Kategorie: Asexualität

Heißes Wochenende mit Perspektivwechsel

oder: Christopher Street Day in Stuttgart 2017.

Traditionellerweise ist in Stuttgart das komplette Wochenende vom CSD belegt. Samstags findet eine Demoparade plus Kundgebung statt, abends gibt es Bühnenprogramm. Sonntags ist dann Platz für Infostände, mehr Show und eine Hocketse (schwäbisch „do hocket se“ für „da sitzen sie rum“) der AIDS-Hilfe.

AktivstA war dieses Jahr zweimal vertreten – wir hatten von Bi-in-BW die Einladung bekommen, uns an einer gemeinsamen Fußgruppe zu beteiligen, ganz getreu des Mottos „Perspektivwechsel“. Wir fanden schnell ein gemeinsames Thema, nämlich Unsichtbarkeit, und riefen nach Beteiligung, was denn auch eine Handvoll Menschen erhörte.

Einige Eindrücke:

gruppe von hinten

gruppe von hinten2

acevengers assemble

Ich sag doch: Wenn hier wer ace oder bi ist (oder biromantisch asexuell?), ist es Captain America. Egal, was Marvel behauptet. Der Portraitierten in Übrigen nochmal herzlichen Dank für die Freundschaftsbändchen in Flaggenfarben! (Links unten im Bild)

Wir sehen auch: Dr. DeWinter, die feministsche Superschurkin, hatte die Tüftelei an ihrer antisexistischen Strahlenkanone wieder für einen Samstag unterbrochen, um eine Ace-Flagge durch die Straßen zu tragen und damit zu demonstrieren. (Weil, das mit der Strahlenkanone, das klappt trotz aufgemotzter Schweißbrille einfach nicht so, wie es soll.) (Fotos via StuBi. Danke!)

Und noch ein Gruppenfoto von Bi-in-BW. Danke!

gruppe vor dem schloss

Am Sonntag war denn Infostand angesagt, hier mit großen Teilen der schichtarbeitenden Standbesetzung:

infostand klein

Über Mittag regnete es ein wenig, was unser brandneues Zelt aber überhaupt nicht störte. Leider wurden es dann wieder über dreißig Grad Celsius, was in Kombination mit der Feuchtigkeit zu einer leichten Saunaatmosphäre führte.

Da Parade und Infostand zeitlich getrennt waren, hatten wir nicht ganz so viel Andrang wie in Karlsruhe (weshalb abends noch Süßigkeiten übrig waren – Schockschwerenot!). Trotzdem konnten wir wieder Kontakte pflegen, interessante Gespräche führen und bei einigen Leuten mit Vorurteilen aufräumen. Wieder andere schnappten sich eine Broschüre und waren weg.

Insgesamt hatte ich wieder den Eindruck, dass die Anstrengungen der letzten Jahre zumindest das Wort „A_sexualität“ in den Köpfen mancher Menschen verankert haben.

Außerdem gab es gegen 17 Uhr noch eine Überraschung:

rollergirl preis und dewinter

Seit einigen Jahren bittet die IG CSD Stuttgart e.V. eine unabhängige Jury, die Gruppen zu bewerten und verteilt Preise für die kreative Umsetzung einer politischen Botschaft … (Foto via StuBi. Danke!) Die Organisatorin war leider nicht mehr vor Ort, weshalb ich mit zwei StuBis auf der Bühne stand und den zweiten Platz mit in Empfang nehmen durfte. Freu!

Neue Buttons

Nachdem große Teile unserer alten Kollektion dem Rost zum Opfer fielen, möchten wir hiermit die brandneuen Teile vorstellen:

buttons_foto

Wie gehabt werden diese bei den Infoständen erhältlich sein, ebenso bei der Konferenz und ganz altmodisch zum Selbstkostenpreis für 0,50 € pro Stück plus Porto per Post.

Queere Ringvorlesung: Folien und Hinweise

Vortrag in Frankfurt

Ich werde am Dienstag, den 24. Januar, in Frankfurt am Main zu Gast sein.

Geplant ist ein Vortrag über „Asexualität und das a_sexuelle Spektrum: Vom Versuch, die Vielfalt einer Abwesenheit sichtbar zu machen“ im Rahmen der Queeren Ringvorlesung. Ich werde zunächst darauf eingehen, was A_sexualität ist, ein paar Vokabeln und die zugehörigen Spektren erörtern. Danach plane ich, von den Vorurteilen auf die Schwierigkeiten der Sichtbarmachung von A_sexualität einzugehen. Außerdem ist viel Platz für Fragen und Diskussion eingeplant.

