Kategorie: Asexualität

3. Dezember: Prokrastination

CN: Erwähnung von Pornographie und Pandemie

Prokrastination

Carmilla DeWinter

Ich muss selten mit dem Seniorchef reden. Doch Anfang des Jahres war es dann mal wieder so weit.

„Arbeiten Sie gerade an etwas Neuem?“, fragte er. Er und die Juniorchefin wissen, dass ich gelegentlich Texte veröffentliche, beide haben aber verständlicherweise Besseres zu tun, als jede Woche mein Pseudonym zu stalken. Zudem ist die Aufsicht über meine Tätigkeit zumeist an eine Filialleitung delegiert, sodass ich nicht oft in die Verlegenheit gerate, Fragen zu meinem Nebenberuf zu beantworten.

An jenem Tag setzte auf diese Frage mein Verstand kurzfristig aus. Aufmerksame Zeitgenossinnen bemerkten wahrscheinlich, dass mein Blick hilfesuchend durchs Backoffice irrlichterte.

Sodann antwortete ich: „Also, ich schiebe gerade die Überarbeitung eines Gesellschaftsromans vor mir her.“

Wir plauschten zwei Minuten lang darüber, dass es sinnvoll ist, hunderttausend Wörter Roman mit einem besseren Plan vom Plot zu beginnen, als ich es 2020 getan habe. Dann klingelte vorn im Laden die Glocke und nichtsahnende Kundschaft erlöste mich.

Meine Antwort war nicht ganz ehrlich, wie das geschätzte Publikum gewiss bereits erraten hat. Korrekterweise hätte ich berichten müssen, dass ich mich seit August 2022 vor dem Allgemeinzustand der Welt in eine Fanfiction geflüchtet habe, die mehr durch Zufall keinen schwulen Robotersex enthält. Falls Sie die Regel 34 noch nicht kennen, finden Sie also hiermit bestätigt, dass die Menschheit zu allem, was es gibt oder erdenkbar ist, Pornographie produziert.

Jedenfalls enthält die Story nur deswegen keinen als schwul lesbaren Robotersex, weil meine Roboter sich erstens nicht wie Menschen fortpflanzen und zweitens beide auf dem asexuellen Spektrum sind.

Nebenbei jonglierte ich die Vorhut für den zweiten Band von Beweisstück A und habe weiterhin eine nicht beendete wissenschaftliche Übersicht über die vorhandenen LGBTIQA-Populationsschätzungen an der Backe.

Nichts, was ich meinem notorisch heterosexuellen Chef zwischen Tür und Angel während der Ladenöffnungszeiten erklären müssen will. Zumal mensch von einer Apothekerin erwarten sollte, dass sie auch abseits des weißen Kittels die nötige Seriosität walten lässt. Also, zumindest, wenn sie das Klischee bedienen wollte.

Klischees kann ich leider ganz schlecht.

Außer dem Klischee, dass alles, was Autor*innen erleben, in einem Text Platz findet. Wie die berichtete Episode.

Und na ja … was gibt es Besseres, als schreibend die Überarbeitung eines Gesellschaftsromans vor sich her zu schieben?

 

© 2023 bei Carmilla DeWinter

1. Dezember: Warte

CNs: Ace- und Queerfeindlichkeit

Warte

Noir

Warten … warten auf den Bus, die Bahn, dass mensch irgendwo drankommt, das irgendwas passiert. Was aber, wenn ich selbst das Gefühl habe, ich brauche nicht zu warten, weil sich nichts signifikant ändern wird? Weil ich die Antworten eigentlich schon in mir trage? Und weil die anderen auch nicht warten, sondern einfach fortfahren dürfen, wenn sie so sind wie gewünscht.

Ich bleibe nicht gerne stehen, wenn’s nicht sein muss. Warum auch? Wem nützt es? Mir am allerwenigsten. Dennoch wurde ich oft zum Warten angehalten, besonders immer dann, wenn ich die ausgetretenen Pfade verlassen wollte. Das hat mit meinem mir gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlecht zu tun, aber eben auch mit meiner Sexualität. Beides dient der Gesellschaft quasi als Platzanweiser, um Komplexitäten zu reduzieren und etablierte Strukturen und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. Schubladen sind einfach, sie bieten Sicherheit und unterstützen Bequemlichkeit. Damit kann mensch andere Personen quasi to go einordnen. Einmal zum Mitnehmen bitte.

