Autor: carmilladewinter

17. Dezember: Asexuell

CN: Ace- und Queerfeindlichkeit

Asexuell

Noir

 

Weit in der Ferne von Raum und Zeit

Wird der Augenblick gerne zur Ewigkeit

Unendlich ist die Sehnsucht sich im anderen zu verlieren

Die Nähe kann sich förmlich auf der Haut schon kristallisieren

 

Immer enger wird das Gefühl und weit

Die Luft füllt sich mit unendlicher Leichtigkeit

Hitze ergießt das Zimmer und dehnt sich aus mit Kraft

Losgelöstes Schweben frei und wild in Leidenschaft

 

Die Lust am Leben wird zur puren Ekstase

Dennoch ist das alles für mich nur eine Phrase

Diese Form der Erregung liegt mir nicht im Naturell

Es tut mir leid für dich, aber ich bin asexuell.

 

© 2023 bei Noir

13. Dezember: Dunkel trifft Licht, leise trifft laut

CN: Wenn eins die Metaphern jeweils überträgt, negative Erfahrungen im Bezug auf Asexualität, insbesondere: Allonormativität, compulsory allosexuality, FOMO und Einsamkeit, Abwertung von Single-Sein, Pathologisierung von Ace sein. Alles davon ist in Metaphern verpackt.

 

Dunkel trifft Licht, Leise trifft laut

Samu

 

Wenn die Werbeschilder am Himmel leuchten
dass eins sie beinahe mit dem Mond verwechselt
dann sitze ich da und frage mich:

Ist die Bank, auf der ich sitze,
eine Bahnhofsbank und ich warte die ganze Zeit auf meinen Zug?
Ist mein Zug vielleicht längst abgefahren?
Bin ich der einzige Übriggebliebene, der noch auf diesem leeren Bahnsteig hockt?

Den Geruch von kaltem Rauch in der Nase, Beton, etwas Maschinenöl und heißgelaufene Zugbremsen. Zug hält an, Menschen strömen rein, Menschen strömen raus, strömen die Treppe runter, und ein paar Minuten später, wenn der Zug quietschend weitergefahren ist, ist es wieder ganz ruhig hier. Nein, nicht ganz ruhig. Aber einsam ruhig.

– Oder – ist dies in Wirklichkeit eine Ausruhbank? Und ich bin hier, um Züge zu fotografieren und zu filmen? Nicht, um einzusteigen. Nicht immer sind Züge zum Einsteigen da. Trainspotting ist auch ein schönes Hobby.

Diese Zeit, wenn du beim Trainspotting auf den Zug wartest, die ist irgendwie eine seltsame. Wenn es kalt ist, frieren deine Hände ein, wenn es warm ist, ist es noch ätzender. Du überprüfst die Einstellungen deiner Kamera. Wenn du richtig krass bist, stellst du noch eine Leiter und/oder ein Stativ auf, um eine bessere Perspektive zu haben oder nicht zu verwackeln. Du grüßt höflich – oder notgedrungen – die anderen Trainspotter, die mit dir warten und ebenfalls ihr Equipment auspacken und einrichten, und – entweder ihr ignoriert euch freundlich oder haltet kurz Smalltalk.

Und dann wartest du. Und das macht den größten Teil der Zeit aus.

Irgendwann ist es dann endlich so weit, der Zug kommt, ist in 30 Sekunden vorbeigerauscht und dann baust du alles wieder ab, fährst weiter – an manchen Strecken kann man den Zug gut überholen und nochmal fotografieren, oder du fährst halt wieder nach Hause oder woanders hin.

Was bleibt, sind die Aufnahmen auf deiner Speicherkarte. Du ziehst sie auf deinen Computer, speicherst sie, benennst sie um, bearbeitest, entwickelst sie. Vielleicht lädst du auch ein paar davon auf Instagram hoch oder verschickst sie an befreundete Menschen.

In der Wartezeit
hast du nicht fotografiert.

Oder vielleicht ein paar Testaufnahmen, die du vielleicht sogar ganz gut findest, sodass du dich entscheidest, sie nicht zu löschen.
Vielleicht hattest du auch Glück und es kam noch etwas unerwartetes Interessantes, und das hast du auch noch fotografiert.
Aber dein Warten. Hast du nicht direkt festgehalten.
Dabei hat es doch den Großteil der Zeit ausgemacht.
Aber die Zeit ohne Zug ist kein Zustand. Keiner, der als festhaltewürdig gilt. Ein notwendiges Übel, dass man pünktlich da steht, um keinen Stress zu haben oder gar den Zug zu verpassen.

Dabei können Schienen sehr ästhetisch sein!

Manchmal
da sitze ich da und frage mich:
Was sind all diese Lichter da draußen?

Sind sie, sind sie vielleicht nur Schein, was sehen die anderen darin? Sind die anderen bei diesen Lichtern? Sind sie in diesen Lichtern und ich sitze hier und sehe auf die Stadt hinunter, sehe die Lichtverschmutzung und empfinde sie als ziemlich störend.

Aber die da unten, die mögen ihr Licht gerne und ich … gönns … ihnen. Joaa …

Die Lichter spiegeln sich überall und ich frage mich, was davon eigentlich echt ist.

Mechanisch automatisch will ich danach greifen, doch sie faden, verblassen, nur einen kurzen Augenblick lang haben sie aufgeleuchtet wie eine Sternschnuppe.

Nicht für mich.

Darf ich mir was wünschen?

Dann
sitze ich da
in einem dunklen Raum und nur vor mir leuchten die bunten Lichter meines Mischpults.

