Schlagwort: Acefeindlichkeit

Zum IDAHOBITA* 2023

Zunächst einmal: Wir wünschen euch allen einen guten, erfolgreichen Tag gegen Homo-, Bi-, Trans-, Inter- und Aspec*-Feindlichkeit! Ursprünglich als „Internationaler Tag gegen Homophobie“ gegründet, hat er in den letzten Jahren einige Buchstaben hinzugewonnen. Unser Beitrag heute wirft ein kleines Streiflicht auf Ace- und Aro-Feindlichkeit.

Allerdings: Queerfeindliche Positionen interessiert es nicht, ob eine Person ace, lesbisch, bi, schwul und/oder trans ist. Sie haben ihr festes Schema von der Welt und bestehen darauf, dass wir alle in die von ihnen genehmigten Ausstechförmchen passen. Ein paar von uns werden deshalb zum Beispiel in Heidelberg und Karlsruhe bei Veranstaltungen und Demos anwesend sein. Vielleicht findet ihr noch eine Veranstaltung in eurer Stadt, die ihr unterstützen könnt?

Für Menschen, die lieber nicht rausgehen, gibt es einen Vorleseabend auf dem Aspec*German-Discord-Server.

 

Wieso besteht ihr auf ein A in IDAHOBITA?

Und schon sind wir mittendrin im Thema. Feindlichkeit äußert sich zwar auch in tätlicher Gewalt, aber die Ursachen davon beginnen schon viel früher. Nämlich in den Köpfen.

So ist auch Feindlichkeit gegenüber ace und aro Menschen zuerst eine Frage von Einstellungen und Glaubenssätzen. Wie soll eine Gesellschaft beschaffen sein? Was macht einen Menschen aus, den wir als wertvoll anerkennen? Wenn Menschen davon ein enges Bild haben, versuchen sie häufig, ihre Version anderen aufzuzwingen.

Jede geschlechtliche, sexuelle und romantische Minderheit begegnet sowohl allgemeinen wie auch spezifischen Varianten von Queerfeindlichkeit.

Warum die Feindlichkeit gegen asexuelle und aromantische Menschen spezielle Formen annimmt, beschreiben die Begriffe Allonormativität und Amatonormativität.

Allonormativität und Amatonormativität

„Normativität“ bedeutet hier, dass ein bestimmter gesellschaftlicher Sachverhalt als „normal“ und wünschenswert gilt.

„Allo“ kommt von „allosexuell“. Damit sind Menschen gemeint, die nicht zum asexuellen Spektrum gehören. „Allonormativ“ beschreibt also die Annahme, dass alle Menschen sexuelle Anziehung kennen und diese Anziehung auch ausleben möchten.

„Amato“ meint Liebe und Zärtlichkeit. „Amatonormativ“ bedeutet, dass romantische Liebe und romantische Beziehungen als sehr wichtig und erfüllend eingestuft werden. Deshalb wird angenommen, dass alle Menschen eine romantische Beziehung suchen.

Menschen, die diese unausgesprochenen Erwartungen nicht erfüllen, erleben oft unerfreuliche Reaktionen. Zum Beispiel …

 

Pathologisierung

Pathologisierung bedeutet, dass etwas als „krank“ eingestuft wird, das gar nichts mit einer Krankheit zu tun hat. So nehmen viele Menschen an, dass ace und aro Menschen irgendwie krank seien, weil ihnen nach landläufiger Meinung etwas Wichtiges fehlt. Bei einem Coming-out werden ace und aro Menschen daher oft mit Diagnosen konfrontiert. Selbst wenn das nett gemeint ist, tut das weh. Es führt außerdem dazu, dass sich viele ace und aro Menschen als „kaputt“ wahrnehmen, bevor sie ihre Label finden. Sie haben dann solche Botschaften verinnerlicht.

Bis 2016 kam in Medienberichten über Asexualität sehr häufig eine Person aus der Medizin zu Wort, die über mögliche „Ursachen“ des vermeintlichen Mangels spekuliert. Heutzutage finden sich solche Vermutungen vor allem in den Kommentarspalten – prominenten Beispielen zum Trotz.