Aber dann komme ich und stelle meine Asexualität in den Raum. How dare you!, kann ich aus den Blicken anderer Menschen lesen und oft auch akustisch wahrnehmen. Ich störe ihre behagliche Weltsicht. Ihre kuscheligen, angewärmten Kategorien. Lange hat es gedauert einzusehen, dass es Menschen gibt, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen, und oft wird es immer noch angezweifelt. Wenigstens konnte sich mensch aber darauf einigen, dass alle sexuelle Anziehung in irgendeine Richtung empfinden. Wie kann ich es also wagen, das mit meiner puren Existenz anzuzweifeln? Und noch schlimmer, ich bin nicht allein damit.

Ich werde also aufs Abstellgleis geschoben. Verdammt zum Warten. Ich soll doch bitte geduldig sein, mich nicht so aufspielen und innehalten. Das kommt bestimmt noch. Vielleicht bin ich einfach ein Spätzünder? Hatte noch nicht die richtige Sorte Sex? War es vielleicht noch nicht der oder die richtige Partnerperson? Vielleicht sollte ich mal meine Hormone testen lassen? Oder vielleicht bin ich einfach tatsächlich asexuell?

Es kann schwer sein das zu akzeptieren, ich weiß. Wollte es ja auch nicht wahrhaben, aber es ist eben so. Niemals hab ich anders gefühlt. Ich schaute und schaue immer noch verwundert in Hochglanzmagazine, mit normschönen, schlanken, blitzend lächelnden Menschen und empfinde: nichts. Nichts an den Bildern was mich reizt, da es für mich und mein Ästhetikempfinden nichts gibt, was meinen Blick länger als zwei Sekunden an den aalglatten Fassaden halten könnte. „Heiß“ war und ist nie eine Kategorie gewesen, die ich verstand. Ich lernte nur irgendwann Muster zu erkennen und abzurufen, wie gewünscht.

Ich bin auch nie auf der Suche gewesen. Kein Verlangen, kein Druck, den ich nicht selbst befriedigen könnte. Suche ich trotzdem Nähe? Manchmal schon, nie aber brauche ich Sex. Die Nähe, die ich brauche, genieße ich hauptsächlich über Gespräche. Nicht viel berührt mich intensiver, zieht in meinen tiefen Wassern größere Kreise, als dass mir jemensch wohlwollend zuhört und auf Augenhöhe mit mir spricht. Mit mir streitet, mir auch mal Dinge verzeiht und nachsieht, mich eben nimmt, wie ich bin. Mich und mein A*spec-Sein, meine Ecken, Kanten, Schrullen und Co. hinnimmt und einfach mal sein lässt.

Asexualität ist damit meine Antwort. Also, ich warte nicht mehr. Nicht mehr, dass sich irgendwas ändert. Ich gehe einfach meine eigenen, gewundenen, teilweise holprigen Weg und wer will, der kommt einfach mit.

© 2023 bei Noir

Zwei Jahre queerpolitischer Aufbruch im Koalitionsvertrag – Vorhaben droht zu scheitern

Vor knapp zwei Jahren versprachen SPD, Grüne und FDP mit ihrem Koalitionsvertrag LSBTQIA+ einen queerpolitischen Aufbruch, der bis heute ausblieb. Zum Jahrestag der Verabschiedung des „Aktionsplans Queer Leben“ am 18.11.2023 hat AktivistA gemeinsam mit 35 anderen queeren Organisation einen offenen Brief des LSVD an Bundeskanzler Scholz und alle Kabinettsmitglieder veröffentlicht.

„Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrte Kabinettsmitglieder,

nach der Einführung der Lebenspartnerschaft, der anschließenden Öffnung der Ehe und der Einführung eines dritten positiven Geschlechtseintrags hatten wir große Hoffnung, queere Lebensweisen und Identitäten würden nun in all ihrer Vielfalt endgültig Teil gesellschaftlicher Normalität. Derzeit erleben wir jedoch einen deutlichen gesellschaftlichen Backlash: Die
Akzeptanzwerte zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sinken erstmals seit Jahrzehnten, „soziale“ Medien werden gezielt als Resonanzräume für menschenverachtende Queerfeindlichkeit instrumentalisiert, die homo- und transfeindliche Gewalt auf der Straße nimmt merklich und messbar zu. Hinzu kommen die letzten Wahlerfolge der AfD, die sich wiederholt mit queerfeindlichen und rechtsextremen Parolen positioniert. Diese Entwicklungen machen uns Angst.

