Nachdem wir bisher meistens Romane vorgestellt haben, heute mal ein Sachbuch. Anfang Januar ist „[Un]sichtbar gemacht. Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“ erschienen, herausgegeben von Annika Baumgart und Katharina Kroschel, online auch bekannt als ace_arovolution.
In aller Kürze lässt sich sagen: Ich kann das Buch allen Menschen nur wärmstens ans Herz legen! Es hat eigentlich für alle Interessengruppen was zu bieten. Für Menschen die sich selbst auf dem Aspec verorten, für Allys und solche die es werden wollen, für Menschen, die ein akademisches Interesse am Thema haben…Alles in allem gebe ich dem Buch 5 von 5 Froschgrüne-Kuchenstücke.
Zum Aufbau des Buches
Das Buch ist insgesamt in fünf Teile untergliedert: Grundlagen, Geschichte, Diskriminierung, Beziehungsweisen und Aromantische und Asexuelle Symbole. Jeder dieser Teile besteht aus einer Vielzahl von Unterkapiteln, die in der Regel nicht länger als zwei oder drei Seiten sind. Dadurch lässt sich das Buch gut Häppchenweise lesen. Zwischen den einzelnen Kapiteln eingestreut sind immer wieder Texte von Menschen, die sich auf die eine oder andere Weise auf dem Aspec verorten und ihre persönlichen Erfahrungen und Gedanken teilen. Obwohl es also ein Sachbuch ist, hat es durch die selbstverfassten Texte auch eine gewisse literarische Komponente.
Mit den Unterkapiteln verbindet sich ein erster Kritikpunkt, was die Handhabung des Buches betrifft. Es gibt immer wieder Verweise auf bestimmte Kapitel, in denen Aspekte näher vertieft werden, die an der aktuellen Stelle nur angetippt werden. Aber da das Inhaltsverzeichnis nur die Hauptteile aufführt, blättert mensch sich ziemlich nen Wolf, um den Verweisen zu folgen. Da wäre es für die nächste Auflage hilfreich entweder das Inhaltsverzeichnis zu überdenken, oder die Verweise um die entsprechenden Seitenzahlen zu ergänzen.
Ein paar Worte zum Inhalt
Als Historikerin kann ich sagen, dass mich besonders der Geschichtsteil sehr begeistert hat. Zumal queere Geschichtsschreibung immer ihre Schwierigkeiten mit sich bringt. Die Sprache, die wir heute verwenden hat sich meist erst in den letzten 150 Jahren entwickelt (wenn überhaupt), die Empfindungen und Orientierung sind aber natürlich so alt wie die Menschheit. Besonders spannend fand ich persönlich hier den Verweis auf die Antike, in der bereits unterschiedliche Formen von Liebe unterschieden wurden, und die so einen Anschlusspunkt für das moderne Split-Attraction-Model bietet.
Recht schwer fiel mir hingegen die Lektüre des Teiles zur Diskriminierung. Als Person die selbst aroace ist, hat es mich ziemlich runtergezogen hier so detailliert all die belastenden Aspekte und Diskriminierungsformen vor Augen geführt zu bekommen. Und wenn ich nicht diese Rezension zum Ziel gehabt hätte, hätte ich den Abschnitt wahrscheinlich übersprungen – zumindest für den Moment. Menschen die alloromantisch und allosexuell sind lege ich ihn hingegen sehr ans Herz. Gerade auch innerhalb der queeren Community, da er sehr deutlich macht, wie vielfältig Diskriminierung sein kann. Leute die sich selbst im Aspec verorten möchte ich zumindest darauf hinweisen, dass das nicht gerade leichte Kost ist.
Nach den fünf Hauptteilen finden sich dann noch Verweise auf Ressourcen und ein Glossar. Ebenfalls fast als Glossar lässt sich die umfangreiche Übersicht an (ausgewählten) Labels und Mikrolabels bezeichnen, die sich bereits im Grundlagenteil findet (S. 24-29). Was die Definitionen der Labels betrifft, wird es sicherlich an einigen Stellen innerhalb der Community Meinungsverschiedenheiten geben. Aber da halte ich mich mal raus. Es wird von den Herausgeber*innen deutlich gemacht, dass die Begrifflichkeiten zum Teil noch im Fluss sind oder es verschiedene Definitionen gibt. Damit kann ich gut leben, da muss ich nicht wegen ein paar Feinheiten, die ich vielleicht persönlich anders sehe jemandem einen Strick draus drehen.
Ein bisschen was zu meckern gibt’s immer
Die Ressourcen bringen mich zum Abschluss aber noch zu einem weiteren, und auch etwas persönlichem, Kritikpunkt. Und zwar wird an verschiedenen Stellen (zu Recht) festgestellt, dass es bisher wenige deutschsprachige Informationen und Ressourcen zu Asexualität, Aromantik und den jeweiligen Spektren gibt. Diverse Sachen, die es aber trotz allem gibt, werden nicht genannt.
Etwas frustrierend war hier, dass es zwar einen kurzen Hinweis auf AktivistA gibt (S. 81f), aber mit keiner Silbe darauf hingewiesen wird, dass wir seit Jahren Flyer und Broschüren herausgeben und die kiloweise im ganzen Land verschicken. Vielleicht auch für uns im Jahr unseres zehnjährigen Bestehens ein Anlass unsere Kommunikationsstrategie innerhalb der Community mal zu überdenken.
Ähnlich schade fand ich, dass das Queer Lexikon, dass ebenfalls schon lange gute Informationen zum Thema verbreitet gar keine Erwähnung gefunden hat.
Wünsche für die zweite Auflage
Und auch sonst hätte ich ein paar Ergänzungen für die Ressourcenseiten. Wobei es sich hier jeweils um Veröffentlichungen handelt, die noch nicht so lange in der Welt sind. Ich gehe mal davon aus, dass das Fehlen eher Corona-bedingten Verzögerungen im Erscheinen des Buches geschuldet ist.
Jedenfalls würde ich mich bei einer 2. Auflage freuen auch auf „Das asexuelle Spektrum. Eine Erkundungstour“ von Carmilla deWinter hingewiesen zu werden. Ein deutschsprachiges Sachbuch, dass nach diversen Pandemiehürden seit Anfang März 2021 auf dem Markt ist. Oder bei den Online-Ressourcen zu Aromantik auf den Blog AktivAro, der seit Anfang Mai 2021 zahlreiche Beiträge zu Aromantik auf Deutsch online gestellt hat. Und da aller guten Dinge bekanntlich drei sind, und sich auch belletristische Hinweise finden, wäre da dann noch die Anthologie „Beweisstück A“ zu nennen, die von Carmilla deWinter und Carmen Keßler herausgegeben wurde und eine reiche Sammlung an Kurzgeschichten aus dem Aspec bietet.
Nachdem das Fazit im Grunde auch schon am Anfang des Textes stand, noch mal zum Schluss: Unbedingt empfehlenswert zu lesen, aber ein paar Wünsche für eine 2. Auflage bleiben noch offen.