Der Film „Slow“ von Marija Kavtaradze zeigt eine Beziehung zwischen einer ace und einer allo Person. Nachdem Markus vom Hamburger Stammtisch von Vorführungen bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck erfuhr, fragte er dort nach, ob er unsere Flyer auslegen dürfe. Nicht nur das wurde ihm erlaubt, er erhielt auch Freikarten und eine Einladung, nach den Vorstellungen an öffentlichen Gesprächen teilzunehmen. Eine dieser Gelegenheiten gab der Stammtisch an AktivistA weiter. Vielen Dank für den Einsatz und dafür, uns einzubeziehen! Und vielen Dank auch an die Nordischen Filmtage: Es ist erfreulich, wenn ein Film über eine marginalisierte Gruppe gezeigt und ihr (wenn auch durch die persönliche Initiative einer Einzelperson) Raum gegeben wird.

Für AktivistA fuhr ich also nach Lübeck, um den Film zu sehen und danach an was eigentlich teilzunehmen? Einer Podiumsdiskussion, einem Q&A? Als ich das in Erfahrung bringen wollte, erfuhr ich, dass es sich um ein Gespräch zwischen Hauptdarsteller*innen und einer Moderation handeln sollte. Thema würde erst einmal explizit „Filmisches“ sein, nicht Asexualität, über sie könne am Ende und bei Bedarf gesprochen werden, immerhin sei es ein „normales“ Filmfestival. Es wäre leicht, zu schreiben „Was auch immer das heißen mag.“ Leider stellt sich mir diese Frage nicht; ein „normales“, nicht-queeres Filmfestival ist für Genrenischen da, die im Mainstream untergehen. Zum Beispiel eine, in der Geschichten über, nicht für marginalisierte Gruppen erzählt werden.

Allornormative Ratlosigkeit

Diese heteronormative Haltung passt meiner Meinung nach hervorragend zum Film. „Slow“ zeigt die Probleme einer heteroromantischen Beziehung mit dysfunktionaler Kommunikation. Ob die Asexualität der männlichen Figur dafür der einzige Grund ist, bleibt offen. Wie selbstverständlich die allo Partnerin Elena (Greta Grinevičiūtė) die ace Person Dovydas (Kęstutis Cicėnas) mit ihren Erwartungen konfrontiert, widerspricht dem zumindest nicht. Dem Desinteresse des asexuellen Mannes an Praktiken mit Fokus auf Genitalien begegnen beide mit Ratlosigkeit, offene Gespräche darüber bleiben aus. Hetero- und allonormative Erwartungen an eine romantische Beziehung werden höchstens im Alkoholrausch kurz übermütig hinterfragt, den Rest der Zeit bleiben sie selbstverständlich. Nicht nur in dieser Hinsicht ist „Slow“ ein durchweg straighter Film. Obwohl Dovydas ace ist, fehlt ihm der Kontakt zur und das Wissen über die queere Community und deren Erfahrungen mit Consent, er wirkt einfach wie ein „schlechter“ Heterosexueller. Wenn mensch bedenkt, wie unsichtbar und damit unwissend Aspecs oft bleiben, ist das realistisch, hat aber wenig mit der Identität und viel mit struktureller Ignoranz zu tun.
Dass der Film nicht aufklärt, sondern einfach eine Geschichte erzählt, ist eine ambivalente Entscheidung. Positiv daran ist, dass er Asexualität als schlichtweg existent zeigt und das anhand einer männlichen Hauptfigur geschieht. Doch die Gegenüberstellung mit der freien, „normalen“ Sexualität Elenas brandmarkt ihn auf eine Art, die Annahmen und Vorurteile straighter Allos über Asexualität bestätigen könnte. Mich hat der Film weder enttäuscht noch erfreut. Um Allos Asexualität nahezubringen, würde ich ihn nur „unter Aufsicht“ durch eine ace Person empfehlen.

Stimmen aus der Community

Damit ihr nicht mit meiner Meinung allein gelassen werdet, folgen hier noch ein paar Stimmen anderer Aspecs des Hamburger Stammtischs.