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Asexualität im Kino: „Slow“ von Marija Kavtaradze

Der Film „Slow“ von Marija Kavtaradze zeigt eine Beziehung zwischen einer ace und einer allo Person. Nachdem Markus vom Hamburger Stammtisch von Vorführungen bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck erfuhr, fragte er dort nach, ob er unsere Flyer auslegen dürfe. Nicht nur das wurde ihm erlaubt, er erhielt auch Freikarten und eine Einladung, nach den Vorstellungen an öffentlichen Gesprächen teilzunehmen. Eine dieser Gelegenheiten gab der Stammtisch an AktivistA weiter. Vielen Dank für den Einsatz und dafür, uns einzubeziehen! Und vielen Dank auch an die Nordischen Filmtage: Es ist erfreulich, wenn ein Film über eine marginalisierte Gruppe gezeigt und ihr (wenn auch durch die persönliche Initiative einer Einzelperson) Raum gegeben wird.

Für AktivistA fuhr ich also nach Lübeck, um den Film zu sehen und danach an was eigentlich teilzunehmen? Einer Podiumsdiskussion, einem Q&A? Als ich das in Erfahrung bringen wollte, erfuhr ich, dass es sich um ein Gespräch zwischen Hauptdarsteller*innen und einer Moderation handeln sollte. Thema würde erst einmal explizit „Filmisches“ sein, nicht Asexualität, über sie könne am Ende und bei Bedarf gesprochen werden, immerhin sei es ein „normales“ Filmfestival. Es wäre leicht, zu schreiben „Was auch immer das heißen mag.“ Leider stellt sich mir diese Frage nicht; ein „normales“, nicht-queeres Filmfestival ist für Genrenischen da, die im Mainstream untergehen. Zum Beispiel eine, in der Geschichten über, nicht für marginalisierte Gruppen erzählt werden.

Allornormative Ratlosigkeit

Diese heteronormative Haltung passt meiner Meinung nach hervorragend zum Film. „Slow“ zeigt die Probleme einer heteroromantischen Beziehung mit dysfunktionaler Kommunikation. Ob die Asexualität der männlichen Figur dafür der einzige Grund ist, bleibt offen. Wie selbstverständlich die allo Partnerin Elena (Greta Grinevičiūtė) die ace Person Dovydas (Kęstutis Cicėnas) mit ihren Erwartungen konfrontiert, widerspricht dem zumindest nicht. Dem Desinteresse des asexuellen Mannes an Praktiken mit Fokus auf Genitalien begegnen beide mit Ratlosigkeit, offene Gespräche darüber bleiben aus. Hetero- und allonormative Erwartungen an eine romantische Beziehung werden höchstens im Alkoholrausch kurz übermütig hinterfragt, den Rest der Zeit bleiben sie selbstverständlich. Nicht nur in dieser Hinsicht ist „Slow“ ein durchweg straighter Film. Obwohl Dovydas ace ist, fehlt ihm der Kontakt zur und das Wissen über die queere Community und deren Erfahrungen mit Consent, er wirkt einfach wie ein „schlechter“ Heterosexueller. Wenn mensch bedenkt, wie unsichtbar und damit unwissend Aspecs oft bleiben, ist das realistisch, hat aber wenig mit der Identität und viel mit struktureller Ignoranz zu tun.
Dass der Film nicht aufklärt, sondern einfach eine Geschichte erzählt, ist eine ambivalente Entscheidung. Positiv daran ist, dass er Asexualität als schlichtweg existent zeigt und das anhand einer männlichen Hauptfigur geschieht. Doch die Gegenüberstellung mit der freien, „normalen“ Sexualität Elenas brandmarkt ihn auf eine Art, die Annahmen und Vorurteile straighter Allos über Asexualität bestätigen könnte. Mich hat der Film weder enttäuscht noch erfreut. Um Allos Asexualität nahezubringen, würde ich ihn nur „unter Aufsicht“ durch eine ace Person empfehlen.

Stimmen aus der Community

Damit ihr nicht mit meiner Meinung allein gelassen werdet, folgen hier noch ein paar Stimmen anderer Aspecs des Hamburger Stammtischs.

