aufbringt, ich weiß ja, wie vieles noch klargestellt werden muss. Zum Beispiel, dass ein Leben als asexuelle Person zwar durch Allo- und Heteronormativität erschwert wird, Asepcs aber mehr zur Gesellschaft beizutragen haben als die Rolle des seltsam Anderen, die andere in ihrer vermeintlichen Normalität bestärkt, indem sie „trotzdem“ wie Allos leben wollen und das freundlicherweise manchmal unter Mithilfe viel entspannterer, offenerer Allos dürfen. Wir haben nicht einfach nur einen geringeren Anteil an gesellschaftlichen Normen entsprechenden Beziehungen oder lehnen sie ab, wir queeren sie. Und diese transformative Kraft der Queerness ist erstaunlicherweise das, was mir in diesem Buch, einer Exploitation Fiction über Asexualität, mehr als andere fehlt. Eine Geschichte, die darauf nicht eingeht, ist nicht automatisch misslungen, nur weil sie diese, und in diesem Fall explizit meine, Erwartungen nicht erfüllt. Doch was hier stattdessen erzählt wird, reicht nicht aus, um zu überraschen und vergessen zu lassen, was fehlt.

Ralf Gerhardt: Ein unvollständiger Mann. Erschienen 2023 im Selbstverlag, 356 Seiten. Hardcover-ISBN 3347907035 (24,90 €), Softcover-ISBN 3347907027 (16,90 €)

Bestellbar unter anderem bei tredition.

Diese Rezension wurde verfasst von: Lennart. Wir haben dafür eine elektronische Kopie gratis erhalten.

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit: „Flecken“ von Christian Meyer

Im Original deutschsprachige Romane mit Protagonist*innen aus dem asexuellen Spektrum sind rar gesät. Im vergangenen Jahr kam mit Flecken von Christian Meyer erfreulicherweise einer hinzu.

Die Ausgangssituation erinnert vage an Wir kommen von Ronja von Rönne – der Protagonist Erik, aufgewachsen in einem kleineren Ort und mittlerweile längst in einer Großstadt wohnhaft, erhält die Nachricht vom Tod seiner Jugendfreundin Neele. Der Heimatort irgendwo in Schleswig-Holstein wird stets nur als „Flecken“ bezeichnet und gibt dem Buch seinen Titel. Die Geschichte wird nicht chronologisch erzählt: Auf ein Kapitel in der Gegenwart (Neeles Beerdigung und die Tage danach) folgt jeweils eins, das Eriks und Neeles gemeinsames Leben nachzeichnet und zwar rückwärts, von ihrer letzten Begegnung bis in ihre frühe Kindheit. Dieser Aufbau macht den Roman sehr spannend, aber auch schwierig zu lesen. Vieles wird erst später verständlich, bei manchen Details wird dem Leser erst später klar, dass sie wichtig waren. Dadurch wird Eriks Situation nachvollziehbar; er erhält Informationen, die Neele und ihn selbst betreffen, nach und nach, seine Reise in die Vergangenheit gestaltet sich immer wieder schmerzlich und unbequem.

Neele hat sich das Leben genommen, nachdem Erik etwa zwanzig Jahre lang nichts mehr von ihr gehört hatte. Hätte er sie retten können? Ist man überhaupt verpflichtet, andere zu retten, oder ist jeder Mensch für sich selbst verantwortlich? Diese Fragen ziehen sich durch den gesamten Roman. Neele hat Dinge von Erik erwartet, die er ihr nicht geben konnte. Die unterschiedliche sexuelle Orientierung war dabei nur eines von mehreren Problemen. Ihr Leben lang haben sie einander sehr nahegestanden, ihr Verhältnis ist immer komplizierter geworden und schließlich hat Erik den Kontakt abgebrochen, da sie sich in einer Sackgasse befanden. In den Tagen nach der Beerdigung erfährt er zwei lang verschwiegene Geheimnisse, die er vielleicht immer geahnt hat.