Lauter, leiser, gemutet. Komprimiert, noch ’n Low cut und Equalizer drauf.
Sound – ist sehr individuell.
Manchmal sitzt du da als Tontechniker und denkst so: Ahhhh, wieso kommt kein Ton?!?!? Und dann
stellst du fest: Der Kanal war stummgeschaltet. Und du hast an der falschen Stelle geguckt. Ooooder die Phantomspannung war aus. Oder irgendetwas anderes richtig Banales.

Aber bis du dahin kommst, dass du das feststellst, gab es garantiert einen Punkt, an dem du dachtest, irgendetwas sei kaputt.

Am Mischpult kann man diese Einstellungen dann schnell ändern, in anderen Lebensbereichen vielleicht nicht, aber – vielleicht muss das gar nicht.

Und dann sitze ich da
und denke nach über alles Mögliche.

Ich finde, Dunkelheit ist ein völlig unterbewertetes Konzept.
Like: Es ist angenehm in den Augen. Niemand sieht dich. Du musst dich nicht verstellen und verstecken, denn die Dunkelheit schützt dich vor verurteilenden Blicken.

Die wohltuendsten Augenblicke hatte ich meistens irgendwo alleine im Dunkeln.

Aber irgendwie ist bei Handydisplays immer nur angegeben, wie hell und brillant sie doch jetzt sind – aber nicht wie dunkel sie gehen. Immerhin hab ich bei meinem neuen Handy jetzt eine Funktion, wie ich das Display noch dunkler machen kann, und natürlich gibt es noch den Dunkelmodus, aber da bin ich gar nicht mal so‘n großer Fan von, muss ich sagen, weil das sind mir immer zu viele kleine helle Lichtreize durch die weiße Schrift. Also Discord hab ich schon immer auf dunkel, aber andere Apps eher nicht so. Ja.

Das Licht und das Dunkel
Das Laute und das Leise
Dunkel trifft Licht
Leise trifft laut
Zug rauscht durch
Rauscht in meinen Ohren
Rauscht es in meinem Kopf
Rauscht es in meinen Noise-cancelling-Kopfhörern

 

Stille

 

 

 


© 2023 bei Samu

10. Dezember: Schwer begreiflich

CN: Essen, Erwähnung allonormativer Haltungen

Schwer Begreiflich

Chris

Du greifst danach, kriegst nichts zu fassen,

Die Leute können es nicht lassen.

Jeder sagt, dass da was ist.

Ist es ne Lüge, oder ne List?

„Da muss was sein, siehst du das nicht?“

– Du starrst nur ins Gegenlicht.

Vielleicht sehen alle das da drüben?

Vielleicht muss man das alles üben?

So richtig kannst du’s doch nicht greifen …

Bestimmt musst du halt einfach reifen!

Die ganze Welt dreht sich darum,

und du schaust dich verzweifelt um.

Na, das ist hier mal interessant!

Du hältst ne Sache in der Hand.

Freudig wird dir gratuliert,

anscheinend hast du’s jetzt kapiert.

Jedoch, die Sache, wie’s so geht,

war doch nicht DAS. Das ist jetzt blöd.

Du warst dir sicher, hast mit Elan,

das, was man tun soll, so getan.

Man sagt dir, das wär’ gar nicht toll,

und dass hier noch was fehlen soll.

Du sitzt da und frisst nen Besen,

was ist denn da jetzt nicht gewesen?

Denkst du mal, jetzt hast du’s richtig,

wird alsbald es wieder nichtig.

Was ist bloß los mit dieser Welt,

dass sie dich so eingestellt?

Mikroskope, Lesen, Forschen,

Seiten scrollen, Podcast horchen,

hast recherchierend dich gequält,

um rauszufinden, was da fehlt.

Und du findest auf dem Weg,

eine Person, der’s auch so geht.

Wilder noch, ein ganzer Haufen

tut sich da zusammen raufen.

Ihr fangt an zu diskutieren,

wie die Sachen so passieren.

Und so nimmt es seinen Lauf,

irgendwann, da kommt ihr drauf.

Du lernst dich endlich selber kennen,

kannst die Sache nun benennen.

Und schaust du jetzt auf diese Sachen,

kannst du nur noch schallend lachen.

Die Welt, die hat’s echt übertrieben,

mit dem ganzen sich-verlieben.

Endlich weißt du, wer du bist,

und dass der Kram für dich nicht ist.

Du bist schließlich so viel mehr,

das Leben gibt das alles her.

Und nervt dich wer, und siehst du rot,

es rettet dich stets Knoblauchbrot.

Den ganzen Stress mit Liebes-Sachen,

das lässt du schön die andern machen …

Dann ist das alles gar nicht schlimm

und du hast deine Ruh. Win-Win!

 

© 2023 bei Chris

6. Dezember: Dazwischen

CN: Allonormativität (allonormative Aussagen), Gray-Exklusionismus, Sexualität und Sex, kurze Erwähnung von Genderklischees und Masturbation

Dazwischen — Alles nicht so einfach

Finn

Mein Name ist Finn und was das Spektrum der Sexualität angeht, bin ich irgendwo dazwischen.
Zwischen Sexualität und Asexualität, an einem Ort auf dem Spektrum, wo die Nebelschwaden so dicht sind, dass eins kaum die Hand vor den Augen sehen und doch den Nebel nie greifen kann, weil er zwar da ist, aber nie wirklich fassbar wird, durch die Finger sickert, sodass kaum gesagt werden kann, wo ich eigentlich stehe.
So fühlt sich meine sexuelle Anziehung an.
Mal ruhig, mal wirbelnd,
Mal da, mal weg,
Mal wild, mal sanft,
Unbeständig, schwach …
Aber immer ungreifbar.

