Last but not least hier eine Zusammenfassung von Annika Spahns Analyse: „Allonormativität in der queeren Szene und den Queer Studies“
Unterdrückungsmechanismen und Vorurteile kommen zur Sprache.
Unsere Gesellschaft ist allonormativ
A_sexualität taucht auch in der queeren Szene und den Gender Studies/Queer Studies eher selten auf.
In diesem Zusammenhang fiel der Begriff „allonormativ“, abgeleitet vom sexuellen Imperativ nach Przybylo (1). Allonormativität beschreibt zusammenhängende Wertvorstellungen, die in etwa folgendermaßen lauten:
Sex ist „natürlich“ und „gut“, alle wollen Sex, Sex ist der Kitt aller romantischen Beziehungen, Sex ist wichtiger als andere Betätigungen, Sex und Sexualität machen den größten Teil unseres Selbsts aus.
Aufgrund dieser Annahmen wird A_sexualität unsichtbar.
Die Unsichtbarmachung hat folgende Mechanismen: Menschen werden medikalisiert (= für krank erklärt, weil sie nicht ins Schema passen). Sie werden isoliert, was eine Communitybildung verhindert. Ihnen wird Wissen vorenthalten, sie können sich also nicht so frei entfalten, wie sie eigentlich wollen, und sie erleiden „unsichtbare“ Diskriminierung.
Bei der Arbeit sieht man diese Mechanismen in zahlreichen Vorurteilen, denen a_sexuelle Menschen ausgesetzt sind.
A_sexuelle Menschen erleben im Vergleich weniger offene Gewalt – wenn, dann zumeist, weil sie als nicht genderkonform auffallen.
Folgen der Unsichtbarkeit
Trotzdem gibt es offensichtliche Schauplätze von Diskriminierung, aufgezählt nach Decker (2):
Ehevollzugsgesetze, Adoptionsrecht, Arbeitsplatz („kein Teamplayer“), Miete, Gesundheitsbereich (unnötige Medikamente und Therapien, weil „etwas nicht stimmt“), rechtliche und soziale Schlechterstellung nicht-romantischer Beziehungen, religiöser Druck zur Fortpflanzung, Corrective Rape, fehlende Repräsentation, internalisierter Hass.
Gesellschaftliche Strukturen haben immer Auswirkungen auf einzelne Personen und ihre Beziehungen. Folgen von Diskriminierung sind neben dem Selbsthass möglicherweise Verlustängste, Depressionen, selbstverletzendes Verhalten und Selbstpathologisierung („Ich bin krank“).
Unwissende a_sexuelle Menschen sind einem höheren Risiko ausgesetzt, zu sexuellen Handlungen gedrängt zu werden, die sie eigentlich nicht wollen, aber laut gängiger Meinung „wollen sollten“, einfach, weil sie keinen plausiblen Grund haben, sich zu weigern (siehe auch hermeneutische Ungerechtigkeit). Zudem verbleiben sie wahrscheinlich eher in Beziehungen, in denen sie physisch oder psychisch misshandelt werden („Besser als nix“-Beziehungen).
Eine Ebene höher erleben a_sexuelle Menschen Ausschlüsse aus für sie wichtigen Gruppen. Beispielsweise sind a_sexuelle Frauen (und solche, die dafür gehalten werden), aus feministischen und queeren Räumen ausgeschlossen, wenn deren „Türsteherinnen“ die A_sexualität darauf zurückführen, dass die betreffende Person „nicht befreit“ ist.
Deshalb ist der Fokus des a_sexuellen Aktivismus immer noch die Sichtbarkeit.
A_sexualität und die queere Szene
„Queer“ sei hier alles, was nicht heteronormativ ist.
Gegenwärtig ist die Situation in etwa wie folgt, obwohl der Status in unterschiedlichen Gruppen natürlich sehr anders aussehen kann:
Ob A_sexualität queer im oben genannten Sinne ist, ist sowohl in queeren wie in a_sexuellen Communities umstritten. Aufgrund der Unsichtbarkeit von A_sexualität haben a_sexuelle Menschen einen Minderheitenstatus in der Szene, obwohl es größere Überlappungen mit transgender und transsexuellen Communities gibt. Auch innerhalb der Szene trifft mensch auf Unwissen und Vorurteile. Da a_sexuelle Menschen selten Nicht-hetero-Sex ausleben, haftet ihnen zudem ein Ruch der Unterwerfung unter den heteronormativen Wahnsinn an.
Warum Unsichtbarkeit allerdings kein Privileg ist, finden Personen, die Englisch können, bei dukeofellington.
Gate Keeping
Oft haben a_sexuelle Menschen Schwierigkeiten, Zugang zu queeren Räumen zu finden. Die o.g. Türsteher*innen entscheiden, wer queer ist. In der LSBTTIQ-Buchstabensuppe wird das „A“ oft als der am wenigsten wichtige Buchstabe des Selbstverständnisses begriffen – aromantische und heteroromantische A_sexuelle müssen dann leider draußen bleiben, obwohl sie ebenfalls aus heteronormativen Gründen diskriminiert werden.