 

Infantilisierung

Infantilisierung bedeutet, dass Menschen als unreif oder kindlich dargestellt werden. In unserer Gesellschaft haben die „erste Liebe“, der „erste Kuss“, das „erste Mal“, Heiraten und Elternschaft einen festen Platz in Erzählungen vom Erwachsenenwerden. Wenn Menschen diesen Dingen keine Bedeutung beimessen oder diese Dinge nicht erlebt haben, werden sie oft als „unfertig“ oder unreif wahrgenommen. Ace und aro Menschen werden daher oft auf später vertröstet: „Ach, der/die Richtige kommt schon noch.“ Sie begegnen – wie andere alleinstehende Menschen auch – oft Fragen danach, wann sie denn endlich eine romantische Beziehung eingehen / sich häuslich niederlassen / für Enkelkinder sorgen, als sei dies der einzige Gradmesser für ein erfülltes Erwachsenenleben.

Invalidierung

Invalidierung bedeutet, dass etwas wertlos oder unwichtig gemacht wird. Sowohl Pathologisierung als auch Infantilisierung dienen oft dazu, Aussagen von asexuellen und aromantischen Menschen als unwichtig darzustellen. Dadurch kann sich das Publikum beruhigt zurücklehnen: Unreifen oder kranken Menschen muss man ja nicht glauben, was sie über ihre sexuelle oder romantische Orientierung sagen.

Eine andere Strategie ist, Aussagen über eine Orientierung als kurzfristig oder allgemein umzudeuten. „Das geht doch allen mal so.“ „Das ist doch nur eine Phase.“ „Das ist in deinem Alter doch normal.“ „Sexualität ist fluide. Das kann sich also noch ändern.“ Und so weiter.

All dies dient außerdem dazu, die Aussagen von Aces und Aros als weniger politisch erscheinen zu lassen.

Damit machen wir für heute Schluss, obwohl wir das Ende der traurigen Parade noch lange nicht erreicht haben. Ein Sachbuch über Ace- und Arofeindlichkeit ist (un)sichtbar gemacht von Annika Baumgart und Katharina Kroschel. Außerdem empfehlen wir die Podcastfolgen von InSpektren über A*spec-Feindlichkeit und Allonormativität.

AktivistA 2021 – die Konferenz-Rückschau, Teil 2

Literatur-Vorgeschmack

Nach der Essenspause gab es einen kleinen literarischen Teil. Ich stellte kurz ein Projekt von DasTenna und mir vor. Für die Ace Week Ende Oktober ist eine Sammlung Kurzgeschichten als E-Buch und Print geplant. „Beweisstück A. Eine a_sexuelle Anthologie“ soll das Buch heißen. Die Erlöse gehen an 100 % Mensch. Warum ausgerechnet die? Holger Edmaier und sein Team hatten Asexualität schon auf dem Schirm, als wir noch gar nicht wussten, dass es diese Organisation gibt.

Danach wurde es intersektional: Aus Göttingen war Jessica von Bi+ Göttingen angereist.

Von Bi+enchen und Eulchen/Asexu-Owls im Queeren Beet: A- & Bisexuelle Spektren im Visier

Zunächst fand eine Begriffsklärung statt. Was bedeutet Bisexualität?

Hier zitierte Jessica Robyn Ochs: „I call myself bisexual because I acknowledge that I have in myself the potential to be attracted – romantically and/or sexually – to people of more than one gender, not necessarily at the same time, not necessarily in the same way, and not necessarily to the same degree.“ – Ich beschreibe mich als bisexuell, weil ich anerkenne, dass ich in mir das Potential habe, romantisch und/oder sexuell zu Menschen mehr als eines Geschlechts hingezogen zu sein. Dies muss nicht notwendigerweise zur gleichen Zeit, nicht notwendigerweise auf die gleiche Art und nicht notwendigerweise zum gleichen Grad stattfinden.“ (Übersetzung von Carmilla.)

Und was macht dann das Pluszeichen hinter dem Bi?

Neben „Bisexualität“ sind einige andere Begriffe im Umlauf, die von der Gender-Binarität wegführen, die das Wort „Bisexuell“ seit seiner Erfindung mit herumschleppt.

Pansexuell meint Anziehung unabhängig vom Geschlecht.

Omnisexuell meint Anziehung zu allen Geschlechtern.

Polysexuell meint Anziehung zu mehreren, aber nicht allen Geschlechtern.

Das AIB-Modell

Manchmal benutzen Menschen eine Selbstbeschreibung, die nicht vollständig zu ihrem gerade sichtbaren Verhalten passt. So ist eine bisexuelle Frau, die mit einem Mann in einer monogamen Beziehung lebt, immer noch bisexuell. Oder es gibt Menschen, die gelegentlich mit Menschen Sex haben, die nicht zu ihrer Selbstbeschreibung als homo- oder heterosexuell passen, die sich aber nicht als bisexuell beschreiben würden. Oder Aroaces, die in einer von außen als romantisch gelesenen Partnerschaft leben. Und so weiter.