Ich bin sehr neugierig, was mich erwartet, habe ich doch das letzte Mal 2006 eine Uni im Vorlesungskontext besucht … und damals durfte ich auch bequem zuhören.

Los geht’s um 18 Uhr im Seminarhaus 0.101, Campus Westend.

 

Termin steht: Konferenz und überregionales Treffen

Ganz neu online ist unsere Seite für die AktivistA 2017 – ein überregionales Treffen mit Konferenz für deutschsprachige a_sexuelle Menschen. Wie gehabt in Stuttgart werden wir dem Cannstatter Wasen (und hoffentlich der Bundestagswahl) ausweichen: Die Veranstaltung findet am 15. bis 17. September 2017 statt.

Wenn ihr dem Link folgt, findet ihr ein Anmeldeformular, das Kurzentschlossene auch schon benutzen können.

 

AktivistA 2016, Teil 4 von 5: Allonormativität, queere Szene und Queer Studies

Last but not least hier eine Zusammenfassung von Annika Spahns Analyse: „Allonormativität in der queeren Szene und den Queer Studies“

Unterdrückungsmechanismen und Vorurteile kommen zur Sprache.

Unsere Gesellschaft ist allonormativ

A_sexualität taucht auch in der queeren Szene und den Gender Studies/Queer Studies eher selten auf.

In diesem Zusammenhang fiel der Begriff „allonormativ“, abgeleitet vom sexuellen Imperativ nach Przybylo (1). Allonormativität beschreibt zusammenhängende Wertvorstellungen, die in etwa folgendermaßen lauten:

Sex ist „natürlich“ und „gut“, alle wollen Sex, Sex ist der Kitt aller romantischen Beziehungen, Sex ist wichtiger als andere Betätigungen, Sex und Sexualität machen den größten Teil unseres Selbsts aus.

Aufgrund dieser Annahmen wird A_sexualität unsichtbar.

Die Unsichtbarmachung hat folgende Mechanismen: Menschen werden medikalisiert (= für krank erklärt, weil sie nicht ins Schema passen). Sie werden isoliert, was eine Communitybildung verhindert. Ihnen wird Wissen vorenthalten, sie können sich also nicht so frei entfalten, wie sie eigentlich wollen, und sie erleiden „unsichtbare“ Diskriminierung.

Bei der Arbeit sieht man diese Mechanismen in zahlreichen Vorurteilen,  denen a_sexuelle Menschen ausgesetzt sind.

A_sexuelle Menschen erleben im Vergleich weniger offene Gewalt – wenn, dann zumeist, weil sie als nicht genderkonform auffallen.

Folgen der Unsichtbarkeit

Trotzdem gibt es offensichtliche Schauplätze von Diskriminierung, aufgezählt nach Decker (2):

Ehevollzugsgesetze, Adoptionsrecht, Arbeitsplatz („kein Teamplayer“), Miete, Gesundheitsbereich (unnötige Medikamente und Therapien, weil „etwas nicht stimmt“), rechtliche und soziale Schlechterstellung nicht-romantischer Beziehungen, religiöser Druck zur Fortpflanzung, Corrective Rape, fehlende Repräsentation, internalisierter Hass.

Gesellschaftliche Strukturen haben immer Auswirkungen auf einzelne Personen und ihre Beziehungen. Folgen von Diskriminierung sind neben dem Selbsthass möglicherweise Verlustängste, Depressionen, selbstverletzendes Verhalten und Selbstpathologisierung („Ich bin krank“).

Unwissende a_sexuelle Menschen sind einem höheren Risiko ausgesetzt, zu sexuellen Handlungen gedrängt zu werden, die sie eigentlich nicht wollen, aber laut gängiger Meinung „wollen sollten“, einfach, weil sie keinen plausiblen Grund haben, sich zu weigern (siehe auch hermeneutische Ungerechtigkeit). Zudem verbleiben sie wahrscheinlich eher in Beziehungen, in denen sie physisch oder psychisch misshandelt werden („Besser als nix“-Beziehungen).

Eine Ebene höher erleben a_sexuelle Menschen Ausschlüsse aus für sie wichtigen Gruppen. Beispielsweise sind a_sexuelle Frauen (und solche, die dafür gehalten werden), aus feministischen und queeren Räumen ausgeschlossen, wenn deren „Türsteherinnen“ die A_sexualität darauf zurückführen, dass die betreffende Person „nicht befreit“ ist.