Ich bin nicht Zuhause an einem der unzähligen Enden des Spektrums menschlicher Sexualität, die ich mit Interesse betrachte, erkunde, mal hier mal da etwas in meinem Nebel wiedererkenne, aber immer nur schemenhaft, sodass ich es nie wirklich sagen kann: „Das ist meine Sexualität, meine sexuelle Anziehung, …“
Ich kann nur viele Worte ein bisschen verwenden, weil ich nirgendwo so richtig zuhause bin so scheint es.

Naheliegend wäre natürlich die weitgehend allosexuelle Welt. Immer wieder meldet sich in meinem Leben dann ja doch sexuelle Anziehung. Meist sehr schwach, aber ab und zu kann die auch mal so richtig kicken. Das kommt vielleicht nicht so oft vor, aber wenn ich dann doch mal so eine Art Spike erlebe, verstehen meine allosexuellen Freund*innen meistens nicht, warum das jetzt noch nicht bedeutet, dass ich einen One-Night-Stand anstrebe.
Da fallen auch mal Sätze wie:
„Warum sprichst du sie nicht einfach mal an?“
Oder:
„Fangt doch einfach mal unverbindlich was an. Vielleicht will er ja auch. Man weiß doch nie, was passiert!“
Und dann bin ich an der Reihe, zu erklären, dass meine sensuelle Anziehung diesen Spike gerade nicht mitgemacht hat, während die sexuelle mit 100 km/h auf der Autobahn fährt. Da ist es fast einfacher zu sagen, dass ich die Person nicht gut genug kenne, um zu wissen, ob sie dann vielleicht eine romantische Beziehung mit mir möchte – und das ist dann ja wirklich nicht so mein Ding.
Das Ergebnis bleibt dasselbe: Ich beobachte lieber erst einmal, begnüge mich mit Fantasien und Selbstbefriedigung. Wenn es eine Person ist, die sich länger in meinem Umkreis bewegt, warte ich vielleicht ab, wie sich die Sache entwickelt.
Dass die sexuelle Anziehung sich bei einer Person mit sensueller und den Umständen so gut trifft, dass es für einen sexuellen Kontakt reicht, ist vergleichsweise selten.

Es gibt auch noch diese tollen Gespräche, die ich mit Menschen immer wieder über meine eigene Identität führe. Das ist nicht immer einfach. Viele lernen ja in diesem Moment erst, was Asexualität eigentlich ist.
Und wenn gerade nicht irgendwelche Genderklischees aus der Mottenkiste geholt werden, fallen auch mal Aussagen wie: „Also, das versteh ich halt nicht. Sex ist doch toll! Mir ist guter Sex in einer Beziehung schon sehr wichtig.“
Ich verdrehe dann erst einmal innerlich die Augen und antworte: „Ich habe gerne Sex. Aber das war’s dann auch.“
Bevor ich mich freundlich darum bemühe, zu erklären, warum ich Sex mögen und trotzdem auf dem asexuellen Spektrum sein kann, womit eine Stelle im Gespräch erreicht ist, wo mein Gegenüber dann meist nicht mehr richtig mitkommt. Die Trennung von sexuellen Handlungen und Anziehung ist wohl hauptsächlich in Ace-Communitys und in einer verquerten Form in fundamentalistisch religiösen Gruppen verbreitet.
Und ich frage mich in diesem Moment, ob ich jetzt eine lange Erklärung beginnen soll, dass manche asexuelle Menschen (wenn auch bei weitem nicht alle) Sex haben und mögen, oder ich erst daran erinnern soll, dass sich unser aller Sexualität in Spektren bewegt und ich immer noch Grayace und nicht zu 100 % asexuell bin.

Ich habe gerne Sex. Aber das war’s dann auch.“
Sage ich.
Sehr zum Unverständnis mancher Menschen.
Und ob ich schon einmal einen Orgasmus hatte, ist dann mit einem Mal plötzlich von großem Interesse.
Wenn ich wahrheitsgemäß antworte, sorgt das meist für mehr Verwirrung und ich möchte auch kein Geheimnis daraus machen müssen. Aber gleichzeitig, sollte ich darauf keine Antwort schuldig sein, um zu beweisen, dass ich „rechtmäßig“ auf dem Ace*spec bin.
Es gibt überhaupt viele Dinge, die ich in solchen Gesprächen gerne sagen möchte, wie einige Dinge über diese Frage nach dem Orgasmus.
Und ungefähr zehntausendmal das Wort „Spektrum“.
Das würde ich manchen Leuten am liebsten direkt in den Kopf hämmern.
Die Nachricht, dass Asexualität ein Spektrum ist, wo ich mich nicht zu 100 % am Ende in einer Ecke wiederfinde, damit sie mich klar einordnen können, scheint für viele nicht so leicht verdaulich zu sein.

Aber wenigstens bin ich mir nach solchen Gesprächen immer sehr sicher:
Allosexuell bin ich nicht.

In Ace-Communitys sieht das alles schon ein wenig anders aus.
Asexualität ist hier logischerweise bekannt. Es wird differenzierter über Sexualität und Sex gesprochen.
Aber auch hier gibt es seltsame Situationen:
Da gibt’s zum einen die selbsternannten Gatekeeper*innen, die meinen, der Graubereich gehöre nicht zur Community oder wäre generell ein Missverständnis, weil wir einfach überzeichnete Bilder allosexueller Personen im Kopf hätten und uns deswegen nicht mit Allosexualität identifizieren könnten.
Da kann ich nur den Kopf schütteln und auf meine Gespräche mit Allos verweisen.
Siehe oben!
Ich erinnere mich aber auch an ein Gespräch, wo hinter Sex mit dem Partnermenschen, ohne genauer nachzufragen, eine Überschreitung der eigenen Grenzen vermutet wurde.
Oder auch Diskussionen wie die immer wieder mal aufkommende über Reizwäsche, wo ich mich dann frage, wo ich hier eigentlich gelandet bin, bei Aussagen wie:
„Löst Reizwäsche bei Allos wirklich sexuelle Anziehung aus?“
„Können die dadurch erregt werden?“
Oder auch:
„Sowas gibt mir gaaar nichts.“