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Presseschau #1

Auf der Suche nach angemessener Repräsentation betrachtet Lennart in unregelmäßigen Abständen in unserer kleinen Presseschau Artikel zum Aspec näher.

Missy-magazine.de: Bin ich nicht begehrenswert? Unsere Kolumnistin serviert dir ein Menü des Datings und reflektiert Begehren und Sexualität aus einer queerfeministischen Perspektive.

Eine gelungene Kolumne über die Fallstricke der Allosexualität. Hà Phương Nguyễn betrachtet Asexualität nicht als etwas Erklärungsbedürftiges, sondern Selbstverständliches. Diese Akzeptanz ermöglicht Fragen, die auch Allos helfen, mehr über sich und ihre Beziehungen zu erfahren. Schön, wenn ein Text über das (immer noch nötige) Darlegen der Grundlagen hinausgeht!

Brigitte.de: Was zeichnet eine asexuelle Person aus? Was ist Asexualität? Wie erkennt man, dass man asexuell ist? Und können asexuelle Menschen Liebesbeziehungen führen? Hier gibt es alle Antworten.

Alle Antworten? Spannend! „Das Spektrum der Asexualität umfasst unterschiedliche Erfahrungen mit Anziehung, Erregung und Beziehungswünschen der Menschen.“, jein. Erfreulich ist der Hinweis auf ein Spektrum und die unterschiedlichen Erfahrungen. Doch für die Definition der Asexualität spielen Erregung, also vermutlich Libido, und Beziehungswünsche keine Rolle. Wäre es so, könnte mit einer bestimmten Art von Beziehung eine Entscheidung gegen die eigene sexuelle Orientierung getroffen werden. Wahrscheinlich ist das aber nur missverständlich ausgedrückt, der Artikel selbst ist deutlich um Differenzierung bemüht. Leider falsch liegt er jedoch, wenn er Aromantik als Teil der asexuellen Identität versteht. Aromantik und Asexualität bilden gemeinsam das Aspec, das aromantische UND asexuelle Spektrum, doch sie bedingen einander nicht. Erfreulich wiederum ist, dass auch andere Anziehungen als die sexuelle und romantische erwähnt werden.

Web.de: Asexualität: Wenn man keinen Sex braucht um erfüllt zu leben

In diesem soliden, einführenden Text mit asexuellen Stimmen kommt auch unsere Irina zu Wort. Vielen Dank, Irina!

Refinery29.com: Asexualität ist so viel mehr als „keine Lust auf Sex“

Dieses Sammelsurium von Zitaten aus lesenswerten Büchern zum Thema legt den Schwerpunkt auf „asexuelle Freude“. Leider bleiben die meisten Beispiele wie Kuchenbacken und „mehr Zeit haben“ oberflächlich. Denn die Freude, die es mit sich bringt, herauszufinden, ein vollständiger Mensch zu sein, obwohl mensch nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht, geht weit über den Spaß an Hobbies hinaus. Das Ziel einer Emanzipation vom allonormativen Druck ist nicht das Finden von Ersatztätigkeiten für Sex, sondern ein selbstbewusstes Leben jenseits sexueller und romantischer Normen. Worum es bei Asexualität auch nicht geht: sexuelle Lust, die hier wieder einmal mit sexueller Anziehung vermischt wird.

Bz-berlin.de: Frau Försters Fragestunde: „Ich habe keine Lust auf Sex. Was soll ich dagegen tun?“

Eine Sexualtherapeutin beantwortet die Frage einer Leserin nach Asexualität mit: „Asexuell in der Definition ist, wer kein oder nur ein geringes sexuelles Verlangen verspürt. Dies ist von Beginn an so. Deswegen ist es notwendig abzugrenzen von vorübergehender sexueller Unlust, die viele Menschen im Laufe ihres Lebens zeitweise erleben.“. Damit bringt ein Artikel wieder einmal fehlendes „Verlangen“, also Libido, zu Unrecht mit Asexualität in Verbindung. Aber allein der Begriff bzw. das Verständnis für das Konzept der sexuellen Anziehung ermöglicht eine korrekte Definition von Asexualität, eine niedrige Libido können Personen jeder Orientierung haben. Schwammig bleibt der Text auch, wenn es heißt, dass asexuelle Person generell kein Interesse an Sex hätten, ganz so, als wäre eine Auseinandersetzung auf künstlerische, historische oder medizinische Weise, ein Kinderwunsch und selbst Sex ohne Anziehung unmöglich. Bedenklich ist auch die indirekte Entmenschlichung von Aros im folgenden Satz: „Während asexuelle Menschen durchaus Partnerschaften führen, Familien gründen und zwischenmenschliche Bindungen suchen und eingehen, sind aromatische Menschen an keinerlei romantischer Bindung interessiert.“ Familien und zwischenmenschliche Bindungen sind nicht immer romantischer Art. Zwar weist der Text später noch explizit auf Freundschaften hin, unterschlägt aber, dass diese eine ähnliche Tiefe wie romantische Beziehungen haben können. Stattdessen behauptet er, aromantische Personen „wollen also keinen Partner an Ihrer Seite wissen“, ganz so, als würden sich Aros aktiv gegen jede Art von Intimität und Zusammenleben entscheiden.