Deshalb ist der Fokus des a_sexuellen Aktivismus immer noch die Sichtbarkeit.

A_sexualität und die queere Szene

„Queer“ sei hier alles, was nicht heteronormativ ist.

Gegenwärtig ist die Situation in etwa wie folgt, obwohl der Status in unterschiedlichen Gruppen natürlich sehr anders aussehen kann:

Ob A_sexualität queer im oben genannten Sinne ist, ist sowohl in queeren wie in a_sexuellen Communities umstritten. Aufgrund der Unsichtbarkeit von A_sexualität haben a_sexuelle Menschen einen Minderheitenstatus in der Szene, obwohl es größere Überlappungen mit transgender und transsexuellen Communities gibt. Auch innerhalb der Szene trifft mensch auf Unwissen und Vorurteile. Da a_sexuelle Menschen selten Nicht-hetero-Sex ausleben, haftet ihnen zudem ein Ruch der Unterwerfung unter den heteronormativen Wahnsinn an.

Warum Unsichtbarkeit allerdings kein Privileg ist, finden Personen, die Englisch können, bei dukeofellington.

Gate Keeping

Oft haben a_sexuelle Menschen Schwierigkeiten, Zugang zu queeren Räumen zu finden. Die o.g. Türsteher*innen entscheiden, wer queer ist. In der LSBTTIQ-Buchstabensuppe wird das „A“ oft als der am wenigsten wichtige Buchstabe des Selbstverständnisses begriffen – aromantische und heteroromantische A_sexuelle müssen dann leider draußen bleiben, obwohl sie ebenfalls aus heteronormativen Gründen diskriminiert werden.

Queere Räume sind oft sexpositiv, hypersexualisiert und orgasmusnormativ (heißt sehr grob, Orgasmen sind eine Art Statussymbol wie andernorts teuere Autos). Solche Räume können wenig einladend und unsicher sein. Genau diese wahrgenommene Hypersexualisierung führt zu Vorbehalten in der a_sexuellen Community, Anschluss an die queere Szene zu suchen.

Wie oben angedeutet, sind a_sexuelle Menschen dem Verdacht ausgesetzt, sie lebten aus internalisiertem Hass zolibatär, seien also eigentlich schwul oder lesbisch und würden diese Seite an sich nicht zulassen.

A_sexuelle Gewalterfahrungen werden in queeren Räumen oft heruntergespielt, bzw. führt ihre Erwähnung zu einer „Diskriminierungs-Olympiade“ („oppression olympics“).

Möglichkeiten der gegenseitigen Bereicherung

Dessen ungeachtet hätten beide Communities viel voneinander, wenn sie sich darauf einlassen würden:

Die a_sexuelle Gemeinschaft könnte lernen, wie Inklusion und Selbstorganisation fuktionieren, sie könnte von erhöhter Sichtbarkeit und gewachsenen Strukturen profitieren.

Die queere Szene könnte mit dem „Split-Attraction-Model“ von sexueller vs. romantischer Orientierung ihr Vokabular erweitern, könnte vom Zulassen von Spektren, dem Nachdenken über Sexnormativität und alternative Beziehungsformen profitieren, und sich außerdem Ressourcen und Menschenpower erschließen.

Wir sollten uns alle gegenseitig besser zuhören, voneinander lernen, die eigenen Priviegien erkennen und reflektieren.

A_sexualität und Queer Studies

Derzeit ist A_sexualität in der Wissenschaft wenig präsent – Annika Spahn schätzte die Anzahl von Forschenden auf unter zwanzig Personen ein.

Der größte Teil der Arbeit konzentriert sich dabei noch auf medizinische Aspekte – zuerst wurde/wird ausgeschlossen, dass A_sexualität keine physische oder psychische Störung ist: Zuerst wurde bewiesen, dass das Phänomen überhaupt existiert. Da sich die Wissenschaft wohl nicht nicht völlig einig ist, was eine sexuelle Orientierung eigentlich ist, ist sie demnach auch uneinig, ob A_sexualtität eine ist …

Die Community beobachtet die Forschung genau – das Feld ist, wie gesagt, recht übersichtlich, daher kann alles, was verfügbar ist, von interessierten Leuten gelesen werden, die Englisch verstehen. (Die Anzahl zugänglicher seriöser deutschsprachiger Arbeiten ist verschwindend gering.) Sowohl, weil die Community aktiv an Studien mitarbeitet, als auch, weil sie deren Ergebnisse so genau beobachtet, ergeben sich für die Forschenden ethische und methodologische Konsequenzen – eine wie auch immer geartete Distanz zum Forschungsobjekt lässt sich so kaum herstellen.