Ein wenig fühle ich mich dann, als wäre mir eben wieder gesagt worden: „Aber Sex ist doch toll.“
Und denke mir:
„Es muss dir doch gar nichts bringen. Manchen Allos ‚gibt‘ das auch nichts.“
Ich möchte dann sagen, dass auch die Sexualität von allosexuellen Menschen ein Spektrum ist. Erklären, dass es bei Reizwäsche sicher auch um ästhetische Aspekte geht.
Darauf hinweisen, dass Reizwäsche auch von Personen verwendet wird, die schon in einer sexuellen Beziehung sind und/oder vorher schon sexuelle Anziehung füreinander empfinden und diese nicht erst durch Kleidung oder nackte Haut erzeugt werden muss. Da geht es um Beziehung, Erregung, sich herantasten an den Partnermenschen, nicht direkt nackt zu beginnen und die eigene Sexualität zu gestalten. Es geht mitunter darum, Erleben und Empfinden mit einem Kleidungsstück zu verbinden, damit zu spielen, die eigene Fantasie anzuregen und dann gegebenenfalls in die Realität weiterzugehen.
Reizwäsche hat viele Einsatzmöglichkeiten.
Ich will sagen, dass ich mich frage, warum wir so schnell den Begriff des Spektrums wieder vergessen, wenn es um (scheinbare) Allosexualität geht. Fragen wie es dazu kommt, dass wir offen von Kink sprechen, uns aber plötzlich alle Vorstellungskraft verlässt, sobald es um den möglichen Nutzen von Reizwäsche geht.
Das alles würde ich gerne sagen und so gut erklären wie möglich.
Aber ich weiß auch, dass das Gespräch beim nächsten Mal oder mit der nächsten Person wieder von vorne losgeht.
Immer wieder von vorne.

Viel davon ist wohl Unverständnis und Unwissenheit.
Dafür habe ich ein gewisses Maß an Verständnis.
So wie wenn ich versuche einer allosexuellen Person das asexuelle Spektrum begreiflich zu machen.
Aber bei all den manchmal ermüdenden Gesprächen, bleibt mir auch immer eine Gewissheit:
100 % asexuell bin ich nicht.

Und spätestens dann weiß ich, dass ich irgendwo dazwischen bin.
In Allo- und in Ace-Räumen mache ich Distanzerfahrungen.
Manchmal tut das weh.
Aber es ist auch okay.
Ich lerne daraus, dass die Gatekeeper*innen sich ihre Argumente sparen können.
Ich gehöre hierhin.
Zwischen den Bergen.
In meinem kleinen Tal voll Nebel.

 

 

© 2023 bei Finn

3. Dezember: Prokrastination

CN: Erwähnung von Pornographie und Pandemie

Prokrastination

Carmilla DeWinter

Ich muss selten mit dem Seniorchef reden. Doch Anfang des Jahres war es dann mal wieder so weit.

„Arbeiten Sie gerade an etwas Neuem?“, fragte er. Er und die Juniorchefin wissen, dass ich gelegentlich Texte veröffentliche, beide haben aber verständlicherweise Besseres zu tun, als jede Woche mein Pseudonym zu stalken. Zudem ist die Aufsicht über meine Tätigkeit zumeist an eine Filialleitung delegiert, sodass ich nicht oft in die Verlegenheit gerate, Fragen zu meinem Nebenberuf zu beantworten.

An jenem Tag setzte auf diese Frage mein Verstand kurzfristig aus. Aufmerksame Zeitgenossinnen bemerkten wahrscheinlich, dass mein Blick hilfesuchend durchs Backoffice irrlichterte.

Sodann antwortete ich: „Also, ich schiebe gerade die Überarbeitung eines Gesellschaftsromans vor mir her.“

Wir plauschten zwei Minuten lang darüber, dass es sinnvoll ist, hunderttausend Wörter Roman mit einem besseren Plan vom Plot zu beginnen, als ich es 2020 getan habe. Dann klingelte vorn im Laden die Glocke und nichtsahnende Kundschaft erlöste mich.

Meine Antwort war nicht ganz ehrlich, wie das geschätzte Publikum gewiss bereits erraten hat. Korrekterweise hätte ich berichten müssen, dass ich mich seit August 2022 vor dem Allgemeinzustand der Welt in eine Fanfiction geflüchtet habe, die mehr durch Zufall keinen schwulen Robotersex enthält. Falls Sie die Regel 34 noch nicht kennen, finden Sie also hiermit bestätigt, dass die Menschheit zu allem, was es gibt oder erdenkbar ist, Pornographie produziert.

Jedenfalls enthält die Story nur deswegen keinen als schwul lesbaren Robotersex, weil meine Roboter sich erstens nicht wie Menschen fortpflanzen und zweitens beide auf dem asexuellen Spektrum sind.

Nebenbei jonglierte ich die Vorhut für den zweiten Band von Beweisstück A und habe weiterhin eine nicht beendete wissenschaftliche Übersicht über die vorhandenen LGBTIQA-Populationsschätzungen an der Backe.

Nichts, was ich meinem notorisch heterosexuellen Chef zwischen Tür und Angel während der Ladenöffnungszeiten erklären müssen will. Zumal mensch von einer Apothekerin erwarten sollte, dass sie auch abseits des weißen Kittels die nötige Seriosität walten lässt. Also, zumindest, wenn sie das Klischee bedienen wollte.