AktivistA 2023: Besucherrekord in der Weißenburg

Alle Jahre wieder… findet im September unsere Konferenz statt. Diesmal mit einem Schreck zu Anfang: Die Hauptverantwortliche war kurzfristig erkrankt. Umdisponieren war angesagt. Dennoch lief alles ohne größere Katastrophen ab.

Mit Ace- und Aro-Flagge verzierter Flügel

In diesem Jahr standen am Samstag vier Vorträge auf dem Programm, die jeweils einen anderen Aspekt näher beleuchteten. Den Anfang machte unser Mitglied Jens mit dem Thema „Graue Asexualitäten“. Unter anderem wies er darauf hin, dass das entsprechende Label (auf Englisch meist „Gray/Grey A“) innerhalb der Community geprägt wurde und nicht aus der Wissenschaft stammt. Jens legte außerdem dar, wozu sogenannte Mikrolabel gut sein können, und sprach sehr offen über seine eigenen Erfahrungen. Die Erkenntnis, sich auf dem asexuellen Spektrum zu befinden, kam erst nach Jahrzehnten der Aktivität in der queeren Szene. Wieder einmal wurde deutlich, wie wichtig die Sichtbarmachung dieses Spektrums ist.

Danach hätte eigentlich schon das bestellte Mittagessen kommen sollen… es ließ auf sich warten. Spontan zogen Finn und Flemm vom Kollektiv AktivAro ihren Beitrag vor und erzählten uns mehr über ihre Mission „für mehr Aromantik auf der Welt“. Die Online-Plattform soll noch wachsen; Menschen, die sie mitgestalten möchten, sind sehr willkommen. Eine interessante Erkenntnis: Bisherige Befragungen deuten darauf hin, dass zum Beispiel eine demisexuelle mit einer demiromantischen Orientierung korreliert. Die Verortung von Menschen auf dem asexuellen und aromantischen Spektrum scheint also zueinander zu passen.

Teilnehmende lauschen gespannt dem Vortrag über „Graue Asexualitäten“

Den nunmehr leiblich gesättigten Teilnehmenden wurden im zweiten Teil als geistige Nahrung zwei Vorträge serviert, die thematisch recht gut zueinander passten. Zunächst betrat Finn noch einmal die Bühne, diesmal gemeinsam mit Noir als Mitglieder des Teams hinter dem Podcast InSpektren. „Wir reden über Asexualität, Aromantik, Aplatonik und vieles mehr“ lautet das Motto. Zu diesem „vielen mehr“ gehört auch die ästhetische Anziehung, die nicht alle Menschen empfinden. Ist sie nicht vorhanden, kann man von Aästhetik sprechen. Merke: Ästhetik ist nicht nur visuell, sondern kann sich auf alle sinnlich wahrnehmbaren Ebenen beziehen! Die lebhafte Diskussion im Anschluss an den Vortrag warf unter anderem die Frage auf, inwiefern das eigene ästhetische Empfinden von gesellschaftlichen Schönheitsnormen beeinflusst ist.

Den Titel „»ace-thetics« – Formen visueller (Re-)Präsentation von Asexualität“ trug der Vortrag von Annika Baumgart, einer Hälfte des Duos, hinter dem Sachbuch (un)sichtbar gemacht. Der Vortrag selbst widmete sich einer Frage, die wir vor einigen Jahren auf diesem Blog auch schon einmal gestellt haben: Wie stellt man das asexuelle Spektrum bildlich dar? So einfach wie „Zwei Männer halten Händchen: Das ist ein schwules Paar“ ist es bei uns einfach nicht. Bisher scheint es nur zwei Lösungen zu geben: einerseits Bilder, die man auch als Darstellung von Beziehungsproblemen deuten kann, andererseits in der Community bekannte Symbole wie die Farben der Flagge. Diese sind wiederum für die Allgemeinheit nicht verständlich.

