Autor: carmilladewinter

Stuttgart Pride 2024: Fußgruppe sucht noch Mitlaufende & Infostand

Ace und andere Pride-Flaggen auf einer Demoparade.

Noch eine Woche bis zur Stuttgart Pride …

AktivistA hat für den Verein und Aspec*German eine Fußgruppe bei der Demo angemeldet. Willkommen sind also Aces, Aros, Apls und Allys. Falls noch wer dazukommen mag: Wir haben die Nummer 77, die Aufstellung findet in der Rotebühlstraße von 12 bis 13 Uhr statt.

Die Startreihenfolge, eine Karte und anderes findet ihr auf der Seite des Stuttgart Pride. Wichtig außerdem: Es werden zahlreiche S-Bahn-Haltestellen in Stuttgart wegen Bauarbeiten gesperrt sein, bitte plant die Zeitverzögerung bei der Anfahrt ein.

Bitte achtet auf Kleidung, die zum Wetter passt, Sonnen- und/oder Regenschutz, bequemes Schuhwerk (oder passende Blasenpflaster), ausreichend alkoholfreie Getränke und was zum Essen. Lärmempfindliche profitieren von Ohrstöpseln. Menschenmengen sind auch ohne Lärm anstrengend, falls ihr also einen Großveranstaltungs-Übersteh-Kit habt, packt den mit ein.

Falls es noch Fragen gibt, pingt uns gern auf den von uns bespielten Kanälen an.

Am Sonntag ist ein Infostand angemeldet — wir freuen uns auf euch.

AktivistA-Konferenz 2024: Aktueller Stand der Planungen

Nur noch zwei Monate bis zur Konferenz? Die Zeit fliegt …

Jedenfalls gibt es erste Infos zu unserem Programm. Die Reihenfolge der Vorträge steht noch nicht fest, aber wir wissen in etwa, was ihr am Samstag, den 14. September aufs Ohr und Auge bekommen werdet:

Juju Kiesow stellt uns die Masterarbeit „Asexualität im Kontext von Identität und Gesellschaft“ vor.

Eggy von der AG Comicforschung erzählt über „Acing Comics“.

Klemens Ketelhut berichtet über die von ihm initiierte Studie „Unheilbar queer„.

Der Podcast ACE AROund the Cake hat sich Sara Ahmeds Konzept „The Promise of Happiness“ vorgenommen und will es im Sinne der A-Spektren beleuchten.

Am Sonntag gibt es neben der Plauschrunde wahrscheinlich die Möglichkeit, Steine zu bemalen — die Idee kam auf, nachdem ein paar bemalte Steine in Ace-Farben regelmäßig an den süddeutschen Ständen für Kaufangebote sorgen. Wer mag, bringe also einen Kiesel oder zwei mit …

Ein Stück vom Infostand-Tisch: eine Sammlung Flyer und Aufkleber auf einer lila Tischdecke.
Einige unserer bemalten Steine bei ihrem Job: Flyer vor Windverwehung schützen.

Logischerweise immer unter Vorbehalt von kurzfristigen Änderungen aufgrund von höherer Gewalt … (auf dass es dieses Jahr weder die Orga noch die Vortragenden noch die Teilnehmenden treffen möge).

Anmeldungen sind noch möglich (wir haben noch knapp zehn Plätze) über das Kontaktformular auf der Konferenz-Unterseite.

CSD Pforzheim 2024: Polizei, Predigten und Nieselregen

Das Pforzheimer Rathaus mit ungewohnt viel Farbe davor.

 

Schon ein paar Tage her ist der zweite Mini-CSD am 15. Juni in der nominellen Großstadt Pforzheim. Dieses Jahr gab es sogar eine Parade. AktivistA war für dieses Heimspiel mit einem Infostand angerückt, der dann prompt über Mittag mal wieder beregnet wurde.