Klischees kann ich leider ganz schlecht.

Außer dem Klischee, dass alles, was Autor*innen erleben, in einem Text Platz findet. Wie die berichtete Episode.

Und na ja … was gibt es Besseres, als schreibend die Überarbeitung eines Gesellschaftsromans vor sich her zu schieben?

 

© 2023 bei Carmilla DeWinter

1. Dezember: Warte

CNs: Ace- und Queerfeindlichkeit

Warte

Noir

Warten … warten auf den Bus, die Bahn, dass mensch irgendwo drankommt, das irgendwas passiert. Was aber, wenn ich selbst das Gefühl habe, ich brauche nicht zu warten, weil sich nichts signifikant ändern wird? Weil ich die Antworten eigentlich schon in mir trage? Und weil die anderen auch nicht warten, sondern einfach fortfahren dürfen, wenn sie so sind wie gewünscht.

Ich bleibe nicht gerne stehen, wenn’s nicht sein muss. Warum auch? Wem nützt es? Mir am allerwenigsten. Dennoch wurde ich oft zum Warten angehalten, besonders immer dann, wenn ich die ausgetretenen Pfade verlassen wollte. Das hat mit meinem mir gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlecht zu tun, aber eben auch mit meiner Sexualität. Beides dient der Gesellschaft quasi als Platzanweiser, um Komplexitäten zu reduzieren und etablierte Strukturen und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. Schubladen sind einfach, sie bieten Sicherheit und unterstützen Bequemlichkeit. Damit kann mensch andere Personen quasi to go einordnen. Einmal zum Mitnehmen bitte.

Aber dann komme ich und stelle meine Asexualität in den Raum. How dare you!, kann ich aus den Blicken anderer Menschen lesen und oft auch akustisch wahrnehmen. Ich störe ihre behagliche Weltsicht. Ihre kuscheligen, angewärmten Kategorien. Lange hat es gedauert einzusehen, dass es Menschen gibt, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen, und oft wird es immer noch angezweifelt. Wenigstens konnte sich mensch aber darauf einigen, dass alle sexuelle Anziehung in irgendeine Richtung empfinden. Wie kann ich es also wagen, das mit meiner puren Existenz anzuzweifeln? Und noch schlimmer, ich bin nicht allein damit.

Ich werde also aufs Abstellgleis geschoben. Verdammt zum Warten. Ich soll doch bitte geduldig sein, mich nicht so aufspielen und innehalten. Das kommt bestimmt noch. Vielleicht bin ich einfach ein Spätzünder? Hatte noch nicht die richtige Sorte Sex? War es vielleicht noch nicht der oder die richtige Partnerperson? Vielleicht sollte ich mal meine Hormone testen lassen? Oder vielleicht bin ich einfach tatsächlich asexuell?

Es kann schwer sein das zu akzeptieren, ich weiß. Wollte es ja auch nicht wahrhaben, aber es ist eben so. Niemals hab ich anders gefühlt. Ich schaute und schaue immer noch verwundert in Hochglanzmagazine, mit normschönen, schlanken, blitzend lächelnden Menschen und empfinde: nichts. Nichts an den Bildern was mich reizt, da es für mich und mein Ästhetikempfinden nichts gibt, was meinen Blick länger als zwei Sekunden an den aalglatten Fassaden halten könnte. „Heiß“ war und ist nie eine Kategorie gewesen, die ich verstand. Ich lernte nur irgendwann Muster zu erkennen und abzurufen, wie gewünscht.

Ich bin auch nie auf der Suche gewesen. Kein Verlangen, kein Druck, den ich nicht selbst befriedigen könnte. Suche ich trotzdem Nähe? Manchmal schon, nie aber brauche ich Sex. Die Nähe, die ich brauche, genieße ich hauptsächlich über Gespräche. Nicht viel berührt mich intensiver, zieht in meinen tiefen Wassern größere Kreise, als dass mir jemensch wohlwollend zuhört und auf Augenhöhe mit mir spricht. Mit mir streitet, mir auch mal Dinge verzeiht und nachsieht, mich eben nimmt, wie ich bin. Mich und mein A*spec-Sein, meine Ecken, Kanten, Schrullen und Co. hinnimmt und einfach mal sein lässt.

Asexualität ist damit meine Antwort. Also, ich warte nicht mehr. Nicht mehr, dass sich irgendwas ändert. Ich gehe einfach meine eigenen, gewundenen, teilweise holprigen Weg und wer will, der kommt einfach mit.

© 2023 bei Noir

Ein kleiner Adventskalender voller Geschichten

Aus Anlass der diesjährigen Ace Week veranstaltete InSpektren in Kooperation mit AktivistA n.e.V. einen Poetry Slam zum Thema „Sexualität_Asexualität“. Einige der Teilnehmenden haben uns freundlicherweise ihre Texte zur Veröffentlichung überlassen. Anstatt diese einfach so zu veröffentlichen, planen wir einen kleinen Adventskalender für euch, als Countdown zu den Feiertagen und/oder geistige Ausflüge aus der Jahresendhetzerei, egal an was ihr glaubt.

Mit 24 Törchen können wir nicht dienen, es sind derer nur acht, die es jedoch in sich haben.

Offene Türchen:

1. Dezember: Warte

3. Dezember: Prokrastination

6. Dezember: Dazwischen

10. Dezember: Schwer begreiflich

13. Dezember: Dunkel trifft Licht, leise trifft laut

17. Dezember: Asexuell

22. Dezember: Zwischenraum

24. Dezember: Halber Mann

 

 

Stuttgart Pride 2023 – ein Nachklapp

Letztes Wochenende also „Pride“ in Stuttgart. Bis letztes Jahr hieß das noch CSD — Christopher Street Day.