Nach dem AIB-Modell werden drei Aspekte betrachtet: A (Attraction, Anziehung) – I (Identity, Identität) – B (Behavior, Verhalten).

Somit lässt eine Selbstbeschreibung (Identität) niemals Rückschlüsse auf exakte Anziehungen oder auf das Verhalten zu. Natürlich verpflichtet auch eine Selbstbeschreibung nicht zu einem gewissen Verhalten. Und ein bestimmtes Verhalten lässt weder Rückschlüsse auf eine Selbstbeschreibung zu, noch verpflichtet es zu einer vorgeblich besser passenden Selbstbeschreibung.

Vorurteile und Ursachen?

Es folgte ein kleines Quiz. Wir bekamen ein Blatt mit acht Vorurteilen und sollten raten, ob die eher zum bi+ oder zum asexuellen Spektrum gehörten. Das Ganze war natürlich eine Falle, denn alle genannten Einwände waren sowohl in bi+ als auch in ace Bullshit-Bingos zu finden.

Woran liegt es, dass uns als vermeintliche „sexuelle Gegenteile“ so viel gleiche Sprüche treffen?

Zum einen ist weder das bi+ noch das ace Spektrum eindeutig mit einem Bild zu symbolisieren. Wir können nicht einfach zwei dieser typischen Toilettenschild-Schattenrisse mit oder ohne Rock nebeneinander montieren, um auf unser Paarbildungsverhalten hinzuweisen.

Jessica vermutet, dass „Spektren“ auch insgesamt mit „schlecht entscheidungsfähig“ gleichgesetzt werden. Der deutsche Drang zu eindeutigen Kategorien scheint uns außerdem noch zusätzliche Steine in den Weg zu legen, die beispielsweise in den USA seltener wahrgenommen werden.

Eine „Weigerung, sich (für eine Schublade) zu entscheiden“ lässt sich zu „labil, schlechter Charakter, unfertig“ steigern. Eine solche Person gilt dann auch als beziehungsunfähig.

Gerade auch Menschen im bi+ Spektrum werden zudem als unersättlich oder übersexualisiert wahrgenommen. (Ich verweise auf Mc Innis und Hodson, 2012. Nach dieser Studie werden bi- und asexuelle Menschen tendenziell eher dehumanisiert als hetero- und homosexuelle Menschen.)

„Unfertigkeit“ ist natürlich ein Vorurteil, das auch Betroffene verinnerlichen, sodass sich sowohl ace als auch bi+ Menschen sehr häufig selbst hinterfragen.

Zuletzt werden beide Spektren innerhalb der lesbischen und schwulen Communities oft als „nicht queer (genug)“ wahrgenommen. Bi+ Menschen und Aces könnten als „straight“/hetero durchgehen und hätten deshalb weniger Schwierigkeiten.

Somit haben das B und das A sowohl von innerhalb als auch von außerhalb der queeren Buchstabensuppe ähnliche Vorurteile auszuhalten. Permanent werden Zweifel an sie herangetragen.

Einige nicht kamerascheue Teilnehmende und unsere Referentin Jessica ganz links.

Verbündete suchen

Gegen diese Wucht von Schwierigkeiten hilft nur, sich zusammenzuschließen. Zum einen natürlich innerhalb der eigenen „Buchstaben“. Der Austausch untereinander fördert das Selbstbewusstsein und die Gewissheit, dass die Zweifel System haben. „Ihr seid nicht allein“ ist hier die wichtigste Botschaft.

Zum anderen können sich Gruppen unterschiedlicher Buchstaben miteinander vernetzen. Wir können uns gegenseitig als Allys unterstützen. Wie mit diesem Vortrag geschehen und in Stuttgart dank einer Anfrage von StuBi 2017 schon länger praktiziert.

Bi+ Göttingen bietet übrigens auch einen Vortrag zum Thema „Allyship“ (Verbündetenschaft) an. Ihr findet die Gruppe unter anderem auf Facebook und bei Instagram.

Ausklang …

Am Samstag haben es einige Menschen bis 23 Uhr ausgehalten, und auch am Sonntag wurde der Raum zum Gespräch rege genutzt.

AktivistA und das Spendenschweinderl bedanken sich herzlich bei allen Beteiligten.