Logischerweise bedröppelte es ausgerechnet das Ende des Demozugs. Ob die Gegenveranstaltung von diversen Freikirchen am anderen Ende der Fußgängerzone sich wegen dieser Unterstützung von oben auf die Schulter geklopft hat? Wir wissen es nicht. Sicher ist nur, dass die großen Kirchen ihren eigenen ökumenischen Stand auf dem CSD hatten und Segen spendeten, während die fundamentalistischen Kräfte Flyer verteilten, die von Sünde, Hölle und allerlei mehr fabulierten.

Beflaggte Minimuffins.

Der Laune auf dem CSD tat der Regen nun nicht so viel Abbruch. Unser Stand konnte zudem als Dach für gut 200 Mini-Muffins dienen, die von einer netten Person aus Karlsruhe großzügig an Anwesende verteilt wurden. Immer mit passender, selbstgemachter Miniflagge, versteht sich.

Ein passendes Demoschild durfte ich auch ablichten:

„Gleiche Rechte für alle heißt nicht weniger Rechte für dich. Das ist kein Kuchen!“

Neben den Freikirchen trübte auch eine nicht zu verachtende Polizeipräsenz die Stimmung. Ein weitgereister Bekannter meinte, derartig starken Begleitschutz kenne er nur von polnischen Prides. Und wo letztes Jahr mal ein paar blaugewandete Leutchen über den Platz streiften und mir exakt einmal und positiv auffielen, als sie einen sehr berauschten Menschen ansprachen, tauchten sie dieses Jahr teils im Rudel von sechs bis acht Menschen auf, und mit weniger Personen dann so gut alle halbe Stunde. An der Gegendemo konnte es nicht liegen – die lief letztes Jahr schon gesittet ab. Und bei den letzten Wahlen hat die AfD zwar fett Stimmen eingefahren, aber die Rechten waren ja letztes Jahr auch schon da (und laufen eh jeden Montag seit Corona demonstrieren).

Aus Gründen, die wir nicht nachvollziehen können, weigerten sich beide größeren Zeitungen, in ihren Berichten die geschätzte Teilnehmendenanzahl anzugeben. Es fühlte sich nach weniger Menschen an als letztes Jahr. Ob es das Wetter war oder all die Polizei, die ausdauernde Sitzgrüppchen junger Leute tendenziell eher ungemütlich machte und zu frühzeitigen Heimfahrten führte? Wahrscheinlich beides.

CSD Karlsruhe: Fotos ins Wasser gefallen

Ein Stück vom Infostand-Tisch: eine Sammlung Flyer und Aufkleber auf einer lila Tischdecke.
Da war’s noch trocken am Infostand.

Am 1. Juni 2024 haben wir wahrscheinlich den kühlsten, wenn auch nicht der regenreichsten CSD seit 2012 hingelegt — aber damals war es Mitte April. Jedenfalls kann sich die Verfasserin dieser Zeilen nicht erinnern, dass sie in den letzten Jahren die Jacke wegen der Temparatur statt Regen gebraucht hätte, wenn ein Dach drüber ist.

Der Aufbau um 10 Uhr erfolgte noch im Trockenen. Pünktlich zur Einweisung der Ordnungspersonen fing es dann an zu nieseln, und hörte bis 18 Uhr nicht mehr auf.

Resultat war eine kleine und sehr beschirmte Demoparade, wo wegen der Nässe nicht besonders viel ausdrucksstrark fotografiert wurde. Zudem ist das mit dem Livestream dieses Jahr wohl auch nässehalber nicht so gelungen wie die letzten Jahre, weshalb ich (noch ?) keinen Link habe zu Aufnahmen von der Parade.

Zugegeben, wir haben trotzdem keinen Grund, groß zu klagen, da gegenwärtig — mal wieder — ganze Gemeinden unter Wasser stehen. (Den Betroffenen wünsche ich hiermit starke Nerven und hoffentlich eine gute Versicherung.)

Trotz des eher ungemütlichen Wetters hatten wir zwischenzeitlich gut zu tun am Stand, wobei sich die meisten Menschen schon auskannten und die merkwürdigen Gespräche sich daher in Grenzen hielten. … Wer will schon von einer Person, die nicht zuhört, erklärt bekommen, dass heutzutage niemand mehr zuhört?