Der Pride-Samstag begann mit ausgiebigem Regen. Auch dies war wohl ein Grund, warum die Fußgruppe dieses Jahr kleiner ausfiel als letztes Jahr. Bei so einem Wetter rausgehen? Bis 13 Uhr hatte es dann zwar aufgeklart, aber zu dem Zeitpunkt wäre das Losfahren für Auswärtige theoretisch zu spät gewesen. Die Aufstellung für die Fußgruppen sollte ab 14 Uhr stattfinden, die Chefin mit dem Handwagen war sogar pünktlich diesmal.

Um 15 Uhr startete irgendwo ganz weit vorn die Parade. Davon merkten wir an der Startnummer 78 von 131 zunächst wenig, aber immerhin nahmen die umliegenden LKW den Startpunkt ernst und dröhnten uns ab 15 Uhr mit zwei Versionen von Techno zu. (Nichts gegen Techno als Musikrichtung, aber gegenläufige Doppelbeschallung bei etwa 90 Dezibel ist auf Dauer anstrengend.) Erst nach 16 Uhr konnten wir langsam loszuckeln. Zu dem Zeitpunkt hatte sich die erste mitlaufwillige Person schon wieder verabschiedet, weil sie nicht mit einer derartigen Wartezeit gerechnet hatten und auf den Zug mussten.

Mehrere Ace-Flaggen und eine Aroace-Flagge an Stangen waren bei der Demo mit dabei, außerdem einige andere als Umhänge.

Der „Marsch“ darauf gestaltete sich derart zäh als Stop-and-Go, dass wir den Großteil der abschließenden Kundgebung verpassten. Leider gab es außerdem einen Vorfall, da eine linke Gruppe erfolgreich den ersten Wagen aufhielt und das folgende kurze Handgemenge den Versammlungsleiter der Demo verletzte. (Persönliche Meinung: Habt ihr Rotzgören sie noch alle? Konstruktive Kritik geht anders.)

Aber immerhin: Das Gruppenfoto hat was, zumal die Accessoires unten links im Bild farblich gut passen. Insgesamt hatte es die Kundgebung dieses Jahr gefühlt schwer. Offenbar ging es nicht nur uns und unseren schwarzen Luftballons so, dass nach der langen Zeit die Luft raus war.

Das obligatorische Demogruppen-Abschlussfoto. Übrigens weht da eine Aplatonik-Flagge über dem Mensch mit der Sonnenbrille in Violett, Blau, Grün und Cremefarben.

Der Sonntag startete — was Wunder — wieder mit Dauerregen nach nächtlichem Gewitter. (Die Verfasserin hatte aufgrund selbigens, wie ganz Pforzheim, ab nachts um eins etwa 40 Minuten lang keinen Strom, was die Nachtruhe unangenehm verkürzte.)

Der Aufbau des Stands erfolgte dann aber trockenen Fußes. Wie sich das für Stuttgart gehört, trudelten die meisten Feierwütigen und Neugierigen erst nach 14 Uhr ein, und wir hatten weniger Verkauf als Infogespräche.

Und wo wir bei Infogesprächen sind: Ein Mensch der Standbesetzung hat sich von Antenne1 über Asexualität ausquetschen lassen. Es ist eine hörenswerte Interviewreihe entstanden.

Lesefutter: „Ein unvollständiger Mann“ – Exploitation statt Repräsentation

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Eines vorweg: Jedes Mal, wenn ich irgendwo LGTBQIA+ statt LGBTQI lese oder im Rahmen einer Veranstaltung explizit Asexualität und Aromantik erwähnt werden, mache ich innerlich jauchzend einen (ebenso innerlichen) Hopser. Manchmal geschieht beides auch sicht- und hörbar. Ich bin dermaßen ausgehungert nach Repräsentation und dankbar für Krumen, dass ich mich zuweilen dafür schäme. Zwar gibt es hin und wieder Artikel über Aspec-Erfahrungen, doch meist berichten sie über beide Identitäten im Format: „Wir haben hier ein interessantes Einzelschicksal, schaut, die Person ist trotzdem ein Mensch, sie erklärt uns nun ihre sonderbare Existenz“. Das ist oft ehrlich um Aufklärung bemüht und lieb gemeint, aber nicht das, was bitter nötig ist: Stories und Erzählungen, in denen Personen einfach aspec sind und ihr Erleben dadurch beeinflusst, aber nicht komplett definiert wird. Ich möchte asexuelle Raumschiffpilot*innen, Vampirjäger*innen, Bäcker*innen und Präsident*innen, Figuren, die selbstverständlich als sie selbst Geschichten erleben, ihre Welt prägen statt zu reagieren und mehr sind als ein kurioser Einzelfall. Und die auch allosexuellen Personen zeigen, dass unser aller Leben besser wird, wenn wir normative Vorstellungen von Sexualität und Beziehungen (nicht nur romantischer Art) hinterfragen.

Hintergrundinformationen zum Roman

Dementsprechend gespannt bin ich, worum es sich beim Roman „Ein unvollständiger Mann“ von Ralf Gerhardt handelt. Vorweg gab’s von der Promoagentur ein Interview, in dem zu lesen ist:

„Herr Gerhardt, Ihr erster Roman ‚Ein unvollständiger Mann‘ dreht sich um Asexualität, ein bisher wenig diskutiertes Thema. Was hat Sie dazu inspiriert?