Sexuelles Begehren ist Erik immer ein Rätsel gewesen. Seine Empfindungen und Erfahrungen dürften für viele Menschen aus der Community nachvollziehbar sein. Menschen schön, aber nicht heiß finden, nicht wissen, wie man sich verhalten soll, wenn man angebaggert wird – derartige Ace Moments werden vom Autor treffend geschildert. Dabei hat die Hauptfigur selbst eigentlich kein Bedürfnis nach einem Label und macht Dinge generell gern mit sich selbst aus. Es ist sein Umfeld, das ihn mit Erwartungen unter Druck setzt und Erklärungen von ihm verlangt. „Wenn man asexuell ist, dann ist es sicher das Schlimmste, dass die meisten Leute das nicht verstehen, entsprechend engstirnig reagieren und ständig damit nerven, weil sie einen unbedingt in eine Schublade stecken wollen und einfach nicht akzeptieren wollen, dass es so was auch gibt.“, sinniert der fast achtzehnjährige Erik. Da hat Neele ihn gerade mit den Ergebnissen ihrer Internet-Recherchen konfrontiert. Wir befinden uns etwa im Jahr 2000, daher ist es historisch stimmig, dass die Typen von A bis D aufgezählt werden, die damals angesagt waren und heute längst als veraltet gelten. Das Wort „Aromantiker“ fällt ebenfalls – hat man es damals schon verwendet oder haben wir es hier mit einem kleinen Logikfehler zu tun? Jonas Trochemowitz könnte es wohl genauer sagen. 🙂

Als Mann kann er es eigentlich nie richtig machen, zu diesem Schluss kommt Erik immer wieder. Entweder wird ihm pauschal Lüsternheit unterstellt („Frauen denken, ich schaue ihnen auf den Hintern und will sofort mit ihnen schlafen, ich weiß am Strand nie, wohin ich gucken soll.“) oder er ist ein Weichei bzw. homosexuell. „Schwul“ wird im Flecken gern als Schimpfwort verwendet, als Anlass reicht schon die Tatsache aus, dass ein Mann keinen Alkohol trinkt. Neele kommt zwar als Jugendliche im Rahmen eines Workshops mit Ideen von Judith Butler und Simone de Beauvoir in Kontakt, schafft es aber nicht, aus ihren Verhaltensmustern auszubrechen, mit denen sie sich selbst schädigt und deren Ursprung der Leserin im Laufe des Romans klar wird. Sie unterhält wechselnde sexuelle Beziehungen zu häufig wesentlich älteren Männern und leidet immer wieder, wenn ihre Partner sie verlassen. Erik schwärmt sie von der „Macht des Begehrtwerdens“ vor: „Oft fühlt sich alles taub an, aber in solchen Momenten fühle ich mich.“ Dass ihr Kindheitsfreund sie nicht begehrt, wurmt sie, gleichzeitig möchte sie von ihm beschützt werden. Der appelliert an ihre Eigenverantwortung und möchte sich generell seine Neutralität bewahren, niemanden verurteilen und selbst nicht in Schubladen gesteckt werden.

Während seines Aufenthalts im Flecken wird er immer wieder gefragt, warum er keine Partnerin habe. Dabei haben ihn seine Eltern ebenso wie sein bester Freund Bruno stets bedingungslos akzeptiert, Gleiches gilt für seine beiden besten Freundinnen in seiner Wahlheimat Wien, ein lesbisches Paar mit Kinderwunsch. In einer idealen Welt wären Erklärungen und Outings gar nicht notwendig, dies ist eine Botschaft, die der Roman vermittelt. Keine einfache, aber durchaus eine empfehlenswerte Lektüre.

Christian Meyer: Flecken. Erschienen 2022 im Verlag Voland & Quist GmbH, 304 S.

Ein Sachbuch ließ sich lange nicht so gut lesen

Nachdem wir bisher meistens Romane vorgestellt haben, heute mal ein Sachbuch. Anfang Januar ist „[Un]sichtbar gemacht. Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“ erschienen, herausgegeben von Annika Baumgart und Katharina Kroschel, online auch bekannt als ace_arovolution.

Das Buch "(Un)sichtbar gemacht. Perspektiven auf Aromantik und Asexualität"
„[Un]sichtbar gemacht. Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“ von Annika Baumgart und Katharina Kroschel
Der Verein hat ein Rezensionsexemplar angeboten bekommen und da haben wir doch direkt zugegriffen. Und passend zur Aro-Week kommt nun die Rezension.

In aller Kürze lässt sich sagen: Ich kann das Buch allen Menschen nur wärmstens ans Herz legen! Es hat eigentlich für alle Interessengruppen was zu bieten. Für Menschen die sich selbst auf dem Aspec verorten, für Allys und solche die es werden wollen, für Menschen, die ein akademisches Interesse am Thema haben…Alles in allem gebe ich dem Buch 5 von 5 Froschgrüne-Kuchenstücke.