„Der Film ist ästhetisch sehr gut gemacht, emotional ansprechend und arbeitet das Thema Asexualität gut auf. Man merkt, dass sich die Filmemacher mit dem Thema auseinandergesetzt haben und versucht haben, den Nuancen gerecht zu werden. Allerdings ist der Film doch sehr aus nicht-asexueller Perspektive erzählt. Als Einstieg für Leute, die sich noch nie mit Asexualität befasst haben, dient er aber durchaus und auch asexuelle Menschen können sich in ihm wiederfinden.“
~ Caroline

„Es ist ein Film, der eher aus der künstlerischen Perspektive betrachtet werden sollte. Und aus dieser Perspektive ist der Film ganz gut gelungen. Vor allem, da der Fokus auf der Beziehung liegt und nicht unbedingt darauf, in erster Linie Asexualität zu porträtieren. In einer Beziehung zwischen einer asexuellen und einer allosexuellen Person liegt die größte Schwierigkeit in unterschiedlichen sexuellen Bedürfnissen, die zu Konflikten und Enttäuschungen führen, was der Film durch zahlreiche intime Szenen darstellt. Doch Menschen, die nicht ace sind und sich mit dem Thema nicht auseinandergesetzt haben, können durch sie leicht einen falschen Eindruck von Asexualität gewinnen, verwirrt sein oder sie sogar infrage stellen. Das ist ein bisschen problematisch. Jedenfalls ist es kein „typischer Hollywood-Spielfilm“ und sollte nicht mit so einer Erwartung gesehen werden, weil das zu Enttäuschung führen würde. Unberechtigt.“
~ Boris

„In kraftvollen und feinfühligen Bildern exploriert Slow die individuell gefundene und ausgedrückte Sinnlichkeit seiner zwei Hauptprotagonisten. Die Allo/Ace-Beziehung wird zugunsten der Wiedergabe häufiger Problematiken von nicht kompatiblen sexuellen Bedürfnissen etabliert, versperrt sich damit aber der (queer-perspektivischen) Frage nach romantischer Sinnlichkeit außerhalb eines sexuellen Kontextes.“
~ noni

„Ich habe mich an vielen Stellen erschreckend gut in dem Film wiedergefunden und fand es schön, mich als ace – auch mit den Problemen, die das manchmal leider mit sich bringt – repräsentiert zu sehen.“
~ Lea

„Der Film ist meines Wissens der erste Kinofilm überhaupt mit Asexualität auf Hauptrolleniveau. Insofern weckt er natürlich große Erwartungen. Die Darstellung von Asexualität ist sehr authentisch. Für Allosexuelle möchte ich betonen, dass das Spektrum von Asexualität sehr breit ist. Insofern ist die Figur von Dovydas zwar authentisch, aber gleichzeitig nicht repräsentativ. Der hohe Anteil an Körperlichkeit könnte bei Asexuellen je nach Einstellung zu sexuellen Darstellungen langweilig oder sogar triggernd wirken. Insgesamt wirkt die Erzählperspektive auf mich nicht nur deshalb eindeutig allosexuell. Ich kann als asexueller Mensch nicht einschätzen, inwieweit es gelingt, allosexuelle Personen in die Gefühlswelt von Dovydas mitzunehmen. Ich bin es umgekehrt sehr gewohnt, mich in allosexuelle Charaktere einzufühlen. Würde ich den Film Menschen ohne viel Wissen über Asexualität zeigen, hätte ich danach sehr viel Bedürfnis, einige Dinge ausführlicher zu erklären. Der Film thematisiert primär, dass es sehr schwer ist, den Bedürfnissen der Partnerperson gerecht zu werden – vor allem, wenn man in einer recht normativen Beziehungsvorstellung haften bleibt. Queer-sein heißt Normativität hinterfragen und gräbt tiefer: Was ist eigentlich Sex? Was macht eine Beziehung aus? Wie finde ich meine Bedürfnisse und Grenzen heraus? Wie kommuniziere ich sie? Von den Antworten, die die queere Community entwickelt hat, können auch nicht-queere Menschen profitieren.

Insgesamt ist es ein handwerklich guter Film. Die Story ist sehr nachfühlbar, dennoch hatte ich nicht das Gefühl ‚der Film wird für mich ein Kultfilm‘. Vielleicht liegt es daran, dass ich das Ende verwirrend fand. Vielleicht ist er mir zu körperlich. Vielleicht liegt es daran, dass die Perspektive von Dovydas weniger ausgeleuchtet wird als die von Elena. Vielleicht fehlt mir die starke positive Botschaft, dass Asexualität kein Manko ist, kein Problem sein muss, sondern genauso erfüllend ist. Vielleicht vermisse ich eine queere, inspirierende, unkonventionelle Auflösung. Das hätte so eine starke Botschaft sein können.“
~ Markus

Diese Rezension wurde verfasst von: Lennart.

Diese Seite steht unter CC BY-SA 4.0.
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