Gerhardt: Ein Artikel in der ZEIT (…) hat mich darauf gebracht (…). Ich (…) war (…) beeindruckt, mit welcher Wucht diese Orientierung in den Alltag der Betroffenen grätscht.“

Das tut weh. Meine Orientierung grätscht nicht in meinen Alltag als aspec Person, der Alltag mit seiner Allo- und Heteronormativität selbst ist das Problem. Er lässt sich ändern, meine Orientierung nicht. Und statt unter ihr zu leiden, strebe ich die Änderung des Alltags an. Doch, so lässt uns die Agentur im Anschreiben wissen: „Wie gründlich der Autor recherchiert hat, ist seiner Coming-of-Age-Geschichte anzumerken.“

Erste Eindrücke

Es ist ungerecht, ein Buch dafür zu kritisieren, was es nicht ist. Angesichts der erwähnten, gründlichen Recherche muss ich allerdings annehmen, dass die meisten ihrer Ergebnisse keine Spuren im Buch hinterließen. Vielleicht beschränkten sich die Quellen auch nur auf die erwähnten Standard-Interviews mit asexuellen Personen, deren Autor*innen individuelles Leid betonen. Das allerdings würde keiner gründlichen Recherche entsprechen Vielleicht war es aber auch eine bewusste Entscheidung, die dem Autor selbstverständlich zusteht.

Mir ist nicht bekannt, ob Ralf Gerhardt, der „Ein unvollständiger Mann“ schrieb, selbst asexuell ist, auf meine Nachfrage erhielt ich keine Antwort. Falls nicht, ist die Entscheidung, die Geschichte aus Sicht des asexuellen Kolja Wolf in Ichform zu erzählen, mindestens gewagt, meiner Meinung nach aber geradezu dreist. Dass auch allo Person über Asexualität und asexuelle Figuren schreiben, ist notwendig und willkommen. Als ace Person zu schreiben ist jedoch, wie bei allen anderen Identitäten, die nicht der eigenen entsprechen, zum Scheitern verurteilt, solange es keine explizite asexuelle Beteiligung, kein Feedback und kein Lektorat durch Aspecs gibt. Und falls Ralf Gerhardt doch ace sein sollte, hoffe ich, dass er bald Anschluss an die Community findet und neue Perspektiven kennenlernt.

Der asexuelle Erzähler Wolf ist eine wenig komplexe, passive Figur, die zu Beginn der Handlung bewusst emotionalen und körperlichen Abstand zu anderen hält. Seine Attitüde ähnelt eher einem gloomy Teenager als einem Mittdreißiger. Da ihm eine aggressive, „männliche“ Sexualität fehlt, sieht er sich als den titelgebenden, unvollständigen Mann. Dieser empfundene Makel bestimmt jegliche Interaktion mit anderen Figuren. Ihnen gegenüber verhält er sich egoistisch, launisch, rüde und, zumindest in der Vergangenheit, teils gewalttätig. Erst durch Zufälle, amatonormative Liebe und Aufklärung durch seine allo Bezugspersonen gelangt er zu einem apologetischen Umgang mit seiner Sexualität und ist am Ende sozusagen „trotz allem“ ein Mann. Die allo-Figuren sind wie er unsympathisch und dazu übertrieben sexualisiert. Sie sind Karikaturen, die immerzu flirten müssen, wenn sie eine Person attraktiv finden und sich geistig auf einem permanenten Junggesell*innenabschied befinden.

Paralleluniversum?

Die im Text vorherrschenden Gespräche sind auch durch die Erzählstruktur des Romans ermüdend. Sie beschränkt sich auf Unterhaltungen an wechselnden Orten und ist als das Gegenteil von „show, don’t tell“ durchweg selbstreferenziell, ja hermeneutisch. Unklar bleibt, weshalb Wolf zwar den Begriff „asexuell“ kennt, ihn aber trotz eigener Besessenheit von mangelndem Interesse an Sex und allen daraus entstehenden Problemen nie recherchierte. Das Internet existiert, es werden Mails geschrieben und am Ende tauchen Prideflaggen in asexuellen Farben auf, über deren Design in unserer Realität 2010 online abgestimmt wurde.

Wenn Wolf sich im Internet umgesehen hätte, wäre ihm aufgefallen, wie wenig besessen von Nabelschau und Leid das Leben von Aces ist. Dass sie nicht die ganze Zeit darüber brüten, wie seltsam sie sind, sondern stattdessen eigene Ideen von erfüllten Beziehungen haben. Dass sie sich und ihre Umwelt reflektieren können, ohne sich selbst abzuwerten und andere zu meiden. Dass Queerness, anders, als die schwulen Charaktere im Buch nahelegen, nichts ist, was jemand tut, nämlich immerzu queeren Sex haben (wollen), sondern eine Art der Abweichung von gesellschaftlichen heteronormativen, sexistischen, patriarchalen Normen, die auch uns Aspecs mit anderen Identitäten verbindet. Und vielleicht auch, dass die Sexualisierung von Queerness an sich Teil eines Weltbilds ist, dass Heterosexualität im Gegensatz zu ihr als „gesund“ und „normal“ betrachtet und allen schadet.

Auch davon ist in „Ein unvollständiger Mann“ nichts zu lesen. Asexualität ist nur ein Auslöser von Konflikten, deren Lösung einer asexuelle Person selbst nicht möglich ist. Der übergriffige Freund, der Wolf einst nicht konsensuellen Sex unter Drogeneinfluss aufzwang, weiß am Ende mehr über Asexualität als der asexuelle Wolf selbst. Ahnungslos wird die einzige asexuelle Figur durch eine Handlung geredet, die nicht genügend Camp und Humor besitzt, um das übergroße Drama einer Telenovela zu bieten, aber ähnliche dramaturgische Kniffe bemüht. Sie ist zu szenisch abgefasst, um als Roman zu gefallen oder durch Beschreibungen von Personen, Orten und Gefühlen zu unterhalten. Dazu fehlt jede gesellschaftliche Dimension, die Figuren haben Berufe, aber keine Identität und befinden sich abseits zeitgenössischer queerer Diskurse fest in konservativen Ideen von Männlichkeit und Heteronormativität verhaftet, die sie durch oberflächliche Exzesse nur verstärken.