Da waren uns doch ahnungslose, aber lernbereite Menschen viel lieber. Unser Glücksrad-Quiz (mit Begriffen aus dem Glossar) leistete da teils gute Dienste. Jedenfalls dürften ein paar mehr Personen jetzt wissen, dass Aromantik existiert und warum wir von einem asexuellen Spektrum sprechen.

Für einen Hach-Moment sorgten die Rosen von Mission Trans*, die wir stilecht — hust — im wassergefüllten Beschwerungsfuß untergebracht hatten. Dank Wasser und Wetter hielten sie so gut, dass wir beim Abbau eine etwas traurig wirkende Passantin damit aufheitern kannten.

Übrigens: Die Stuttgarter Trans Pride ist dieses Jahr am 7. September geplant.

Das (negative) Glanzstück war aber wahrscheinlich die Frage, ob unsere veganen Früchtebonbons aus dem Supermarkt „homosexuell machen“. Tun sie natürlich nicht, so wie es auch keine anderen Möglichkeiten gibt, die sexuelle Orientierung einer Person zu ändern. Aber wir sehen: Selbst bei derartigen Basics sind Teile der Bevölkerung immer noch äußerst schlecht informiert.

Daher wird eins wohl dranbleiben müssen.

Hier auch noch mal vielen Dank an die Hilfe aus dem Verein und von den mehr oder weniger weitgereisten Freiwilligen aus der Pfalz und aus der Stuttgarter Ecke! Ohne euch ginge so war nicht.

Die CSD-Saison rückt näher …

Noch ein paar Tage, dann beginnt der Pride Month, und mit ihm die CSD-Saison für AktivistA.

Ein Frosch in Ace-Farben, der „Be Gay“ (do crimes) sagt.

Wo könnt ihr Menschen von AktivistA im Juni treffen oder wenigstens Flyer abgreifen?

Wir sind mit Infostand und Demogruppe am 1. Juni in Karlsruhe. Im Gepäck für den Infostand sind neben all dem Papier wie immer passende Flaggen, Armbänder und eine erweiterte Buttonkollektion.

Die Demogruppe ist für Aces, Aros, Apls und überhaupt das komplette A*spec offen. Wer spontan bei der Demogruppe mitlaufen möchte, melde sich am Infostand oder vorab z. B. per Discord, Facebook, Insta oder über das Kontaktformular. Denkt bei Demos bitte an wettergerechte Ausrüstung und ausreichend Snacks und Nichtalkoholisches in einer möglichst bruchsicheren Flasche. Gegebenenfalls sind auch Ohrstöpsel sinnvoll, meist wird es recht laut.

 

Eine Woche später, am 8. Juni, ist in Übach-Palenberg der CSD für den Kreis Heinsberg. Dort findet ihr einen Ally mit Flyern, den neuen Broschüren und einer kleinen Ausstattung Goodies.

 

Und noch eine Woche später geht es in Baden weiter: Wir haben am 15. Juni einen Infostand beim CSD Pforzheim.

 

Die weiteren Termine stehen leider noch nicht so ganz fest, wir arbeiten aber an Stuttgart und Hamburg. Wer sich da zum Helfen motiviert fühlt, nutze bitte ebenfalls die gängigen Kontaktmöglichkeiten.

IDAHOBITA/ IDAHOBALT*I+

Zunächst einmal: Wir wünschen euch morgen allen einen guten, erfolgreichen Tag gegen Homo-, Bi-, Trans-, Inter-, Aspec*- und Lesben-Feindlichkeit! Ursprünglich als „Internationaler Tag gegen Homophobie / IDAHO“ gegründet, hat er in den letzten Jahren einige Buchstaben hinzugewonnen – zuletzt in manchen Ecken der Bundesrepublik das A und ein L. Und ein Pluszeichen, denn die Liste der Diskriminierungsformen ist damit leider lang nicht zu Ende.