Wie schon Anthony Bogaert in „Understanding Asexuality“ meinte, kann A_sexualität dazu dienen, neue Perspektiven auf Sexualität und den gesellschaftlichen Umgang damit zu eröffnen.

Es stellen sich außerdem Fragen nach sozialer Erwünschtheit – sind wirklich mehr Frauen als Männer a_sexuell? Oder liegt das gemessene Ungleichgewicht daran, dass es für weiblich gelesene Menschen anerkannter ist, keinen Sex zu wollen? Weil dies aber so anerkannt ist, wird A_sexualität von manchen Forschenden in den Queer Studies als zu wenig transgressiv, sprich, als zu wenig nicht-heteronormativ betrachtet.

Forschungsansätze: Vorschläge

Innerhalb der Queer Studies werden konservative und transgressive Sexualitäten verhandelt und teilweise hierarchisiert – A_sexualität stellt dieses Spektrum infrage. Auch die Sexnormativität mancher sexpositiven Communities muss hinterfragt werden, denn nicht jeder Sex ist befreiend.

Die Psycholgie muss möglicherweise ihr Konzept von Sexualität überdenken.

Die a_sexuelle Community hat ein sehr offenes Identitätenmodell – da sich nicht auf eine einzige Definition geeinigt werden konnte, gibt es eben mindestens zwei akzeptable Erklärungen. Identität bzw. das Selbstverständnis ist fluide, selbstbestimmt und aushandelbar. Zu erforschen unter anderem: Wer bezeichnet sich warum als a_sexuell?

Schließlich bietet sich auch der Wissenschaft die Möglichkeit, das Vokabular bezüglich Erotik, Anziehung, Sexualität, Lebensmodellen etc. zu erweitern.


Quellen:

(1) Przybylo: „Asexuality and the sexual imperative: An interview with Ela Przybylo, Part 1“

(2) Decker, Julie Sondra (2014): The invisible orientation. An introduction to asexuality. New York: Skyhorse publishing.

 

 

AktivistA 2016, Teil 5 von 5: Asexualität in Zeitungsartikeln

Fiammetta de Bornelh an den Tasten. Um euch ein bisschen zu verwirren, kommt nach der zwei die fünf. Im Folgenden also eine schriftliche Zusammenfassung meines Vortrags „Darstellung von Asexualität in deutsch- und italienischsprachigen Zeitungsartikeln von 2005 bis heute“. Sie fällt recht lang aus; wer sie sich zu Gemüte führen möchte, möge hier weiterlesen. (mehr …)

AktivistA 2016: Teil 2 von 5 – Workshop/Diskussion A_sexuelles Erzählen

Von „langweilig“ zu „neuer Trend“ …

Nachdem wir vorher etwas zur Darstellung asexueller Figuren gehört hatten, begann ich meinen eigenen Workshop mit zwei Zitaten, um die Angelegenheit von der handwerklichen Seite zu beleuchten.

Das erste ist von 2012, und stammt von Steven Moffat – jenem Autor, der den BBC Sherlock maßgeblich mit zu verantworten hat.

Dies ist der (gekürzte) Originalwortlaut:

There’s no indication in the original stories that he was asexual or gay. He actually says he declines the attention of women because he doesn’t want the distraction. (…) It’s the choice of a monk, not the choice of an asexual. If he was asexual, there would be no tension in that, no fun in that – it’s someone who abstains who’s interesting.

Auf Deutsch:

In den Originalgeschichten gibt es keine Hinweise, dass er asexuell oder schwul war. Er sagt ausdrücklich, dass er die Aufmerksamkeit von Frauen meidet, weil er die Ablenkung nicht wünscht. (…) Es ist die Wahl eines Mönchs, nicht die Wahl eines Asexuellen. Wenn er asexuell wäre, läge darin keine Spannung, es würde keinen Spaß machen – es sind die, die auf etwas freiwillig verzichten, die interessant sind.

Moffat verrät damit ein besorgniserregendes Konzept von A_sexualität oder, dass er sich mit der Materie gar nicht auskennt, obwohl er eine Figur geschrieben hat, in der sich viele a_sexuelle Menschen wiederfinden können.