Zum Aufbau des Buches

Das Buch ist insgesamt in fünf Teile untergliedert: Grundlagen, Geschichte, Diskriminierung, Beziehungsweisen und Aromantische und Asexuelle Symbole. Jeder dieser Teile besteht aus einer Vielzahl von Unterkapiteln, die in der Regel nicht länger als zwei oder drei Seiten sind. Dadurch lässt sich das Buch gut Häppchenweise lesen. Zwischen den einzelnen Kapiteln eingestreut sind immer wieder Texte von Menschen, die sich auf die eine oder andere Weise auf dem Aspec verorten und ihre persönlichen Erfahrungen und Gedanken teilen. Obwohl es also ein Sachbuch ist, hat es durch die selbstverfassten Texte auch eine gewisse literarische Komponente.

Mit den Unterkapiteln verbindet sich ein erster Kritikpunkt, was die Handhabung des Buches betrifft. Es gibt immer wieder Verweise auf bestimmte Kapitel, in denen Aspekte näher vertieft werden, die an der aktuellen Stelle nur angetippt werden. Aber da das Inhaltsverzeichnis nur die Hauptteile aufführt, blättert mensch sich ziemlich nen Wolf, um den Verweisen zu folgen. Da wäre es für die nächste Auflage hilfreich entweder das Inhaltsverzeichnis zu überdenken, oder die Verweise um die entsprechenden Seitenzahlen zu ergänzen.

Ein paar Worte zum Inhalt

Als Historikerin kann ich sagen, dass mich besonders der Geschichtsteil sehr begeistert hat. Zumal queere Geschichtsschreibung immer ihre Schwierigkeiten mit sich bringt. Die Sprache, die wir heute verwenden hat sich meist erst in den letzten 150 Jahren entwickelt (wenn überhaupt), die Empfindungen und Orientierung sind aber natürlich so alt wie die Menschheit. Besonders spannend fand ich persönlich hier den Verweis auf die Antike, in der bereits unterschiedliche Formen von Liebe unterschieden wurden, und die so einen Anschlusspunkt für das moderne Split-Attraction-Model bietet.

Recht schwer fiel mir hingegen die Lektüre des Teiles zur Diskriminierung. Als Person die selbst aroace ist, hat es mich ziemlich runtergezogen hier so detailliert all die belastenden Aspekte und Diskriminierungsformen vor Augen geführt zu bekommen. Und wenn ich nicht diese Rezension zum Ziel gehabt hätte, hätte ich den Abschnitt wahrscheinlich übersprungen – zumindest für den Moment. Menschen die alloromantisch und allosexuell sind lege ich ihn hingegen sehr ans Herz. Gerade auch innerhalb der queeren Community, da er sehr deutlich macht, wie vielfältig Diskriminierung sein kann. Leute die sich selbst im Aspec verorten möchte ich zumindest darauf hinweisen, dass das nicht gerade leichte Kost ist.

Nach den fünf Hauptteilen finden sich dann noch Verweise auf Ressourcen und ein Glossar. Ebenfalls fast als Glossar lässt sich die umfangreiche Übersicht an (ausgewählten) Labels und Mikrolabels bezeichnen, die sich bereits im Grundlagenteil findet (S. 24-29). Was die Definitionen der Labels betrifft, wird es sicherlich an einigen Stellen innerhalb der Community Meinungsverschiedenheiten geben. Aber da halte ich mich mal raus. Es wird von den Herausgeber*innen deutlich gemacht, dass die Begrifflichkeiten zum Teil noch im Fluss sind oder es verschiedene Definitionen gibt. Damit kann ich gut leben, da muss ich nicht wegen ein paar Feinheiten, die ich vielleicht persönlich anders sehe jemandem einen Strick draus drehen.

Ein bisschen was zu meckern gibt’s immer

Die Ressourcen bringen mich zum Abschluss aber noch zu einem weiteren, und auch etwas persönlichem, Kritikpunkt. Und zwar wird an verschiedenen Stellen (zu Recht) festgestellt, dass es bisher wenige deutschsprachige Informationen und Ressourcen zu Asexualität, Aromantik und den jeweiligen Spektren gibt. Diverse Sachen, die es aber trotz allem gibt, werden nicht genannt.

Etwas frustrierend war hier, dass es zwar einen kurzen Hinweis auf AktivistA gibt (S. 81f), aber mit keiner Silbe darauf hingewiesen wird, dass wir seit Jahren Flyer und Broschüren herausgeben und die kiloweise im ganzen Land verschicken. Vielleicht auch für uns im Jahr unseres zehnjährigen Bestehens ein Anlass unsere Kommunikationsstrategie innerhalb der Community mal zu überdenken.

Ähnlich schade fand ich, dass das Queer Lexikon, dass ebenfalls schon lange gute Informationen zum Thema verbreitet gar keine Erwähnung gefunden hat.