Allerdings: Queerfeindliche Positionen interessiert es meist nicht, ob eine Person ace, lesbisch, bi, schwul und/oder trans ist. Alles, was nicht in ihr Weltbild passt, soll entweder schweigen und/oder sich anderweitig aus dem öffentlichen Raum raushalten.

Normalerweise protestiert die queere Community gegen diese Art Unsichtbarmachung mit öffentlichen Veranstaltungen, Infoständen, Demos und anderem. Leider sind wegen der Unwetterwarnung vor ergiebigem Dauerregen mit Hochwassergefahr dieses Jahr schon ein paar Aktionen draußen abgesagt worden. Am besten schaut ihr bei den Organisationen vor Ort nach, was geplant ist und ob es stattfindet.

Völlig im Trockenen sitzt ihr hoffentlich bei der InSpektren-Livefolge. Lennart von unserem Verein redet mit Finn und Noir über Aspec-Feindlichkeit in Alltag und Gesellschaft und wie wir damit umgehen können. Zu belauschen ist die Aufzeichnung auf dem AspecGerman-Discord-Server, am Freitag, 17.5.2024 ab 19:30 Uhr. Oder, mit Zeitverzögerung, auf den meisten Podcast-Portalen.

 

 

 

 

Save the Date und Suche nach Beiträgen: AktivistA-Konferenz 2024

Ein wenig stolz sind wir schon, die zehnte Ausgabe der AktivistA-Konferenz für das asexuelle Spektrum ankündigen zu dürfen. Nicht mal die Verfasserin dieser Zeilen hätte gedacht, dass das Konzept so lange vorhält.

Dieses Jahr treffen wir uns am 14. und 15. September für Vorträge und viel Zeit zum Reden in der Weissenburg in Stuttgart. Wie gehabt wollen wir den Samstag mit Vorträgen und Workshops füllen und am Sonntag noch mal gemütlich plauschen.

Anmelden könnt ihr euch über die bewährte Unterseite und das Kontaktformular. Auf der Unterseite findet ihr auch Details zu Kosten und Anreise. Außerdem posten wir dort Aktualisierungen zum Programm, sobald wir sie vorliegen haben.

Keine Konferenz ohne Inhalt

Wie immer suchen wir Menschen, die Vorträge halten. Wir zahlen für maximal zwei Menschen pro Programmpunkt Anreise, Mittagessen und ein Honorar. Thematisch suchen wir alles, was mit den ace und aro Spektren zu tun hat, nehmen aber auch gern einen Blick über den Tellerrand in politische Arbeit, trans Themen, Intersektionen oder …? Die Vorträge/Workshops sollten maximal 45 Minuten dauern, danach sind 15 Minuten für Diskussion und Fragen geplant.

Wenn ihr Interesse habt, euch, euer Projekt, euer Thema etc. auf der Konferenz vorzustellen, könnt ihr das Anmeldeformular auf der Konferenz-Unterseite benutzen oder Carmilla beim Aspec*German-Discord anpingen.

Mit Ace- und Aro-Flagge verzierter Flügel bei der AktivistA 2023

 

 

24. Dezember: Halber Mann

CN: Body Horror (?), Acefeindlichkeit, Erwähnung von Alkohol, Essen, Wortwitze

Halber Mann

Chris

„Wie, du bist demi? Heißt das nicht halb? Haha! Bist du dann nur ein halber Mann?“, meinte Hannes, mein Kollege, als wir gerade vor der Kaffeemaschine standen.

Und – zack – da war ich ein halber Mann. Verlegen kratzte ich mich am Nacken. „Haha, nein, das heißt …“

„Oh, hoppla war ich das jetzt?“, unterbrach Hannes mich. „Ach, ist ja auch egal, ich mach mal weiter. Muss ja, ne? Mach’s gut!“, und schon verschwand er wieder in seinem Büro.