Bis zum Kehraus um 22 Uhr wurde noch munter geschwatzt, teilweise aufgrund des guten Wetters auch im Hof. Am Sonntag fanden viele von uns im oberen Saal noch einmal zusammen. Diverse die Community betreffende Themen wurden tiefer erörtert, aber einige wollten auch einfach nur Karten spielen…

In diesem Jahr gab es für die Teilnahme an der Konferenz erstmals eine Warteliste. Nicht ohne Grund: Ein Blick in den unteren Saal am Samstag zeigte, dass die Weißenburg bei noch mehr Menschen aus den Nähten platzen würde. Brauchen wir eine größere Location? Andererseits ist die traditionsreiche Einrichtung in der gleichnamigen Straße uns in all den Jahren ans Herz gewachsen…

Grüße an alle Menschen aus Wilhelmshaven, Zürich, Magdeburg und dazwischen, an die Fraktion „mit extra Ananas“, die Fans von J. S. Bach und die Tanne, die Fell statt Nadeln trägt.

AktivistA-Konferenz 2023: Teaser Trailer

Pünktlich zum Pride Month haben wir für euch eine kleine Vorschau für das Programm unserer Konferenz für das asexuelle Spektrum. Die Reihenfolge ist noch nicht ganz klar, da sie auch von Zugfahrzeiten der Beteiligten abhängt.

Die hier zu sehende Treppe am Zentrum Weissenburg ist diesmal tatsächlich relevant für den Inhalt.

Community-intern wird Jens ein Update zu Grau-Asexualitäten geben und ein wenig über eigene Erfahrungen berichten.

Außerdem angesagt hat sich Flemm, um AktivAro und deren Aktivitäten vorzustellen.

Danach werden sich Noir und Finn von InSpektren eine Anziehungsform vornehmen: „Von Ästhetik bis Aästhetik – Ein kaum beachteter Teil des A*spec“.

Und wo wir bei vermeintlichen oder echten Äußerlichkeiten sind: Anni Baumgart von ace_arovolution beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Bild von Asexualität in den Medien und wird eine Masterarbeit diesezüglich vorstellen.

Ansonsten noch eine Neuerung: Wir haben für den Tag einen Konferenzraum im Obergeschoss der Weissenburg gemietet. Er ist über eine schmale Treppe zu erreichen und bietet Platz für etwa 15 Personen. Ihr dürft gern Interesse an einer Besprechung anmelden, für deren Zeit ich dann den Raum reserviere. Außerhalb von Besprechungen steht er als Rückzugsort für Menschen zu Verfügung, die grade nicht so gut Lautstärke oder Leute können.

Bitte benutzt das Formular auf der Konferenz-Unterseite, um euch anzumelden.

CSD Karlsruhe 2023 oder: Ist leider schon weg.

Ein Teil der Truppe, die beim Infostand und der Demogruppe geholfen haben.

Obwohl oder weil der CSD Karlsruhe diesmal mitten in den hiesigen Pfingstferien lag, hatten wir und der Rest der Veranstaltung überwältigend viel Besuch. Hinzu kam passendes Wetter: Zumindest am Infostand war es nicht zu heiß. Es ging jedoch leichter Wind, der uns regelmäßig Papier davonwehte, obwohl wir ja schon ein Dutzend Beschwersteine benutzten. Da die Standchefin nicht so gut zu Fuß war, hiermit ein Dankeschön an alle, die den flüchtigen Druckwerken hinterherspurteten.

Der Fußgruppe mangelte es dieses Mal an Stangen für die Fahnen, sodass sie leider im wie so häufig etwas unorganisierten Pulk unterging. Die knapp 1000 Flyer wurden von den Teilnehmenden aber fleißig unter die Leute gebracht.