Fazit

Ich weiß nicht, für welches Publikum das Buch geschrieben wurde. Falls für Aspecs, sollten wir uns auch angesichts fehlender Repräsentation nicht mit dem hier Gebotenen zufrieden geben. Wurde es für Allosexuelle verfasst, setzt es das übliche othering im Protagonisten Wolf selbst fort und lässt die Möglichkeit, auf über 350 Seiten nicht nur über Asexualität, sondern Sexualität an sich aufzuklären, ungenutzt verstreichen. Nicht einmal der Unterschied zwischen Libido und sexueller, romantischer und anderen Arten von Anziehung wird, und sei es in Form eines Glossars am Ende des Bandes, dargelegt.

Als aspec Person stachelt mich das mehr an, als dass es mich aufbringt, ich weiß ja, wie vieles noch klargestellt werden muss. Zum Beispiel, dass ein Leben als asexuelle Person zwar durch Allo- und Heteronormativität erschwert wird, Asepcs aber mehr zur Gesellschaft beizutragen haben als die Rolle des seltsam Anderen, die andere in ihrer vermeintlichen Normalität bestärkt, indem sie „trotzdem“ wie Allos leben wollen und das freundlicherweise manchmal unter Mithilfe viel entspannterer, offenerer Allos dürfen. Wir haben nicht einfach nur einen geringeren Anteil an gesellschaftlichen Normen entsprechenden Beziehungen oder lehnen sie ab, wir queeren sie. Und diese transformative Kraft der Queerness ist erstaunlicherweise das, was mir in diesem Buch, einer Exploitation Fiction über Asexualität, mehr als andere fehlt. Eine Geschichte, die darauf nicht eingeht, ist nicht automatisch misslungen, nur weil sie diese, und in diesem Fall explizit meine, Erwartungen nicht erfüllt. Doch was hier stattdessen erzählt wird, reicht nicht aus, um zu überraschen und vergessen zu lassen, was fehlt.

Ralf Gerhardt: Ein unvollständiger Mann. Erschienen 2023 im Selbstverlag, 356 Seiten. Hardcover-ISBN 3347907035 (24,90 €), Softcover-ISBN 3347907027 (16,90 €)

Bestellbar unter anderem bei tredition.

Diese Rezension wurde verfasst von: Lennart. Wir haben dafür eine elektronische Kopie gratis erhalten.

Stuttgart Pride: Infos zur Demoparade am 29.7.

Grundlegendes:

Die Aufstellung ist ab 14 Uhr zwischen Schwabstr. und Feuersee auf der Rotebühlstraße. (Google Maps.) Achtung: Die letzten Jahre war das woanders.

Auf dem Gehweg dann bei der eingetragenen Nummer warten. Wir sind Nummer 78, falls sich nichts mehr ändert.

15 Uhr ist Demostart. Um ca. 18:30 Uhr ist die Kundgebung auf der Planie. Bitte gern dafür bleiben. Oder wenigstens nicht gleich wegrennen für ein Abschlussfoto. 🙂

Demostrecke: https://www.stuttgart-pride.de/veranstaltungen/demonstration/demo-strecke

Anreise:

Mit den Öffentlichen:
Zwischen Hauptbahnhof tief und Vaihingen sind mehrere Haltestellen gesperrt. Am besten an Stadtmitte / Rotebühlplatz aussteigen und laufen, da die Ersatzbushalte wegen der Demo größtenteils wegfallen. Überblick: https://www.s-bahn-stuttgart.de/s-stuttgart/aktuelles/Stammstreckensperrung-2023-10424994

Auto:
Umweltzone beachten.
Von Osten wird die Zufahrt über den Schattenring wahrscheinlich gesperrt sein und die Neue Weinsteige hat eine Baustelle. Manche Navis sind daher nur begrenzt zuverlässig.

 

Für eure Sicherheit und Wohlbefinden:

  • Bringt euch bitte genug Getränke und Essen mit. Supermärkte im Stadtinneren von Stuttgart sind rar.
  • Achtet auf Sonnen- bzw. Regenschutz, je nach Wetter.
  • Auf geeignetes Schuhwerk achten – ihr müsst viel stehen, bei heißem Wetter heißer Boden, Scherbengefahr etc.
  • Gehörschutz für lärmempfindliche Menschen.
  • Münzgeld für öffentliche Toiletten.

Alkohol ist für Teilnehmende nicht verboten, nur für Ordnende. Als Chefin nehme ich mir aber raus, angetrunkene Personen aus der Gruppe an den Rand zu komplimentieren. Ich möchte nicht für Betrunkene Verantwortung übernehmen müssen.

AktivistA und AktivAro stellen Infomaterial zum Verteilen. Wir haben außerdem zwei Demoschilder und werden ein AktivistA-Banner mitbringen, damit wir als Gruppe besser identifizierbar sind. Für die werdet ihr eventuell zum Tragen vergattert. 🙂

Einen Handwagen als Abstellmöglichkeit für Gepäck oder Wasserflaschen bringe ich mit. Achtet trotzdem auf eure Wertsachen.

Ansonsten:

  • Aufkleber bitte zurückhaltend bzw. eher auf Anfrage verteilen.
  • Kein Konfetti, Federn oder Glitter zum Werfen mitbringen.
  • Keine Hoheitsabzeichen tragen.
  • Maskierung ist erlaubt (Puppies etc.), aber ist abzunehmen, wenn die Polizei zwecks Identitätsfeststellung drum bittet.
  • Bitte Gegendemos friedlich begegnen.