Ich sah an mir herab. Ich schien wirklich nur halb zu existieren. Irgendwo in der Mitte, von oben nach unten längs einmal durch. Dahinter nix. Zwischendrin waberte irgendwas Schwarz-Grau-Weiß-Lila-Schimmerndes. Komisch irgendwie.

„Na ja, was soll’s“, dachte ich mir, „so muss ich jetzt wenigstens nicht groß mit Erklärungen ausholen …“

Ich war froh, dass ich heute nur halbtags arbeiten musste, und ich jetzt Feierabend machen konnte. Also zog ich nochmal die Schnürsenkel meiner Halbschuhe straff und machte mich auf den Heimweg.

Blöderweise fuhren keine Öffis nach Hause. Da war mal wieder die halbe Straße aufgerissen wegen irgendwelcher Bauarbeiten. Also musste ich zu meiner Wohnung in einer Doppelhaushälfte laufen. Die lag am Stadtrand, so halb in der Natur.

 

Und so lief ich nun die Straße lang.

Leute, die mich sahen, sagten sich: „Da geht er hin, der halbe Mann.“ Kinder, die mit dem Finger auf mich zeigten, so halbe Portionen, wurden von ihren Eltern weiter geschoben, die ihnen in halber Lautstärke, grade so, dass ich es hören konnte, zuflüsterten: „Schau da nicht hin, das ist ein halber Mann!“

Mein Weg führte mich am Rathaus vorbei.

Auf dem halbrunden Platz waren die Fahnen auf Halbmast. In einem Straßencafé wurde ein Fußballspiel übertragen. Es war wohl grade Halbzeit.

Bauarbeiter, die gerade mit einem Presslufthammer den Straßenbelag entfernt hatten gönnten sich zur Pause ihre halbe Bier …

In einem Hauseingang auf der anderen Straßenseite winkte mir ein Junge zu und rief etwas, das allerdings im Bass eines vorbeifahrenden Autos unterging, das die Fenster halb heruntergekurbelt hatte. „Was’n Vollpfosten. Die halbe Lautstärke hätte es auch getan“, dachte ich mir und sah noch, wie der winkende Junge von seiner Mutter in den Halbschatten des Treppenhauses gezogen wurde. Ich kann ja mit Kindern nix anfangen, aber anscheinend übe ich auf diese gerne mal eine Faszination aus. Keine Ahnung, warum.

 

Der kleine Timmy war gerade mit seiner Mama vom Einkaufen zurückgekommen und als diese noch im Eingangsbereich des Hochparterres mit dem Schlüsselbund kämpfte, blickt er noch einmal zurück zur Straße. Dort sah er etwas sehr Interessantes. Eine Person, nein … irgendwie … bunt. Wabernd … waren das Schuppen? „Mama, guck mal! Der Mann da ist total bunt!“, rief er durch den nun geöffneten Türrahmen hinein und begann der Person zu winken. Doch die Mutter warf nur einen kurzen Blick nach draußen und auf den halben Mann, der da unter dem grauen, halb bewölkten Himmel dahintrottete und bewegte ihr Kind halb durch Ziehen, halb durch Drücken in die Wohnung. Während sich die Mutter ans Verräumen der Einkäufe machte, kletterte Timmy auf die Küchenarbeitsfläche und blickt durch das Küchenfenster nochmal auf die Straße… er sah gerade noch, wie etwas Lila… Beschupptes? … hinter der nächsten Straßenecke verschwand.

 

Schließlich kam ich zu Hause an. Das Treppenhaus mal wieder halb zugestellt quetschte ich mich in den ersten Stock. Wohne natürlich auf halber Höhe.