Am Stand wurden wir zu manchen Zeitpunkten fast überrannt. Daher fuhren wir mit etwa einem Zehntel des Merchandises heim, den wir eingepackt hatten. Viel zu oft mussten wir eingestehen: „Ist leider schon weg.“ Nebenbei führten wir die üblichen Aufklärungsgespräche über Asexualität und Aromantik. Glücklicherweise blieben die meisten Themen-Neulinge sehr respektvoll. Einige fuhren total auf unser Glossar-Glücksrad ab. Zahlreiche Menschen freuten sich über unseren Ace- und Aro-Merch. Einige davon wurden sogleich für den Aspec*German-Discord und die passenden Stammtische rekrutiert.

Wenn ihr den Livestream des CSDs vorspult, findet ihr auf der Demo die von der Polizei geschätzten 6000 Menschen plus etwa doppelt so viel Publikum. Eine Ace-Flagge weht ab 2:50:30 durchs Bild, die Fußgruppe ist irgendwie verschluckt … (ich habe sie zumindest nicht gefunden). Auch die Podiumsdiskussionen im Stream sind sehr zu empfehlen. Vor allem die ab 6:39:00, denn da sind zwei Menschen von AktivAro auf der Bühne. Sie besprechen vor allem Basis-Infos – passend zum gemischten Publikum.

Zum IDAHOBITA* 2023

Zunächst einmal: Wir wünschen euch allen einen guten, erfolgreichen Tag gegen Homo-, Bi-, Trans-, Inter- und Aspec*-Feindlichkeit! Ursprünglich als „Internationaler Tag gegen Homophobie“ gegründet, hat er in den letzten Jahren einige Buchstaben hinzugewonnen. Unser Beitrag heute wirft ein kleines Streiflicht auf Ace- und Aro-Feindlichkeit.

Allerdings: Queerfeindliche Positionen interessiert es nicht, ob eine Person ace, lesbisch, bi, schwul und/oder trans ist. Sie haben ihr festes Schema von der Welt und bestehen darauf, dass wir alle in die von ihnen genehmigten Ausstechförmchen passen. Ein paar von uns werden deshalb zum Beispiel in Heidelberg und Karlsruhe bei Veranstaltungen und Demos anwesend sein. Vielleicht findet ihr noch eine Veranstaltung in eurer Stadt, die ihr unterstützen könnt?

Für Menschen, die lieber nicht rausgehen, gibt es einen Vorleseabend auf dem Aspec*German-Discord-Server.

 

Wieso besteht ihr auf ein A in IDAHOBITA?

Und schon sind wir mittendrin im Thema. Feindlichkeit äußert sich zwar auch in tätlicher Gewalt, aber die Ursachen davon beginnen schon viel früher. Nämlich in den Köpfen.

So ist auch Feindlichkeit gegenüber ace und aro Menschen zuerst eine Frage von Einstellungen und Glaubenssätzen. Wie soll eine Gesellschaft beschaffen sein? Was macht einen Menschen aus, den wir als wertvoll anerkennen? Wenn Menschen davon ein enges Bild haben, versuchen sie häufig, ihre Version anderen aufzuzwingen.

Jede geschlechtliche, sexuelle und romantische Minderheit begegnet sowohl allgemeinen wie auch spezifischen Varianten von Queerfeindlichkeit.

Warum die Feindlichkeit gegen asexuelle und aromantische Menschen spezielle Formen annimmt, beschreiben die Begriffe Allonormativität und Amatonormativität.

Allonormativität und Amatonormativität

„Normativität“ bedeutet hier, dass ein bestimmter gesellschaftlicher Sachverhalt als „normal“ und wünschenswert gilt.

„Allo“ kommt von „allosexuell“. Damit sind Menschen gemeint, die nicht zum asexuellen Spektrum gehören. „Allonormativ“ beschreibt also die Annahme, dass alle Menschen sexuelle Anziehung kennen und diese Anziehung auch ausleben möchten.

„Amato“ meint Liebe und Zärtlichkeit. „Amatonormativ“ bedeutet, dass romantische Liebe und romantische Beziehungen als sehr wichtig und erfüllend eingestuft werden. Deshalb wird angenommen, dass alle Menschen eine romantische Beziehung suchen.