Queere Räume sind oft sexpositiv, hypersexualisiert und orgasmusnormativ (heißt sehr grob, Orgasmen sind eine Art Statussymbol wie andernorts teuere Autos). Solche Räume können wenig einladend und unsicher sein. Genau diese wahrgenommene Hypersexualisierung führt zu Vorbehalten in der a_sexuellen Community, Anschluss an die queere Szene zu suchen.
Wie oben angedeutet, sind a_sexuelle Menschen dem Verdacht ausgesetzt, sie lebten aus internalisiertem Hass zolibatär, seien also eigentlich schwul oder lesbisch und würden diese Seite an sich nicht zulassen.
A_sexuelle Gewalterfahrungen werden in queeren Räumen oft heruntergespielt, bzw. führt ihre Erwähnung zu einer „Diskriminierungs-Olympiade“ („oppression olympics“).
Möglichkeiten der gegenseitigen Bereicherung
Dessen ungeachtet hätten beide Communities viel voneinander, wenn sie sich darauf einlassen würden:
Die a_sexuelle Gemeinschaft könnte lernen, wie Inklusion und Selbstorganisation fuktionieren, sie könnte von erhöhter Sichtbarkeit und gewachsenen Strukturen profitieren.
Die queere Szene könnte mit dem „Split-Attraction-Model“ von sexueller vs. romantischer Orientierung ihr Vokabular erweitern, könnte vom Zulassen von Spektren, dem Nachdenken über Sexnormativität und alternative Beziehungsformen profitieren, und sich außerdem Ressourcen und Menschenpower erschließen.
Wir sollten uns alle gegenseitig besser zuhören, voneinander lernen, die eigenen Priviegien erkennen und reflektieren.
A_sexualität und Queer Studies
Derzeit ist A_sexualität in der Wissenschaft wenig präsent – Annika Spahn schätzte die Anzahl von Forschenden auf unter zwanzig Personen ein.
Der größte Teil der Arbeit konzentriert sich dabei noch auf medizinische Aspekte – zuerst wurde/wird ausgeschlossen, dass A_sexualität keine physische oder psychische Störung ist: Zuerst wurde bewiesen, dass das Phänomen überhaupt existiert. Da sich die Wissenschaft wohl nicht nicht völlig einig ist, was eine sexuelle Orientierung eigentlich ist, ist sie demnach auch uneinig, ob A_sexualtität eine ist …
Die Community beobachtet die Forschung genau – das Feld ist, wie gesagt, recht übersichtlich, daher kann alles, was verfügbar ist, von interessierten Leuten gelesen werden, die Englisch verstehen. (Die Anzahl zugänglicher seriöser deutschsprachiger Arbeiten ist verschwindend gering.) Sowohl, weil die Community aktiv an Studien mitarbeitet, als auch, weil sie deren Ergebnisse so genau beobachtet, ergeben sich für die Forschenden ethische und methodologische Konsequenzen – eine wie auch immer geartete Distanz zum Forschungsobjekt lässt sich so kaum herstellen.
Wie schon Anthony Bogaert in „Understanding Asexuality“ meinte, kann A_sexualität dazu dienen, neue Perspektiven auf Sexualität und den gesellschaftlichen Umgang damit zu eröffnen.
Es stellen sich außerdem Fragen nach sozialer Erwünschtheit – sind wirklich mehr Frauen als Männer a_sexuell? Oder liegt das gemessene Ungleichgewicht daran, dass es für weiblich gelesene Menschen anerkannter ist, keinen Sex zu wollen? Weil dies aber so anerkannt ist, wird A_sexualität von manchen Forschenden in den Queer Studies als zu wenig transgressiv, sprich, als zu wenig nicht-heteronormativ betrachtet.
Forschungsansätze: Vorschläge
Innerhalb der Queer Studies werden konservative und transgressive Sexualitäten verhandelt und teilweise hierarchisiert – A_sexualität stellt dieses Spektrum infrage. Auch die Sexnormativität mancher sexpositiven Communities muss hinterfragt werden, denn nicht jeder Sex ist befreiend.
Die Psycholgie muss möglicherweise ihr Konzept von Sexualität überdenken.
Die a_sexuelle Community hat ein sehr offenes Identitätenmodell – da sich nicht auf eine einzige Definition geeinigt werden konnte, gibt es eben mindestens zwei akzeptable Erklärungen. Identität bzw. das Selbstverständnis ist fluide, selbstbestimmt und aushandelbar. Zu erforschen unter anderem: Wer bezeichnet sich warum als a_sexuell?
Schließlich bietet sich auch der Wissenschaft die Möglichkeit, das Vokabular bezüglich Erotik, Anziehung, Sexualität, Lebensmodellen etc. zu erweitern.
Quellen:
(1) Przybylo: „Asexuality and the sexual imperative: An interview with Ela Przybylo, Part 1“
(2) Decker, Julie Sondra (2014): The invisible orientation. An introduction to asexuality. New York: Skyhorse publishing.