Die Klamotten über die Lehne geworfen ließ ich mich mit einem lauten Seufzer auf eine Sofahälfte fallen. Kaum, dass ich da lümmelte und etwas zur Ruhe kam, regte sich etwas in dem bunten Wabern meiner noch sichtbaren Körperhälfte …

„Mmmmöööööääääähhhheeendlich zu Hause!“, sagte Edgar, der sich wie zähflüssiger Sirup aus der Schimmerschicht formte und langsam seine volle Gestalt annahm. „Ich kann nicht fassen, was der Hannes da schon wieder abgelassen hat.“ Er schüttelte irritiert seine Rückenschuppen. An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, etwas von Edgar zu erzählen. Edgar ist mein Drache. Ich weiß nicht, wie wir uns kennenlernten. Ich glaube, er war eigentlich schon immer da. Er ist keiner dieser großen, roten, feuerspeienden Drachen, wie man sie sich so vorstellt. Kein Feueratem, kein Giftatem, auch keine Blitze oder Eis waren sein Ding. Keine grünen, gelben oder blauen Schuppen. Nein, Edgar war ein Lila Drache, seine Spezialität war ein Knoblauchatem. Damit konnte er alles, was davon in Mitleidenschaft gezogen wurde, in perfektes, krosses Knoblauchbrot verwandeln. Eine wahre Gabe! Nebenher war Edgar auch ein begnadeter Bäcker, nur die Heuschnupfenzeit war manchmal etwas problematisch, da freuten sich dann die Nachbarn über spontane Brotkorb-Geschenke.

„Weißt du was?“, fragte er mit entschlossenem Blick. „Der Nächste, der dir so dumm kommt, der wird von mir gebrotet! Aber so was von! Aber komm, ich lass dir jetzt erst mal ein Vollbad ein. Dann entspannst du ein bisschen, bevor nachher die Gäste kommen.“

„Au ja, gerne!“ erwiderte ich. Edgar weiß einfach, was ich brauche. Da macht er keine halben Sachen. Ich wendete mich derweil der Zeitung zu. Vielleicht sollte ich doch mal einen Vollzeit-Job annehmen? Dann wäre ich auch weg von dem Kollegen … Ich überflog die Stellengesuche, während ich hörte, wie im anderen Zimmer plätschernd das Badewasser einlief und Edgar was von „Mmh, noch eben lüften …“ in sich hinein murmelte. Ein Full-Stack-Entwickler wurde gesucht, das wäre doch was. Ich las die Stellenbeschreibung: „Bewerber darf nicht älter als 18 sein, muss mindestens 20 Jahre Berufserfahrung mit bringen …“, immer wieder derselbe halbgare Blödsinn. Mit halbem Auge fiel mein Blick auf die Heuschnupfen-Mittelchen-Werbung … Ach, war es mal wieder so weit?

Ich sah nicht, wie die Stichflamme aus der Badtür schoss, ich hörte nur ein lautes Niesen, das kurz alles übertönte, bis an meine Ohren wieder das Plätschern des Wassers drang. Verlegen erreichte mich Edgars Stimme „Duuu? Weißt du noch, dein Lieblingsshampoo? Das mit der schwarzen Flasche? Ähhm … sorry. Ich öööh … leg’s mal in den Ofen zum Warmhalten für später, okay?“ Er lief sichtlich berührt mit vollen Händen an mir vorbei, während ich mich ins Bad aufmachte. Ich öffnete einen Wandschrank und nahm von der dort ringelassenen Palette die nächste der gelagerten 250 Shampooflaschen, drehte den Wasserhahn ab und stieg wohlig seufzend in die Wanne, während aus der Küche ein „Uuuuh, Vollkorn!“ ertönte.

 

Es war Vollmond, und da passieren ja immer die seltsamsten Dinge. Genau deswegen hatte ich auf den Abend hin zur vollen Stunde meine Freunde eingeladen. Nein, nicht zum Volllaufenlassen! Ein Filmabend stand auf dem Plan. So trashige Klassiker wie „Voll normaaal“ oder „Werner – Volles Rooäää!!!“ Auch waren ein paar der Gäste Wrestlingfans und äußerten den Wunsch, ob man das aktuelle Match verfolgen könnte. Ich bin jetzt nicht so der Fan von Vollkontaktsport, aber da es anscheinend ein Halbfinale war, konnte ich dann doch voll mitfiebern.