Wünsche für die zweite Auflage

Und auch sonst hätte ich ein paar Ergänzungen für die Ressourcenseiten. Wobei es sich hier jeweils um Veröffentlichungen handelt, die noch nicht so lange in der Welt sind. Ich gehe mal davon aus, dass das Fehlen eher Corona-bedingten Verzögerungen im Erscheinen des Buches geschuldet ist.

Jedenfalls würde ich mich bei einer 2. Auflage freuen auch auf „Das asexuelle Spektrum. Eine Erkundungstour“ von Carmilla deWinter hingewiesen zu werden. Ein deutschsprachiges Sachbuch, dass nach diversen Pandemiehürden seit Anfang März 2021 auf dem Markt ist. Oder bei den Online-Ressourcen zu Aromantik auf den Blog AktivAro, der seit Anfang Mai 2021 zahlreiche Beiträge zu Aromantik auf Deutsch online gestellt hat. Und da aller guten Dinge bekanntlich drei sind, und sich auch belletristische Hinweise finden, wäre da dann noch die Anthologie „Beweisstück A“ zu nennen, die von Carmilla deWinter und Carmen Keßler herausgegeben wurde und eine reiche Sammlung an Kurzgeschichten aus dem Aspec bietet.

Nachdem das Fazit im Grunde auch schon am Anfang des Textes stand, noch mal zum Schluss: Unbedingt empfehlenswert zu lesen, aber ein paar Wünsche für eine 2. Auflage bleiben noch offen.

Endlich auf Deutsch: Loveless von Alice Oseman

Nachdem wir 2020 die englische Version von Alice Osemans Loveless besprochen hatten, erreichte uns 2021 vom Loewe-Verlag eine erfreuliche Nachricht. Das Buch sollte auf Deutsch erscheinen. Ob AktivistA ins Verzeichnis nützlicher Adressen dürfte?

Natürlich haben wir zugestimmt. Und sogar ein Belegexemplar bekommen! Dies ist also das erste Mal in meinem Leben, dass ich (Carmilla) ein Belegexemplar rezensiere. (Eine weitere Vergütung dieser Rezension ist nicht erfolgt. Wir wurden außerdem nicht um Werbung gebeten.)

Ganz kurz noch mal: Worum geht es bei Loveless?

Die achtzehnjährige Georgia ist zum Schulabschluss noch ungeküsst. Im ersten Semester an der Uni will sie dringend etwas daran ändern. Schließlich möchte sie nicht Loveless sein — ohne Liebe. Dazu bittet sie ihre Mitbewohnerin Rooney um Rat. Alles gerät außer Kontrolle, als Rooney auffällt, dass Georgias bester Kumpel in sie verliebt ist. Rooney ermuntert Georgia, da etwas draus zu machen, obwohl Georgia (noch?) gar nicht zurückverliebt ist.

Kleine Kritteleien

Es gilt zu beachten, dass die Rezensentin häufiger dafür bezahlt wird, anderer Menschen Texte zu lektorieren oder korrigieren. Persönlich hätte ich als Lektorin um weniger Kursive und Großbuchstaben gebeten. Zudem lässt der Buchsatz im Print an Sorgfalt zu wünschen übrig.

Was erwartet die Lesenden?

Ihr bekommt eine asexuell-aromantische Selbstfindung:

Ich hatte mein ganzes Leben damit verbracht zu glauben, dass romantische Liebe auf mich wartete. Dass ich sie eines Tages finden würde und dass ich dann endlich glücklich sein würde.

So was habe ich auch mal geglaubt. Insofern ist das nicht nur ein Buch für Aces, sondern auch für solche, die vielleicht einen Stups in die Richtung aro und/oder ace brauchen. Und zuletzt für alle, die Romane mögen, in denen Freundschaften gefeiert werden.

Dazu serviert Oseman Irrungen fast Shakespear’schem Ausmaßes, viel Humor, kluge Gedanken über die Natur der Liebe und ein völlig unromantisches Happy End.

Der Stil ist locker-flockig. Oseman beherrscht ihre Spannungsbögen und zeichnet außerdem liebevoll runde Figuren, die ich einfach umarmen will.

Auch an der Qualität der Übersetzung ist nicht zu kritteln. Die lässt nicht ahnen, dass ein englisches Original dahintersteckt.

Formalia

Alice Oseman: Loveless: Wann endlich beginnt meine Story? Erhältlich überall im Buchhandel unter der ISBN 978-3-7432-1219-0 (Taschenbuch) oder ISBN 978-3-7320-1751-5 (ePUB).

Für mehr: Vorstellungsseite des Verlags.