Menschen, die diese unausgesprochenen Erwartungen nicht erfüllen, erleben oft unerfreuliche Reaktionen. Zum Beispiel …

 

Pathologisierung

Pathologisierung bedeutet, dass etwas als „krank“ eingestuft wird, das gar nichts mit einer Krankheit zu tun hat. So nehmen viele Menschen an, dass ace und aro Menschen irgendwie krank seien, weil ihnen nach landläufiger Meinung etwas Wichtiges fehlt. Bei einem Coming-out werden ace und aro Menschen daher oft mit Diagnosen konfrontiert. Selbst wenn das nett gemeint ist, tut das weh. Es führt außerdem dazu, dass sich viele ace und aro Menschen als „kaputt“ wahrnehmen, bevor sie ihre Label finden. Sie haben dann solche Botschaften verinnerlicht.

Bis 2016 kam in Medienberichten über Asexualität sehr häufig eine Person aus der Medizin zu Wort, die über mögliche „Ursachen“ des vermeintlichen Mangels spekuliert. Heutzutage finden sich solche Vermutungen vor allem in den Kommentarspalten – prominenten Beispielen zum Trotz.

 

Infantilisierung

Infantilisierung bedeutet, dass Menschen als unreif oder kindlich dargestellt werden. In unserer Gesellschaft haben die „erste Liebe“, der „erste Kuss“, das „erste Mal“, Heiraten und Elternschaft einen festen Platz in Erzählungen vom Erwachsenenwerden. Wenn Menschen diesen Dingen keine Bedeutung beimessen oder diese Dinge nicht erlebt haben, werden sie oft als „unfertig“ oder unreif wahrgenommen. Ace und aro Menschen werden daher oft auf später vertröstet: „Ach, der/die Richtige kommt schon noch.“ Sie begegnen – wie andere alleinstehende Menschen auch – oft Fragen danach, wann sie denn endlich eine romantische Beziehung eingehen / sich häuslich niederlassen / für Enkelkinder sorgen, als sei dies der einzige Gradmesser für ein erfülltes Erwachsenenleben.

Invalidierung

Invalidierung bedeutet, dass etwas wertlos oder unwichtig gemacht wird. Sowohl Pathologisierung als auch Infantilisierung dienen oft dazu, Aussagen von asexuellen und aromantischen Menschen als unwichtig darzustellen. Dadurch kann sich das Publikum beruhigt zurücklehnen: Unreifen oder kranken Menschen muss man ja nicht glauben, was sie über ihre sexuelle oder romantische Orientierung sagen.

Eine andere Strategie ist, Aussagen über eine Orientierung als kurzfristig oder allgemein umzudeuten. „Das geht doch allen mal so.“ „Das ist doch nur eine Phase.“ „Das ist in deinem Alter doch normal.“ „Sexualität ist fluide. Das kann sich also noch ändern.“ Und so weiter.

All dies dient außerdem dazu, die Aussagen von Aces und Aros als weniger politisch erscheinen zu lassen.

Damit machen wir für heute Schluss, obwohl wir das Ende der traurigen Parade noch lange nicht erreicht haben. Ein Sachbuch über Ace- und Arofeindlichkeit ist (un)sichtbar gemacht von Annika Baumgart und Katharina Kroschel. Außerdem empfehlen wir die Podcastfolgen von InSpektren über A*spec-Feindlichkeit und Allonormativität.

AktivistA & Aspec*German beim CSD Karlsruhe

Der Pride Month und damit die ersten CSDs in Baden-Württemberg sind nicht mehr lange hin …

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Zum CSD Karlsruhe am 3. Juni kommt AktivistA mit einem Infostand und einer erweiterten Button-Kollektion. Außerdem werden wir wie immer Infos, Flaggen, Sticker und Armbänder im Gepäck haben. Dieses Jahr ist auch wieder ein Glücksrad geplant.

Die Demoparade werden wir gemeinsam mit Aspec*German heimsuchen. Das Ziehwägelchen wird im Getümmel wahrscheinlich eher untergehen, die Flaggen hoffentlich weniger. Falls noch wer mitdemonstrieren will, freuen wir uns, wenn ihr vorher kurz über die einschlägigen Kanäle wie Discord oder die verschiedenen BaWü-Gruppen Bescheid gebt. Leider müssen wir nach Personenzahl Ordnende stellen. (Wer zu Signal, WhatsApp oder einer ganz altmodischen Mailingliste für Baden-Württemberg möchte, melde sich bitte bei uns.)

Damit bleibt uns nur noch, auf trockenes und nicht allzu heißes Wetter zu hoffen und uns ganz vorsichtig auf euch vorzufreuen.