Während Edgar für das leibliche Wohl sorgte (an Knoblauchbrot mangelte es nicht und er hatte dann zur Vorsicht doch noch Heuschnupfenpillen genommen), unterhielt ich mich angeregt und auf die Couch gekuschelt mit einigen Leuten. „Ach, lass dich nicht nieder machen. Ist doch nur halb so schlimm. Der Hannes, den brauchst du nicht für voll zu nehmen“, sagten sie mir. Und ich musste ihnen recht geben.

„Ja, ich glaube der ist sowieso auch voll ausgelastet mit lauter anderem Kram. Der hat nicht mal halb soviel Kapazität für Self-Care wie ich. Eigentlich tut er mir schon fast leid“, überlegte ich laut.

„Und du bist viel zu nett. Beim nächsten Mal brote ich ihm trotzdem eins über!“, warf Edgar ein, der eben Kaffee auffuhr. Wer mochte, konnte diesen auch mit Vollmilch genießen.

Kurz darauf folgte Kuchen. Voll-Nuss! Voll gut!

Schließlich wurde beschlossen, noch etwas Musik aufzulegen. Kurz wurde überlegt, ob man Vol(l)ksmusik hören möchte, aber das fanden wir dann doch zu albern. Es wurde Vol(l)beat.

 

Aber auch ein vollkommener Abend muss irgendwann sein Ende finden. Und so standen wir zum Abschied noch alle im Treppenhaus herum. „Ach, Freunde, was wäre ich bloß ohne euch! Schön, dass ihr für mich da seid. Ohne euch wär’ alles nicht mal halb so schön.“

Und so sahen sich meine Freunde an und mit einem „Aber du weißt doch, irgendwie sind wir immer bei dir“, sprangen alle gleichzeitig hoch zu einem großen Gruppen-High-Five.

Was nun passierte, kann man glaub ich nur noch mit Begriffen aus der Internet- und Nerdkultur beschreiben … Man kann sich das vorstellen wie eine Kombination aus einer Magical-Girl-Transformation-Szene und dem hin und her Verschieben einzelner Teile eines Transformers, wenn er seine Gestalt ändert. Es waren sehr viel helles Licht und Bänder? und Zahnräder? involviert. Kurz war mir so, als wäre auch mal eine Sailor-Uniform aufgeblitzt. Während ich gebannt beobachtete, was dort passierte, gesellte sich Edgar an meine Seite und drückte mir mit einem „mmh, hier halt mal …“ einen Teller Knoblauchbrot in die Hand. Ich ließ das geschehen und starrte nur mit offenem Mund, wie sich vor mir … meine zweite Hälfte gebildet hatte.

„Ahh, ich glaube, hier kann ich auch noch was beitragen“, meinte Edgar, während er die beiden seltsam schimmernden Flächen berührte, die meine Hälften voneinander abtrennten. Langsam wurden wir aufeinander zu gezogen …

 

Wilhelmine Stiegensteiger, ihres Zeichens erste Vorsitzende des örtlichen Vereins der Häkelnden und Wäscheklammersammelnden e.V. wollte sich grade der Untersuchung eines neuen Wäscheklammermodells mit doppelt gespleißtem Holzrahmen und äußerst interessanter, vierfach gespulter Federkonstruktion widmen, als sie gewahr wurde, dass durch ihren Türspion ein äußerst helles Licht drang. Neugierig legte sie ihr Vergrößerungsglas und das Untersuchungsobjekt zur Seite, erhob sie sich aus ihrem Ohrensessel, strich die extra gehäkelten Deckchen für die Armlehnen und die Sitzpolster glatt und ging zur Tür. Als sie die Türklinke in die Hand nahm, war das helle Licht bereits verschwunden. Im Treppenhaus fand sie ihren Nachbarn vor, der sich mit ungläubigem Gesichtsausdruck mit einer Hand abtastete. Den Mann, der schon seit geraumer Zeit die Wohnung gegenüber bewohnte, fand sie zwar manchmal ein wenig eigenbrötlerisch, aber kannte ihn ansonsten als vollkommen netten und zuvorkommenden Menschen.