Andererseits scheint es mittlerweile ein Trend, in der M/M-Liebesliteratur (also Liebesromane mit zwei Männern als Hauptfiguren, zu deutsch auch „Gay Romance“) asexuelle Figuren auftreten zu lassen.

Hierzu mein Verlagskollege T.A. Wegberg von Dead Soft über einen Vortrag bei einer Convention:

Die Popularität dieses Subgenres werde aber, so war zu erfahren, in den USA bereits übertroffen von „Asexual Romance“, also Liebesgeschichten mit allem Drum und Dran, aber ohne den Wunsch eines oder beider Partner nach einer sexuellen Beziehung. Wir können davon ausgehen, dass auch auf dem deutschsprachigen Buchmarkt künftig mehr davon zu lesen sein wird.

Offenbar bahnt sich eine 180-Grad-Wende an.

Ziel des Workshops war nun, zu erkunden, was Autorinnen eigentlich „interessant“ finden. Wie konstruieren wir Geschichten? (Notiz: Wir reden hier von handelsüblichen Geschichten, die sich tatsächlich auch verkaufen und nicht nur für ein Publikum aus Kritikerinnen interessant sind.)

Und dann freie Bahn für Diskussionen: Was finden wir als a_sexuelle Menschen interessant? Worüber möchten wir lesen? Was könnte für ein allosexuelles (= nicht-a_sexuelles) Publikum interessant sein?

Warum erzählen Menschen Geschichten?

Geschichten sind zunächst mündlich, später schriftlich aufbewahrte Lebenserfahrung. Was tue ich, wenn der Säbelzahntiger im Gras raschelt? Wie überliste ich einen Feind? Wie überlebe ich ein Familientreffen/die Zombieapokalypse?

Geschichten erzielen einen Lerneffekt, indem sie Menschen mit den Figuren der Geschichte mitleiden lassen.

Außerdem vermitteln sie Bedeutung: Den Ereignisse der Geschichte wird durch das Erzählen Wichtigkeit verliehen, sie interpretiert und deutet die erzählten Ereignisse. Und Menschen sind in der Regel sehr hungrig nach Deutungen und nach Bedeutung in dieser chaotischen Welt.

Was braucht eine Geschichte?

Der Lerneffekt entsteht durch Mitleiden – das Publikum wird in einen „fiktionalen Traum“ versetzt. Dazu benötige ich eine Hauptfigur, die zur Identifikation dient.

Die Ereignisse sollten in einer logischen Reihenfolge stattfinden: aus A folgt B, aus Aktion folgt Reaktion, aus der schlechten Kindheit des Protagonisten folgt … etc. Bei den Ereignissen in logischer Reihenfolge handelt es sich um diese ominöse Sache namens Plot.

Um den Lerneffekt vollständig zu machen und der ganzen Sache eine Bedeutung zu verleihen, muss die Geschichte ein Ende haben, das sozusagen eine Schlussfolgerung über die erzählten Ereignisse erlaubt.

Da eine Figur, die leicht durch’s Leben spaziert, nicht von Interesse ist, zwingt eine gute Geschichte sie von ihrem üblichen Pfad. Die Figur baut einen inneren Widerstand gegen die Kraft auf, die sie von ihrem Pfad zwingt: Das ist der erste Konflikt der Geschichte.

Für eine Story brauchen wir dann noch mehr von diesen Konflikten: Jede Figur der Geschichte vermutet ihr Lebensglück in einer anderen Richtung. Die Interessen der Figuren kollidieren, sie reiben sich aneinander, die Konflikte schaukeln sich auf bis zum Showdown, in dem der wichtigste Konflikt der Geschichte gelöst werden sollte.

Durch die Konflikte verändert sich nicht nur der Lebensweg der Figur, sie muss auch Entscheidungen treffen, die sie zu einer inneren Veränderung zwingen.

Frei nach Lisa Cron (s.u.) erzählt also eine Geschichte, wie sich eine Figur durch die Ereignisse der Geschichte verändert.

Fragen für die Diskussion:

Welche Geschichten über a_sexuelle Figuren kennt ihr?

Was hat euch daran gefallen oder gestört?

Welche Geschichten wollt ihr sehen/lesen?

Was daran wäre für ein allosexuelles Publikum interessant?

Gibt es Konflikte, die nur a_sexuelle Menschen/Figuren erleben können, und wenn ja, welche sind das?

Ideen aus der Diskussion:

Gesehen und nicht für gut befunden wurden Narrative, die sich über die „Seltsamkeit“ von a_sexuellen Menschen lustig machen.

Desgleichen gibt es Geschichten über a_sexuelle Figuren, in denen Sex in einer (romantischen) Beziehung als unabdingbar notwendig dargestellt wird. Auf die a_sexuelle Figur wird dann ein emotionaler Druck aufgebaut, bis sie „nachgibt“. Dies kommt einer Nötigung gleich, wird aber offenbar nur von a_sexuellen Menschen als verstörend wahrgenommen.

Gewünscht werden daher auch Geschichten, die eine Anleitung geben, wie über solche Konflikte gesprochen werden kann, sodass hinterher alle Beteiligten (und nicht nur der allosexuelle Teil) zufrieden sind. Dass eine zufriedenstellende Lösung auch eine einvernehmliche Trennung sein kann, kam ebenfalls zur Sprache.

Von schlechter Gay Romance kamen wir so auf den Roman „How to Be a Normal Person“, worüber die Meinungen geteilt waren. Einerseits wurde der offene Umgang mit dem Thema A_sexualität gewürdigt. Allerdings wird auch hier versucht, die Hauptfigur, Gus, zur „normalisieren“, inklusive einmal ungebetenen Hanfkonsums per Keks.

Der Wunsch nach glücklichen a_sexuellen Figuren wurde geäußert. Also nicht solche, die generell glücklich sind, denn die taugen wenig als Hauptfiguren, sondern solche, die a_sexuell sind und statt diesbezüglicher Ängste einfach die üblichen Probleme haben: Zombies, böse Magierinnen, Mörderinnen, kaputte Waschmaschinen etc. Die sexuelle Orientierung der Figur sollte erwähnt werden, um Ratespiele zu vermeiden, darf aber anderweitig kein Thema sein oder könnte in einem Subplot (=Nebengeschichte) abgehandelt werden.

Geschichten, die ich nur über a_sexuelle Menschen erzählen kann, wären die o.g. Verhandlungen und Geschichten, wie eine Person auf das Wort „Asexualität“ stößt und sich damit in einem Findunsprozess identifiziert. Auch das Thema Kinderwunsch könnte eine Rolle spielen, denn der ist für a_sexuelle Paare nicht immer ganz einfach zu erfüllen. Andere Ideen: Eine Welt mit vorwiegend a_sexuellen Bewohnern, oder vielleicht nur eine WG aus Personen im a_sexuellen Spektrum, die nun mit einem nicht-asexuellen Mitbewohner zurande kommen müssen.

Insgesamt braucht es mehr Abbildungen, um Schablonen wie dem „asexuellen Junggesellen“ Sherlock entgegenzuwirken. Wir haben ein Spektrum!

Eine Teilnehmerin schlug vor, autobiographische Statements zu sammeln, sodass die Vielfalt sichtbar wird. Die Vortragende selbst hofft auf/plant eine Kurzgeschichtensammlung.

Kritisiert wurde, dass vielfach eine Romanze als Subplot dient, die anscheinend die Figuren menschlicher machen soll, „im wildesten Kugelhagel“ aber eher unglaubwürdig bleibt bzw. für a_sexuelle und/oder a_romantische Menschen zusammenhanglos im Raum steht, also eher als Plotloch empfunden wird denn als Bereicherung.

Insgesamt wird auch gehofft, dass die a_sexuellen Abwesenheiten besser benannt werden. Neben Fernsehserien wie Sherlock und The Big Bang Theory wurde Gaming genannt: Bei manchen Spielen kann eine sexuelle Orientierung der Spielerfigur angegeben/ausgewählt werden, aber nicht A_sexualität, sodass diese zwar aus Handlungen lesbar wäre, aber letztlich unsichtbar bleibt. Denn für Abwesenheiten und „Nein“ kann es viele Gründe geben.

Nebenbei wurde die Vortragende noch nach ihren Schreibgewohnheiten und Veröffentlichungen gefragt. Eine prominente a_sexuelle Figur (ace/aro und genderqueer) findet sich in Heilika in der „Albenbrut“-Duologie, wo sie die drittwichtigste Person ist.

Schlussendlich noch zwei Literaturhinweise zur Schreibtheorie bzw. sogenannte Schreibratgeber: Lisa Cron: Wired for Story  und der Klassiker James N. Frey: How to write a damn good novel/Wie man einen verdammt guten Roman schreibt