„Oh, guten Abend! Haben sie was verloren?“

Erst jetzt bemerkend, dass noch jemand ins Treppenhaus getreten war, sah ihr Nachbar zu ihr auf. „Nein … ich dachte, mir fehlt was, aber … ich hab doch alles zusammen. Alles gut.“ Sein Blick fiel auf den Teller in seiner Hand und seine Stirn kräuselte sich kurz nachdenklich. „Möchten Sie vielleicht etwas Knoblauchbrot? Ich hab etwas zu viel gemacht … und hier …“, er streckte ihr den Teller hin, „das ist sogar Vollkorn!“

 

Das Wochenende vorbei, trat ich am Montag vollkommen erholt wieder den Dienst an. Hannes wartete bereits am Kaffeevollautomaten auf mich. „Du, sorry nochmal wegen der Demi-Sache. Aber weißt du was? Ich hab gelesen, das gehört zur Asexualität … und weißt du, was man von der Asexualität so sagt?“

Ich sah aus dem Augenwinkel einen lila Schatten und riss die Augen weit auf. Oh nein. „Nein! Sag es nicht!“ Mir wurde schwummrig,

„Man sagt, das ist …“ – Schuppen stellten sich hinter Hannes auf, Die Welt wurde transparent. – „… die unsichtbare Orientierung! Haha, da guckst du was? Ähh … wo isser hin? Hallo? Eben stand er doch noch da. Und … mmh … was riecht hier eigentlich so intensiv nach Knoblauch?“

 

© 2023 bei Chris

22. Dezember: Zwischenraum

CN: –

Zwischenraum

Finn

 

Der Nebel wirbelt kreuz und quer,
Muster erkennen fällt mir schwer,
Mal so und so, dann wieder nicht.
Hat das denn überhaupt Gewicht?

Hab ich ein bestimmtes Grau?
Wo zwischen Weiß und Schwarz genau?
Es gibt schließlich nicht nur eines,
Welches davon ist nun meines?

Gibt’s für mich sowas wie Stabilität,
Im Spektrum menschlicher Sexualität?
Wie soll ich hier etwas erkennen?
Und dann am Ende noch benennen?

Auf dem Spektrum aber wo genau?
die Skala geht von schwarz bis grau,
Das zu sagen, fällt mir ziemlich schwer,
Wo nehmen Menschen Worte her?

Suche im Community-Bestand,
Acespike ist manchmal interessant,
Am Ende lass ich’s aber hier,
Das sind nicht immer Spikes bei mir.

Aceflux wäre auch noch so ein Wort,
Aber auch das lass ich dann dort,
Fluidität ist bei mir sicher da,
Doch das Wort ist mir nicht nah.

Myresexuell spricht die Verwirrung an,
Ob ich dieses Label nehmen kann?
Aber die Konnotation bleibt ein Problem,
Damit kann ich mich nicht wirklich seh’n.

Die Graustufenskala sagt zu mir,
Die Möglichkeiten hast du hier,
Manche Worte finden Resonanz,
Und doch trifft‘s für mich keines ganz.

Näher bei Schwarz, weiter im Grau?
Auch das weiß ich nicht so genau,
Graustufen sind oft nicht so klar,
Nebel bleibt für mich ungreifbar.

Das alles wird schließlich zu kompliziert,
Ob das für mich überhaupt funktioniert?
Die Einordnung in Kategorien ist schwer,
Mein Erleben bleibt ein Nebelmeer,

Nebelfetzen die aller Einordnung flieh’n,
Gibt’s noch Raum zwischen den Kategorien?
Die Sicherheit wächst, wie ein Pflänzchen erst klein.
Ich streck die Hand aus, in den Nebel hinein,

Dieser Ort er ist mir doch vertraut,
Ich sprech es aus, bin stur und laut:
Aus dem Pflänzchen wird ein Baum,
Meine Wahrheit ist der Zwischenraum.

 

© 2023 bei Finn